Sabine von Schorlemer hat es sich 2010 gleich mehrfach ganz einfach gemacht. In Sachen Hochschulfinanzierung viel zu einfach. Die steigenden Studierendenzahlen haben ihr erst letzte Woche ein verschämtes "Naja, ich könnte ja mal umdenken." abgerungen. Bei der Kulturraum-Finanzierung hat sie damals ein bisschen umverteilt. Mit dramatischen Folgen. Nicht nur in Leipzig.

In Leipzig ist die gestrichene 1 Million Euro aus der Kulturraumförderung ein Teil jener Summe, die perspektivisch bei der Finanzierung der Kultureigenbetriebe fehlt. Es sind eben nicht nur die steigenden Nebenkosten, wie immer wieder kolportiert wird. Bis 2010 galt in Sachsen: Der Freistaat bekennt sich zur Förderung aller Kulturräume. Die Gelder werden gleichmäßig verteilt. Landkreise und kreisfreie Städte haben ihre Kulturpläne langfristig darauf eingerichtet.

Doch als 2010, im Vorfeld der Verhandlungen um den Doppelhaushalt 2011/2012, der Finanzminister Georg Unland seine Sparvorgaben setzte und jedem Ministerium die Bringeschuld diktierte, kam aus keinem einzigen Ministerium ein “No!”. Alle brachten – und überboten einander in den phantasievollsten Lösungen. Die für Wissenschaft und Kultur zuständige Ministerin Sabine von Schorlemer (parteilos) stopfte die Kürzungslöcher bei den Dresdner Landesbühnen durch Kürzungen beim Etat für die Kulturräume. 7 Millionen Euro verteilte sie um. In Leipzig fehlten dadurch sofort 1 Million Euro.

Im Landkreis Leipzig ging es anfangs nur um Streichungen in der Orchesterlandschaft. Doch jetzt hat sich herausgestellt: Die Decke ist trotzdem zu kurz. Der Landkreis kann noch viel weniger aus eigener Kraft abfedern als die Stadt Leipzig.

Mit Bescheid vom 21. Februar hat der Kulturraum Leipziger Raum den Antrag der Kultureinrichtung Denkmalschmiede Höfgen GmbH vom 28. März 2011 “auf Zuwendungen des Kulturraumes Leipziger Raum im Jahr 2012” abgelehnt.

Die Denkmalschmiede Höfgen befindet sich in Kaditzsch, vier Kilometer von Grimma entfernt. Herzstück der heutigen Kultureinrichtung ist ein jahrhundertealtes Landgut, das in den 1960er Jahren zur Ruine verfiel, heißt es auf der Website der auch bei Leipzigern beliebten Kultureinrichtung. Seit 1976 wurde es in Privatinitiative um- und ausgebaut. Der Vierseithof mit Ausstellungs,- Veranstaltungs,- Tonaufnahme- und Arbeitsräumen sowie Gäste-Appartements ist regelmäßig für Besucher geöffnet.

Und wer jetzt nur an Kultur denkt, irrt. Höfgen ist auch ein wesentlicher Teil der Tourismus-Konzeption des Landkreises. Der Grimmaer Ortsteil Höfgen gehört zu den 18 zertifizierten Urlaubsdörfern in Sachsen. Vom 20. bis 29. Januar 2012 präsentierte sich Höfgen mit den anderen sächsischen Urlaubsdörfern auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin.

Dazu reisten auch die Laienschauspieler der Gruppe “Theatermacher(n)” mit Wassermühlenrad aus Pappmaschee nach Berlin. Die 20 Darsteller spielten mehrfach kurze Szenen aus dem historischen Stück die “Höfgener Semmelweiber”. In frecher sächsischer Mundart wurde das Dorfleben um 1900 auf die Schippe genommen. Ihnen folgte die Gruppe Atonor. die mit außergewöhnlichen, experimentellen Klangaktionen auf das “Dorf der Sinne” aufmerksam machten. Gegründet hat Atonor der international geschätzte Klangkünstler Erwin Stache aus Beucha, der auch zu den Gründungsvätern des Internationalen Musikfestivals “Was hören wir?” der Denkmalschmiede Höfgen zählt, welches jährlich im September stattfindet.

Im Gepäck hatten die Höfgener die neue Broschüre “Lust auf Land”, in der alle 18 sächsischen Urlaubsdörfer vorgestellt werden. Aber das ist ja ein Projekt des Landwirtschaftsministers. Davon muss die Kulturministerin ja nichts wissen.

Aber vielleicht erfährt sie dieser Tage, welche Folgen ihre lockere Sparpolitik ganz konkret im Landkreis Leipzig hat.

Am Sonntag, 26. Februar laden die Höfgener um 15 Uhr nun auf den Vierseithof in Kaditzsch ein, um gegen die Schließung der gesamten Kultureinrichtung vor Ort zu protestieren. Der Hausherr, Dr. Kurt Uwe Andrich, Geschäftsführer der Denkmalschmiede Höfgen gGmbH, informiert zu den aktuellen Ereignissen und nimmt Stellung zu den Vorwürfen, die der Kulturraum Leipziger Raum gegen die Geschäftsführung erhoben hat.

Am letzten Tag der Ausstellung “Die paradiesischen Farben der Hölle” – Malerei aus Haiti war ursprünglich 15.00 Uhr eine Führung geplant, welche nicht stattfinden kann, da die Kultureinrichtung ihren Betrieb einstellen musste.Kalt überrascht wurde auch der Leipziger Dichter und Vorsitzende der Lyrikgesellschaft, Ralph Grüneberger, der in diesem Jahr von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen mit einem sechswöchigen Stipendienaufenthalt in der Denkmalschmiede ausgezeichnet wurde.

“Seit heute Vormittag weiß ich gar nicht, ob es überhaupt möglich sein wird, in Kaditzsch an meinem Manuskript zu arbeiten”, sagt er. “Ich habe auf der Stelle gegen die Schließung protestiert und werde selbstverständlich auch am Sonntagnachmittag bei der Veranstaltung in Kaditzsch anwesend sein.”

Er hat gleich nach Bekanntwerden der Schließung ein Protestschreiben an die Kulturministerin Sabine von Schorlemer, den Landrat des Landkreises Leipzig, Dr. Gerhard Gey, und die Kultursenatoren aufgesetzt.

Hier ist es:

“Sehr geehrte Frau Ministerin, Frau Prof. von Schorlemer; sehr geehrter Herr Vorsitzender des Kulturkonventes, Herr Dr. Gey, sehr geehrte Damen und Herren Kultursenatoren!

Der Kulturraum Leipziger Land hat mit der Denkmalschmiede Höfgen ein Alleinstellungsmerkmal, das in der Vergangenheit eine solche Bandbreite an kulturellen Angeboten (zwischen Kammerkonzert und Familienfest) offeriert hat, die ihresgleichen sucht. Eine Schließung dieser Einrichtung wäre ein unwiederbringlicher Verlust für Publikum und Künstler und bedeutete eine spürbare Verarmung des kulturellen Lebens im ländlichen Raum.

Zudem hat sich die Denkmalschmiede Höfgen mit ihren Studios International in der Welt einen Namen gemacht. Schriftsteller, Musiker und bildende Künstler (m/w) aus vielen Ländern und zahlreichen Kontinenten waren hier zu Gast, als Interpreten, Lesende, Ausstellende bzw. haben diesen Ort für eine gewisse Zeit als ihren Schaffensort erwählt. Und die Mischung an Stipendiaten war nicht nur interdisziplinär und international, nein, in Kaditzsch entstand keine elitäre Enklave. Vielmehr wurde auch Schriftstellern, bildenden Künstlern und Musikern (m/w) aus ganz Deutschland und sogar aus der Region die Möglichkeit geboten, in dieser die Kreativität dienlichen Umgebung für sich ein Rückzugsgebiet zu finden.

Ich selbst habe in der Denkmalschmiede den Essay für das Buch “Privatleben” (2003) schreiben können, desgleichen die Gedichte für den Band “Die Sonne steht über Nimbschen” (2005; beide mit Fotografien des Grimmaer Fotografen Gerhard Weber), einen Teil der “Männergeschichten” (2006) und zuletzt entstand im Jahre 2005, bei meinem bisher letzten Aufenthalt, der Grundstock für den 2011 erschienenen Gedichtband “Bunte Pleite. Nachrichten aus der Provinz”.

Das Titelgedicht “Bunte Pleite” bezieht sich im Übrigen auf ein Autohaus, das schließen musste. Und wir wissen aus der jüngsten und jüngeren Vergangenheit, dass insolvente Autokonzerne und Banken unter dem Einsatz von Steuergeldern gerettet und stabilisiert worden sind. Der Erhalt der Kultur sollte uns deshalb ebenso wichtig sein.

Sie in Ihren wichtigen Positionen können entscheidend dazu beitragen. Bitte tun Sie dies.

Ich danke Ihnen vorab und verbleibe mit freundlichen Grüßen

Ralph Grüneberger”Auch der Leipziger Grafiker Andreas Stötzner, Mitglied des Fachbeirates der Denkmalschmiede Höfgen, schrieb einen Protestbrief an Staatsministerin Prof. Sabine von Schorlemer (Dresden) und Landrat Dr. Gerhard Gey (Borna), in dem er sein Unverständnis für die Streichung deutlich machte.

“Sehr geehrte Frau Staatsministerin Prof. von Schorlemer,
sehr geehrter Herr Landrat Dr. Gey,

die Denkmalschmiede Höfgen in Kaditzsch bei Grimma ist, wie ich heute erfuhr, durch Nichtgewährung der institutionellen Förderung durch den ?Kulturraum Leipziger Raum? unmittelbar von der Schließung bedroht. Dem Muldenland würde eine herausragende, international renommierte und regional hochangesehene Kulturinstitution verlorengehen.

Die Denkmalschmiede Höfgen ist seit etwa zwanzig Jahren kontinuierlich auf vielen Feldern der Kultur, der Künste und der Landesentwicklung tätig. Die lebendige Verbindung der verschiedenen Sparten zeichnet sie in besonderem Maße aus und hat zu ihrer hohen Beliebtheit geführt. Insbesondere die vielfältigen Angebote für Kinder und Jugendliche sind in ihrer sozialen und erzieherischen Bedeutung nicht hoch genug einzuschätzen. Die Denkmalschmiede Höfgen ist eine in ihrer Art einmalige Einrichtung, sie ist ein Aushängeschild des Landkreises Leipzig. Diese Erfolgsgeschichte wurde nicht zuletzt ermöglicht durch die bisherige langfristige Förderung durch den Landkreis bzw. den Kulturraum.

Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum diese Erfolgsgeschichte nun abrupt beendet werden soll. Sparbemühungen allein können der Grund nicht sein.

Der Verlierer wären die Menschen in der Grimmaer Region und darüber hinaus. Darum protestiere ich nachdrücklich gegen eine kurzsichtige Politik, die das Land einer ihrer profiliertesten Kultureinrichtungen berauben würde. Es kann nicht sein, daß die Öffentliche Hand jahrelang erhebliche Fördermittel zur Entwicklung des ländlichen Raumes investiert und die Früchte der Arbeit vieler nun plötzlich nichts mehr wert sein sollen.

Bitte prüfen Sie ernsthaft jede nur denkbare Möglichkeit, der Denkmalschmiede Höfgen einen gangbaren Weg in die Zukunft zu eröffnen.

Mit hochachtungsvollem Gruß,

Andreas Stötzner”

Kulturraum Landkreis Leipzig: www.kultur-leipzigerraum.de

Denkmalschmiede Höfgen: www.hoefgen.de

http://de-de.facebook.com/pages/Denkmalschmiede-Höfgen

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