Als die Mitglieder der Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ den Koalitionsvertrag von Union und SPD lasen, waren sie entsetzt. Ein Passus zum Flugverkehr kündigte die massive Ausweitung des Frachtflugbetriebs am Flughafen Leipzig/Halle mit internationalen Charterflügen an. Am 13. Februar ging die Bürgerinitiative mit einer geharnischten Presseerklärung an die Öffentlichkeit. Und ein paar Politiker sagten auch was dazu.

Im MDR am 14. Februar zum Beispiel. Da verteidigte der CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz die Ausweitung der Landerechte am Flughafen Leipzig/Halle und erklärte den Ausbau des Frachtflughafens für Ostdeutschland für dringend nötig. Immerhin: Die Anwohner im Fluglärmgebiet bedauerte er. Aber es ginge nicht anders.

Was Matthias Zimmermann, Sprecher der Bürgerinitiative, so nicht stehen lassen will. Zumindest freut er sich, dass Vaatz sich überhaupt zu diesem Thema geäußert hat. „Zunächst danke, der Flughafen selbst und die Stadt Leipzig hüllen sich ja bis jetzt in Schweigen“, schreibt er. „Gleichwohl kann das von Ihnen gegenüber dem MDR Gesagte nicht unwidersprochen bleiben. Insofern wende ich mich in einem Offenen Brief an Sie. Ich verbinde damit die Hoffnung, eine breite Diskussion zum einen darüber zu entfachen, wie der Luftverkehr, wie alle anderen Verkehrsträger auch, ebenfalls einen Beitrag zur Reduzierung der Lärm- und Schadstoffbelastung der Bevölkerung leisten kann und zum anderen, warum im Osten Deutschlands offensichtlich andere ‚demokratische‘ Spielregeln gelten sollen, als im übrigen Bundesgebiet. Und dies ausgerechnet auch noch befördert von Ostdeutschen Politikern.“

Denn das Problem ist nicht der Ausbau des Flughafens. Es ist die Unfähigkeit der verantwortlichen Politiker, über so ein Projekt offen und ehrlich zu sprechen. Es wurden und werden Versprechungen gemacht – und nicht gehalten. Hinter den Kulissen werden andere Zusagen gemacht als in der Öffentlichkeit.

Mit einer transparenten und für die Bürger nachvollziehbaren Politik hat das nichts zu tun.

In einem Offenen Brief an Arnold Vaatz listet Zimmermann nun alle diese Ungereimtheiten noch einmal auf.

Und am Ende kommt er zu der sachlichen Feststellung: „Dies alles geschah in Haupt-Regierungsverantwortung der CDU.“

Und augenscheinlich waren es auch die sächsischen Verhandlungsteilnehmer in den Koalitionsverhandlungen, die den Passus in den Koalitionsvertrag gedrückt haben. Denn bevor die chinesischen Charterflieger in Leipzig landen, muss der Bund erst einmal die Regeln dafür lockern.

Nur eine Betroffenengruppe interessiert die Wirtschaftslenker der CDU augenscheinlich wieder gar nicht: die Anwohner.

Was Zimmermann dann so zusammenfasst: „Ich stelle mir zudem die Frage, warum die Verhandlungsteilnehmer zur GroKo, zu denen Sie ja gehörten, wenn sie schon eine derartige präzise Zielstellung zum Flughafen eingebracht haben, nicht gleichzeitig mindestens ebenso präzise und verbindlich Fluglärmschutzmaßnahmen festgelegt haben? Warum wurden in den Koalitionsvertrag nicht gleichzeitig und in Abhängigkeit einer Entscheidung zu den Landeflugrechten Mediationsforen wie am Flughafen Frankfurt sowie Lärmpausen verbindlich festgelegt? Ist die Lebensqualität und Gesundheit der Bevölkerung nicht mindestens ebenso wichtig, wie angeblich ein Frachtflughafen direkt an Leipzig ‚essentiell für Mitteldeutschland‘? Wo es doch noch in Magdeburg, Erfurt, Dresden ebenfalls Flugplätze gibt, die auf Auslastung warten.“

Dass Vaatz überhaupt an die Lärmbetroffenen denkt, rechnet er ihm sogar an.

Denn ein Leipziger CDU-Abgeordneter hat mit ganz anderen Tönen auf sich aufmerksam gemacht: „Mir liegt es fern, alle Äußerungen ihres Parteikollegen und Landtagsabgeordneten Andreas Nowak gegenüber dem MDR zum Thema zu zerpflücken. Es würde den Umfang dieses Briefes sprengen. Wenn er aber, offensichtlich Ihnen sekundierend, aus voller Brust dem Zuhörer näherzubringen versucht, der Fluglärm am LEJ sei erträglich, schließlich habe er zu DDR-Zeiten auch in der Flugschneise gelebt und das wäre noch viel lauter gewesen, darf man doch von mehr als einem gewissem Realitätsverlust sprechen. Angeschickt sei noch, dass diese Flugzeuge, von denen er sprach, auch heute noch das Ohr der Anwohner ‚beglücken‘. Nur fliegen die russischen AN’s heute nicht ab und zu mal am Tage nach Burgas oder Moskau, sondern viel öfter in die freie Welt und nachts.“

Der MDR-Beitrag erzählt zwar von stolzen 140 Millionen Euro, die seit 2007 in Lärmschutz am Flughafen investiert wurden. Aber das sind Gelder, zu denen der Flughafenbetreiber gesetzlich verpflichtet ist, kein Geschenk oder gar eine Gnade. Und gerade im direkten Überfluggebiet hilft auch der passive Schallschutz nichts. Der ist nämlich nicht wirklich dafür gedacht, auch die Nachtruhe zu sichern. Die Leute schlafen im Keller, wie Zimmermann erklärt.

Ein Frachtflughafen mit Nachtbetrieb hätte völlig anders konzipiert werden müssen. Aber um ihn genau so hinzusetzen, wie er da steht, wurde schon seit 2004 getrickst, gemauschelt und vernebelt, was das Zeug hielt.

Das ganze Vorgehen erzählt von der alten Verhaltensweise, die in Sachsen seit 2004 üblich war und ist: Erst schafft man die Freiheit für unbeschränkten Frachtflugbetrieb – aber dann hält man es keiner Mühe mehr wert, den Betroffenen vor Ort tatsächlich belastbare Zusagen und Erleichterungen zu verschaffen oder gar die planfestgestellten Regeln einzuhalten.

Der Offene Brief an Arnold Vaatz.

Das Siedlungsbeschränkungsgebiet am Flughafen Leipzig/Halle soll deutlich größer werden

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