Für dieses Thema hat sich auch Oberbürgermeister Burkhard Jung erst spät erwärmen können: den zunehmenden Mangel preiswerter Wohnungen in Leipzig. Vielleicht auch, weil ihm das Planungsdezernat stets versicherte, es herrsche kein Wohnungsmangel in Leipzig. Doch wenn Gutverdiener noch die große Auswahl haben, suchen Normalverdiener oft schon vergeblich. Doch dass der OBM über ein Jahr brauchte, einen Stadtratsbeschluss dazu umzusetzen, verwundert die Grünen.

Am Dienstag, 10. Dezember, meldete die Stadt Leipzig, als sei das längst so geplant gewesen: „,Bündnis für bezahlbares Wohnen‘ soll Lösungen für enger werdenden Wohnungsmarkt diskutieren“. Und als hätte es die SPD-Fraktion nicht im August 2018 extra beantragen müssen.

Der Meldungstext:

„Ein ,Bündnis für bezahlbares Wohnen‘ soll sich in Leipzig mit den Herausforderungen des enger werdenden Wohnungsmarktes auseinandersetzen. Dem Bündnis, das Oberbürgermeister Burkhard Jung im Januar erstmals an einen Tisch bringen will, sollen Vertreter der Mieterinteressen, der Wohnungswirtschaft, der Wohnungsbaugenossenschaften sowie der Zivilgesellschaft und Wissenschaft angehören.

Oberbürgermeister Jung: ,Wohnen muss in Leipzig bezahlbar bleiben, da sind wir uns einig. Ich bin der Überzeugung, dass wir dieses Ziel nur erreichen, wenn wir gemeinsam an Lösungen arbeiten und auch bereit sind, unterschiedliche Instrumente anzuwenden. Wenn wir auf die Debatte in Deutschland schauen, dann sehen wir die extremen Positionen von Gewinnmaximierung auf der einen und Enteignungsdrohung auf der anderen Seite.

Eine Lösung werden wir aber nur finden, wenn wir bereit sind, uns pragmatisch auf die Situation in unserer Stadt einzulassen. Wenn alle mitziehen, halte ich den Bau von 10.000 Sozialwohnungen in den nächsten zehn Jahren in Leipzig für möglich; gleichzeitig müssen wir auch denen Raum geben, die bereit sind, mehr Geld für ihre Wohnung auszugeben. Wir dürfen mit zu starken Reglementierungen die Bautätigkeit nicht abwürgen.‘

Mit dem rasanten Wachstum Leipzigs ist seit Jahren auch eine stärkere Dynamik auf dem Wohnungsmarkt zu verzeichnen. So stiegen die Nettokaltmieten zwischen 2013 und 2017 um rund zehn Prozent auf 5,62 Euro pro Quadratmeter. Bei Neubauten (seit 1991) ist der Anstieg deutlicher, der durchschnittliche Quadratmeterpreis liegt hier bei 6,59 Euro pro Quadratmeter.

Gleichzeitig steigt aber auch das durchschnittliche Nettoeinkommen der Bevölkerung: das monatliche Haushaltsnettoeinkommen kletterte zwischen 2014 und 2018 von 1.662 auf 1.832 Euro. Der Anteil, den die Leipzigerinnen und Leipziger prozentual für das Wohnen aufbringen müssen, liegt im statistischen Mittel seit Jahren gleichbleibend bei rund 30 Prozent.“

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Die Verweise im letzten Abschnitt waren wieder Ausflüchte, die zeigen, dass sich Burkhard Jung mit dem Thema nie wirklich beschäftigt hat. Ein Anstieg der Nettohaushaltseinkommen im Median erzählt eben nicht davon, wie sich tatsächlich die Einkommen der Haushalte in den unteren Einkommensgruppen entwickelt haben. Und die Durchschnittsmieten erzählen nichts darüber, wie viele Wohnungen im familiengerechten Bereich überhaupt noch „auf dem Markt“ sind.

Und das ist nicht das einzige Problem an der Meldung.

„Schön, dass Herr Jung zum Ende seiner Amtszeit Stadtratsbeschlüsse umsetzt. Wir begrüßen grundsätzlich die Einrichtung eines Bündnisses für bezahlbares Wohnen. Bereits im Oktober 2018 hat der Stadtrat den Beschluss zur Einrichtungen eines Bündnisses bezahlbares Wohnen gefällt“, kommentiert Katharina Krefft, Fraktionsvorsitzende der Grünen, die Meldung.

„Noch im November wurde dem Stadtrat per Umsetzungsbericht mitgeteilt, dass einem solchen Forum unterschiedliche Einschätzungen und fehlender Kommunikation der Akteure entgegenstehen. Dass es Herrn Jung gelungen sei, diese offenbar erheblichen Differenzen innerhalb eines Monats zu überbrücken, weckt bei uns berechtigte Zweifel und wirkt eher wie ein zeitlich willkommenes Wahlkampfmanöver. Dass Herr Jung den Runden Tisch ausgerechnet während der Hochphase des OB-Wahlkampfs im Januar einberuft, weckt Zweifel an seinen Motiven. Angesichts der drängenden Probleme des Wohnungsmarkts braucht es verbindliches Handeln, aber kein Wahlkampfforum.“

Im Oktober 2018 hat der Stadtrat die Einrichtung eines „Bündnisses für bezahlbares Wohnen“ beschlossen. Und da war längst klar, dass der soziale Wohnungsbau viel zu spät angelaufen ist und erst in den nächsten Jahren überhaupt eine Wirkung entfalten wird. Aber dass der OBM jetzt alle Akteure an einen Tisch bekommt, bezweifelt Dr. Tobias Peter, Fraktionsvorsitzender und wohnungspolitischer Sprecher: „Die konkrete Umsetzung des Bündnisses für bezahlbares Wohnen ist bisher jedoch völlig offen. Wenn die Idee eines Bündnisses ernst genommen werden soll, müssen wirklich alle relevanten Akteure an den Tisch. Kritische Akteure dürfen nicht ausgeschlossen werden. Wir erwarten, dass auch zivilgesellschaftliche Initiativen wie das Netzwerk Leipzig – Stadt für alle und Leipzig für alle oder auch der Haus- und Wagenrat e. V., der kooperative Hausprojekte und Wagenplätze vertritt, zur Mitarbeit eingeladen werden.“

Tatsächlich hat Leipzig wertvolle Jahre verloren, um diese Plattform für ein bezahlbares Wohnen auf die Beine zu stellen. Jetzt kommt das Projekt schon unter den Druck eines eng gewordenen Mietwohnungsmarktes, der gerade für Geringverdiener und Familien oft wie leergegrast aussieht.

Tobias Peter: „Um erfolgreich zu wirken, muss das Bündnis für bezahlbares Wohnen im engen Zusammenspiel mit Stadtrat und Verwaltung arbeiten. Der neu eingerichtete Zeitweilige Ausschuss Wohnen im Stadtrat muss in die weitere Planung und Umsetzung des Bündnisses für bezahlbares Wohnen unbedingt einbezogen werden, um dann mit diesem im Gleichschritt an den drängenden Herausforderungen zu arbeiten.“

Wie bekommt Sachsen bezahlbaren Wohnraum, wenn die Einkommen noch immer unterirdisch sind?

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