Was Deutschlands Metropolen an Einwohnern gewinnen, verlieren die Landkreise um sie herum. Deutschlands Landkreise könnten lebenswerte Regionen bleiben, wenn sie demografischen Wandel mit Mut meistern, argumentierte jüngst Bundespräsident Joachim Gauck. L-IZ hat in Mitteldeutschland nachgefragt, wie Landkreise die Herausforderung annehmen - heute die Antworten von Burglandkreis-Landrat Harri Reiche.

Herr Landrat, wie konkret ist der Burgenlandkreis vom demografischen Wandel betroffen?

Zum Zeitpunkt des Zusammenschlusses von Burgenlandkreis und dem Landkreis Weißenfels am 1. Juli 2007 wohnten im neuen Burgenlandkreis 203.914 Einwohner. Bis Ende des Jahres 2012 setzte sich der Einwohnerrückgang weiter fort. Nun liegt die Einwohnerzahl bei circa 190.000 Einwohnern.

Danach verliert der Burgenlandkreis jährlich durchschnittlich 2.500 Einwohner. Dieser Rückgang setzte sich 2011 zu 44 Prozent aus dem Wanderungsverlust und zu 56 Prozent aus dem Geburtendefizit zusammen. Der Grund für den Bevölkerungsrückgang wird sich zukünftig weiter in Richtung Defizit zwischen Geburten und Sterbefälle verschieben, so dass der Wanderungsverlust abnehmen wird.

Besonders schwerwiegend ist in den letzten zwei Jahren der Weggang von ca. 1.300 jungen Einwohnern im Alter von 18 – 26 Jahren. Davon sind circa 800 Frauen und circa 500 Männer. Die Unterpräsenz der weiblichen Bevölkerung wird in der Folge das Defizit zwischen Geburten und Sterbefällen noch weiter vergrößern.

Die Menschen im Burgenlandkreis werden also weniger, aber älter?

In der Tat: Die Altersgruppe der Über-65-Jährigen wird trotz des weiteren Rückgangs der Gesamtbevölkerung zunehmen. Jeder dritte Einwohner wird im Jahr 2025 über 65 Jahre sein.

In manchen Orten könnte der Anteil sogar bei 40 bis 50 Prozent der Einwohner liegen. Diese Zahlen stellen eine gewaltige Herkulesaufgabe dar, die in den neuen Bundesländern wie in keinem anderen europäischen Land in den nächsten Jahren zu lösen ist.

Der Burgenlandkreis hat diese Entwicklung rechtzeitig vorausgesehen und seit 2006 zahlreiche Maßnahmen eingeleitet, die die Abwanderung junger Menschen verringern sollen und frühzeitig Chancen für eine berufliche Perspektive im Burgenlandkreis aufzeigen sowie gleichzeitig die Rahmenbedingungen für einen attraktiven Wohnstandort für alle Altersgruppen fördern.
Der Burgenlandkreis ist Teil des Ballungsraumes Leipzig/Halle. Inwieweit schlägt sich die geografische Lage demografisch nieder?

Der Burgenlandkreis hat sich schon sehr frühzeitig als Teil des Ballungsraumes Mitteldeutschland begriffen und mit einer Reihe von Maßnahmen die Integration in diesen Raum vorangebracht. Stellvertretend hierzu ist die Mitarbeit in der Regionalen Planungsgemeinschaft Halle, im Regionalforum Halle und Mitteldeutschland sowie im Mitteldeutschen Verkehrsverbund zu nennen.

Ausdruck der engen Zusammenarbeit im Mitteldeutschen Raum ist die gemeinsame Erklärung zur engeren Zusammenarbeit der Regionen Halle und Leipzig vom Dezember 2012.

Insbesondere durch die guten verkehrlichen Anbindungen im ÖPNV sind die Voraussetzungen für Pendlerverflechtungen zwischen dem Burgenlandkreis und den Oberzentren Halle und Leipzig gegeben. Wohnen im Burgenlandkreis und Arbeiten in und um Halle und Leipzig stellen kein Problem dar.

Mancherorts hält man genau solche ÖPNV-Verbindungen für verzichtbar. Sehen Sie da Gefahren für den Burgenlandkreis?

Die Verkehrsbeziehungen werden künftig mit Inbetriebnahme des Mitteldeutschen S-Bahnnetzes weiter verdichtet und zwischen Naumburg und Leipzig als Direktverbindung qualitativ ausgewertet.

Die mittlerweile gut ausgebaute Infrastruktur macht ein tägliches Pendeln auch für junge Familien möglich, die im Burgenlandkreis aufgrund der attraktiven Lebensbedingungen mit hohem Freizeitwert ihren Lebensmittelpunkt gestalten und auf die Arbeit in die umliegenden Oberzentren, auch nach Jena und Erfurt pendeln.

Die geografische Lage des Burgenlandkreises im Zentrum von Mitteldeutschland wird im Rahmen des Standortmarketings schon viele Jahre aktiv beworben und ist die beste Voraussetzung, die demografischen Herausforderungen durch die Dynamik der umliegenden Oberzentren gemeinsam zu lösen.

“Wenn wir dem Mut und nicht dem Zweifel die Vorfahrt geben, wird Deutschland den demografischen Wandel meistern, und unsere Landkreise werden bleiben, was sie sind: lebenswerte Regionen”, argumentierte Bundespräsident Joachim Gauck jüngst auf der Landkreisversammlung in Berlin vor den versammelten Landräten. Was macht Ihnen für die demografische Zukunft im Burgenlandkreis Mut?

Der Burgenlandkreis hat 2004, und damit rechtzeitig begonnen, konkrete Maßnahmen zu entwickeln, die den demografischen Wandel begleiten.
Besonders wichtig ist mir die Jugendstrategie mit aktuell 21 abgeschlossenen Lernpartnerschaften. Da engagieren sich bereits über 70 Unternehmen für die Berufsorientierung der Schüler. Der Bereich Schule-Wirtschaft ist gegenwärtig auch Vorbild-Praxis für die Europäischen Projektpartner im EU-Projekt Yura, das sich auch dem Thema “Abwanderung der Jugend aus ländlichen Regionen” widmet.

Wir wollen die Jugend schon bei der Berufsorientierung stärker an die Region binden. Seit 1998 findet jährlich die Berufsinformationsmesse mit über 80 Unternehmen statt und seit 2005 gibt es die BLK-Praktikumsbörse www.blk-de.

Die Stiftung Aufbau Unstrut-Finne vergibt Stipendien an Studenten aus dem Burgenlandkreis, um so die Rückkehrquote der Akademiker zu steigern. Bisher werden 36 Studenten mit 250 Euro pro Monat unterstützt.

Familienfreundlichkeit wird immer mehr zu einem harten Standortfaktor im Wettbewerb der Regionen. Wie gehen Sie im Burgenlandkreis diese Thematik an?

Wir arbeiten an einer familienfreundlichen Entwicklung. Nicht zu unterschätzen ist die Arbeit unserer lokalen Netzwerke. Das Netzwerk Familie beispielsweise entwickelt Netzwerkstrategien für Alleinerziehende, so dass auch diese eine Zukunft im Burgenlandkreis haben.

Für jede Familie steht im Burgenlandkreis ein Kinderbetreuungsplatz für Kinder von 0 bis unter 14 Jahren zu moderaten Preisen zur Verfügung.

Das andere große Thema ist drohender Fachkräftemangel …

Die Unternehmensnetzwerke aus den Branchen Gesundheit, Logistik, Ernährung, Metall versuchen aktiv, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Der Burgenlandkreis stellt zusammen mit dem Bündnis für Innovation, Wirtschaft und Arbeit sowie dem Kreistag durch aktive Netzwerk- und Projektarbeit die Weichen, um den demografischen Wandel mit Lösungen und Maßnahmen zu begegnen.

Um die Formulierung des Bundespräsidenten aufzunehmen: Mut machen mir letztendlich die Bürgerinnen und Bürger und besonders die Jugendlichen, die sich Tag für Tag im Ehrenamt, in den Vereinen, in der Wirtschaft und den Schulen für eine gemeinsame Perspektive und Zukunft im Burgenlandkreis engagieren.

Wir sind bemüht, jedem Jugendlichen eine berufliche Chance im Burgenlandkreis zu geben und so dem drohenden Fachkräftemangel aktiv entgegen zu wirken. Wenn wir es verstehen auch durch den laufenden Leitbildprozess “Alle mitnehmen …”, können wir aus eigener Kraft den demografischen Wandel meistern.

“Wer bestellt, bezahlt”. Mit diesen eingängigen Worten mahnen Kommunalpolitiker die Landes- und Bundesebene, mit neuen Aufgaben auch frisches Geld an die Kommunen zu reichen. Wie tief stehen denn Land und Bund so gesehen bei Ihnen in der Kreide?

Der demografische Wandel ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Herausforderung, die nur gemeinsam mit Bund, Land und der EU zu lösen ist. Mit zielgerichteten Programmen muss die Möglichkeit der Hilfe zur Selbsthilfe weiter aktiv unterstützt und finanziell begleitet werden.

Wie die Mittel verwendet werden, liegt in der Verantwortung der Regionen und der Gebietskörperschaften. Wir im Burgenlandkreis sind bemüht, durch eine enge Zusammenarbeit mit den Städten und Gemeinden sowie im Bündnis für Innovation, Wirtschaft und Arbeit die Fördermittel gezielt und nachhaltig einzusetzen.

Dabei ist der Burgenlandkreis bemüht, mit einer der niedrigsten Kreisumlagen im Land Sachsen-Anhalt den Kommunen eigene Spielräume zu eröffnen und eine nachhaltige Infrastruktur zu unterstützen. Beispielhaft stehen dafür die Industriegebiete an der A9, der Chemie- und Industriepark Zeitz, das Industriegebiet Karsdorf, das gut ausgebaute Radwegenetz, die Arche Nebra, das Sonnenobservatorium Goseck. Und vielleicht zählt die mittelalterliche Herrschaftslandschaft an Saale und Unstrut bald zu den Welterberegionen Deutschlands.

Die sozialen Sicherungssysteme für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen müssten demografiefest werden, sonst drohe den Kommunen die Überlastung, heißt es von den Landkreisen. Was genau erwarten Sie bei diesen Themen vom Bundesgesetzgeber?

Momentan sind die sozialen Sicherungssysteme für Pflegebedürftigkeit und Menschen mit Behinderung durch Bundesgesetzgebung geregelt, auch in finanzieller Hinsicht. Wenn dies zukünftig eventuell nicht mehr sein sollte, werden dann die Probleme zuerst bei den Kommunen zu Tage treten. Das heißt: Stabile gesetzliche Regelungen bei den sozialen Sicherungssystemen sind notwendig.

Ansonsten haben die Kommunen eine Verantwortung in der Daseinsvorsorge für ihre Einwohner, die Pflegebedürftigkeit und Menschen mit Behinderung mit einschließt. Bei Einschränkungen des finanziellen Handlungsspielraumes vieler Kommunen werden auch diese Personengruppen von gewissen Einschränkungen bei der Daseinsvorsorge – zum Beispiel bei der Instandsetzung der Gehwege – nicht verschont bleiben.

Vielen Dank für das Gespräch.

www.burgenlandkreis.de
www.landkreistag.de

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