Schon am 15. November gab es einen Offenen Brief zum entgleisten Demonstrationsgeschehen der „Querdenken“-Demo am 7. November an Stadt und Polizeidirektion. Nach der Sitzung des Innenausschusses des Sächsischen Landtages am 12. November waren noch viel mehr Fragen offen als zuvor schon. Innenminister und Polizei taten so, als wäre alles bestens verlaufen. Ein Eindruck, den zwei Leipziger Ratsfraktionen nicht teilen können. Sie schreiben den drei Hauptverantwortlichen jetzt einen Offenen Brief.

Denn mittlerweile ist auch bekannt, dass der Freistaat bei der ganzen Sache sein eigenes Spiel gespielt hat und der Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig die wichtigsten sicherheitsrelevanten Informationen vorenthalten hat. Die Richter am Oberverwaltungsgericht in Bautzen konnten in der Nacht vom 6. zum 7. November über ein Material entscheiden, das Leipzig so nicht bekommen hatte – mitsamt der polizeilichen Lageeinschätzung vom 5. November, die sich dann am 7. November als völlig realitätsfremd entpuppte.

Da haben Leipziger Stadträtinnen und Stadträte nur zu Recht ein paar Fragen an den verantwortlichen Minister, der noch immer im Amt ist, und die beiden zuständigen Präsidenten von Landespolizei und Verfassungsschutz.

Der Offene Brief:

An
Herrn Prof. Dr. Roland Wöller
Staatsministerium des Innern

Herrn Horst Kretzschmar
Landespolizeipräsidium

Herrn Dirk-Martin Christian
Landesamt für Verfassungsschutz

Leipzig, den 17. November 2020

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Wöller,
Sehr geehrter Herr Kretzschmar,
Sehr geehrter Herr Christian,

nach den Geschehnissen am 07.11.2020 und vor einer weiteren Versammlung in Leipzig am kommenden Samstag, den 21.11.2020 möchten wir die Gelegenheit nutzen, einige Zeilen an Sie zu richten.

Die Ereignisse rund um die Querdenker-Demonstration wurden in der Ratsversammlung des Stadtrats Leipzig am 11.11.2020 diskutiert, an der trotz Einladung kein Vertreter der Sächsischen Polizei teilnahm. Ebenso wie in der gemeinsamen Sitzung des Innen- sowie Rechtsausschusses des Sächsischen Landtag am 12.11.2020 zeigte sich in der Ratsversammlung ein komplexes Bild des Geschehens.

Umso mehr haben wir mit Verwunderung aus den Medien einige Verlautbarungen zur Kenntnis genommen, in denen die Verantwortung für Fehler allein bei der Stadt Leipzig verortet werden, ohne Fehler im Vorfeld zu reflektieren. Aus unserer Sicht ist es nicht hilfreich, bei komplexen Problemlagen monokausale Schuldvorwürfe in den Raum zu stellen. Unser gemeinsames Ziel sollte es vielmehr sein, aus Fehlern zu lernen und Lösungen zu suchen im Dienst der Freiheit und Sicherheit aller Bürger.

Zum wiederholten Male müssen wir feststellen, dass die Lageeinschätzungen der Sicherheitsbehörden nicht hinreichend sind und offensichtlich die Behörden des Freistaats und der Stadt unterschiedliche Kenntnisstände hinsichtlich von Gefahrenlagen haben sowie Einsatzkonzepte nicht kommuniziert und abgestimmt werden. Die Gefahr, dass sich gewaltbereite Rechtsextremisten unter die sogenannten Querdenker mischen und diese gezielt als Bühne nutzen, sollte ebenso vorher bekannt gewesen sein, wie der Umstand, dass der zentrale Treffpunkt für das Spektrum von Rechtsextremen und Hooligans um 12:30 Uhr in Leipzig auf dem Hauptbahnhof war.

Auch der Umstand, dass die Versammlung in jedem Fall auf den Ring laufen wollte, war sachkundigen Kreisen bekannt. Die Sicherheitskräfte wirkten dennoch erkennbar schlecht vorbereitet. Leider wird dieser Umstand weder in den Stellungnahmen der Verantwortlichen der Polizei noch des Innenministeriums reflektiert.

Infolgedessen müssen wir ein erhebliches Kommunikations- und Vertrauensdefizit feststellen. Dies kann nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger sein. Die Leipzigerinnen und Leipziger erwarten – auch und gerade im Hinblick auf die Versammlungen am kommenden Samstag – dass sich die Geschehnisse des 07.11.2020 nicht wiederholen. Sie erwarten, dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gewahrt und der Infektionsschutz gewährleistet wird. Sie erwarten, dass friedliche Bürger und Journalisten geschützt werden und der Innenstadtring als zentrales Symbol der Friedlichen Revolution nicht missbraucht wird. Dazu braucht es eine gemeinsame Bewertung des Geschehens und eine Verständigung über das künftige Handeln.

Wir bitten Sie daher, im zuständigen Ausschuss für Umwelt, Klima und Ordnung der Stadt Leipzig am 26.11.2020 zum Geschehen Stellung zu nehmen und deutlich zu machen, wie Sie die beschriebenen Probleme beheben und zukünftig auf solche Lagen reagieren wollen. Ferner bitten wir Sie im Interesse der Leipziger Bürger zu den aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen.

Hochachtungsvoll

Katharina Krefft, Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Leipziger Stadtrat
Dr. Tobias Peter, Vorsitzender der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Leipziger Stadtrat
Christopher Zenker, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat

Fazit zum Desaster der „Querdenken“-Demo in Leipzig: „Pfui, Herr Wöller“

Fazit zum Desaster der „Querdenken“-Demo in Leipzig: „Pfui, Herr Wöller“

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