Wenn eine junge Dame namens Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf trällert, sie mache sich die Welt, widi wie sie ihr gefällt, dann ist das noch lustig. Aber wenn Politiker beginnen, so zu agieren, wird's heikel. Denn Politik sollte im besten Fall so sein, dass sie die Realitäten so nimmt, wie sie sind. Auch die demografischen. Doch der Pippi-Langstrumpf-Effekt hat die sächsische CDU erfasst.

Am Donnerstag, 21. März, gab es im Innenausschuss des Sächsischen Landtages die Sachverständigenanhörung zum Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Sächsischen Wahlgesetz. Das muss geändert werden, weil sich seit der letzten Änderung im Jahr 2003 gewaltig was verschoben hat in der sächsischen Landschaft. Im Jahr 2000 hatte Sachsen noch 4.425.581 Einwohner. Jährlich zogen über 80.000 junge Sachsen fort. Der Bevölkerungssaldo lag bei 40.000 Personen – im Negativen.

Damals lebten rund 1,225 Millionen Sachsen in den drei Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz – über 3,2 Millionen hingegen in den Landkreisen. Das Bild hat sich 2012 deutlich gewandelt. Der Bevölkerungsverlust hat sich deutlich reduziert, liegt mittlerweile unter 10.000 pro Jahr. Die offizielle Bevölkerungszahl für Sachsen lag per 31. Dezember 2012 (vorläufig) bei 4.131.303. Davon aber lebten schon 1,32 Millionen in den drei Großstädten, nur noch 2,8 Millionen in den Landkreisen. Übrigens eine Verschiebung, die der “Demografiemonitor” der Landesregierung bei all seiner Detailiertheit nicht sichtbar macht.

Aber es ist der derzeit wichtigste – weil folgenreichste Demografie-Trend. Er sorgt nicht nur dafür, dass sich das wirtschaftliche Gewicht der Großstädte immer mehr verstärkt. Auch ihr Bevölkerungsanteil an der Gesamtbevölkerung wuchs deutlich – von 27,5 Prozent auf 32 Prozent. Trend: weiter so. Damit aber müssten sich auch die Wahlkreiszuschnitte ändern, wenn eine einigermaßen gerechte Stimmenverteilung für alle Sachsen gewährleistet werden soll. Die Großstädte müssen mehr Wahlkreise bekommen. Aber auch die Zahl der Direktmandate ist ein Problem. Immer häufiger genügen in Sachsen Wahlergebnisse um 30 Prozent, um ein Direktmandat zu erringen. Das Ergebnis ist – wie im aktuellen Landtag zu sehen – eine deutliche Überziehung der Zahl der Landtagsmandate (offiziell 120). Um satte 12 Mandate musste der Landtag aufgestockt werden, damit überhaupt alle Parteien, die die 5-Prozent-Hürde überwanden, ihrem Stimmanteil gemäß im Landtag vertreten sind. Bis auf zwei Direktmandate konnte die CDU alle Direktmandate holen.

Und es ist vor allem die CDU, die nun versucht, das neue Wahlgesetz so hinzutrimmen, dass sie wieder möglichst alle Direktmandate bekommt. Über die seltsamen Wahlkreiszuschnitte in Dresden, Chemnitz und Leipzig, wo konkurrierende Parteien am ehesten die Chance haben, ein Direktmandat zu bekommen, hat die L-IZ mehrfach berichtet.

Doch statt die Realitäten zu nehmen, wie sie sind und auch die großstädtischen Trends in Sachsen auch per Gesetz zu akzeptieren, kämpft die CDU/FDP-Regierung um ihr etwas eigensinniges Wahlgesetz.

Vorsitzende der Wahlkreiskommission darf nicht sprechen

Zum Eklat kam es im Innenausschuss, als Innenminister Markus Ulbig (CDU) gar der Vorsitzenden der Sächsischen Wahlkreiskommission und Präsidentin des Statistischen Landesamtes, Prof. Irene Schneider-Böttcher, eine Stellungnahme im Ausschuss untersagte. Oder auch nicht. So klar wurde das auch am Donnerstag nicht.

Am Rande der Anhörung hieß es, dass er am Mittwoch die dienstliche Aussagegenehmigung verweigert hat. Prof. Schneider-Böttcher war als Sachverständige zur Anhörung des Gesetzentwurfes in den Innenausschuss des Sächsischen Landtag eingeladen worden.

“Die Verhängung des Maulkorbs gegenüber der sächsischen Fachfrau ist eine Unverschämtheit. Offenbar steht der Gesetzentwurf auf sehr wackligen Füßen, wenn der Innenminister zu solchen Maßnahmen greift”, kommentierte Eva Jähnigen, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, den Vorgang noch vor Sitzungsbeginn. “Wir werden im Laufe der heutigen Innenausschusssitzung die Anhörung des Berichts der Wahlkreiskommission, der Frau Schneider-Böttcher vorsteht, beantragen. Gegenüber dem parteipolitisch motivierten Entwurf der Staatsregierung war der Vorschlag der Wahlkreiskommission objektiv und plausibel. Die Argumente dürfen daher nicht unter den Tisch fallen.”

Nur beißen sich die Vorschläge der Wahlkreiskommission mit den Erwartungen der CDU-Fraktion.

Da aber die Vorsitzende der Kommission im Ausschuss nicht erläutern durfte, was man sich gedacht hatte, tat die CDU dann einfach mal so, als wäre alles in Ordnung.

Christian Hartmann, stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreises Innenpolitik, am Donnerstag: “Der vorgelegte Gesetzentwurf ist verfassungsgemäß und rechtskonform. Dies bestätigten alle gehörten Sachverständigen, die ihrerseits deutlich machten, den Entwurf bedenkenlos mittragen zu können. Verschiedene Änderungen und Ergänzungen wurden angesprochen, die jedoch zu keinen unmittelbaren Auswirkungen führen.”

Richtig süß die Formulierung “alle gehörten Sachverständigen”. Man merkt: Da hat jemand seine Pippi-Langstrumpf-Bücher gelesen.

“Es ist noch einmal herauszustellen, dass der Bericht der Wahlkreiskommission lediglich eine Empfehlung darstellt und keine rechtliche oder verpflichtende Bindung des Gesetzgebers zur Folge hat”, betont Hartmann dann noch extra, damit ja auch klar wird: Wenn etwas zum Beschluss in den Landtag kommt, dann ist es der Entwurf der Regierungskoalition. Schon gar nicht mit der von den Grünen gewünschten Verringerung der Direktmandate. “Von einer Verringerung der Anzahl der Direktwahlmandate sieht die Mehrheit der gehörten Experten aus rechtspolitischen Gründen ab”, erklärte Hartmann. “Wir werden nunmehr mit dem Ergebnis der Expertenanhörung in die Beratung eintreten und hoffen so noch vor der Sommerpause das Gesetz verabschieden zu können.”

Man ahnt schon, wie es aussehen wird.Opposition empört über Redeverbot

“Was heute geschehen ist, ist ein ungeheuerlicher und bislang wohl einmaliger Vorgang in der Geschichte des Sächsischen Landtages. Einer vom Parlament zur Ausschuss-Anhörung eingeladenen Sachverständigen wurde durch die Staatsregierung untersagt, gegenüber dem Gremium zu einem vorliegenden Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Hier wird nicht nur die Gewaltenteilung völlig auf den Kopf gestellt, dieses durch den Innenminister gegenüber der Präsidentin des Statistischen Landesamtes und Vorsitzenden der Sächsischen Wahlkreiskommission Frau Prof. Schneider-Böttcher verhängte Redeverbot ist eine Brüskierung des gesamten Parlamentes”, kommentiert der innenpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Dr. André Hahn, den Vorgang im Ausschuss.

“Der Vorgang ist politisch verheerend und durch nichts zu rechtfertigen. Wenn Änderungen des Sächsischen Wahlgesetzes und ein Neuzuschnitt der Wahlkreise für die Landtagswahlen auf der Tagesordnung stehen, ist es geradezu geboten, die Vorsitzende der Wahlkreiskommission anzuhören, deren Bericht Grundlage für den Gesetzentwurf der Staatsregierung war”, stellt er fest. “Dies gilt umso mehr, wenn die Regierung ohne erkennbaren Grund in mehreren Punkten von den Empfehlungen der Kommission abgewichen ist. Gerade weil die letzte Entscheidung durch den Landtag zu treffen ist, haben die Abgeordneten einen Anspruch darauf, authentisch zu erfahren, wie die Wahlkreiskommission ihre Vorschläge begründet.”

Dass der Minister damit in die Rechte des Landtags eingriff, sieht Hahn als Warnung. “Es darf zudem nicht Schule machen, dass Minister geladenen Sachverständigen, die zugleich auch Beamte oder Angestellte des Landes sind, einen Maulkorb verpassen, wenn sie absehbar gegenüber dem Parlament Positionen vertreten werden, die der Staatsregierung nicht gefallen. Wenn man das zu Ende denkt, dann könnte künftig jedem Rektor oder Hochschullehrer, der sich in einer Anhörung mutmaßlich kritisch zum Hochschulgesetz oder zum Landeshaushalt äußern will, sein Erscheinen vor dem zuständigen Fachausschuss von der Regierung verboten werden.” Sein Schluss ist erstaunlich, aber auch irgendwie logisch: “So agiert man in Diktaturen, aber nicht in Demokratien.” Und: “Innenminister Ulbig hat sich einmal mehr als Mitglied der Staatsregierung disqualifiziert. Ministerpräsident Tillich müsste eigentlich endlich handeln, aber er wird es vermutlich wieder nicht tun – ‘sächsische Verhältnisse’ eben …”

Dass damit die Demokratie tatsächlich geschädigt wird, betonte im Anschluss Eva Jähnigen, die innenpolitische Sprecherin der Grünen: “Ein so sensibler Bereich wie das Wahlrecht muss nicht nur vollständig verfassungskonform sondern auch über jeden Verdacht der parteipolitischen Einflussnahme erhaben sein. Die von den Sachverständigen aufgezeigten Mängel im Entwurf der Staatsregierung müssen daher behoben werden. Dem Vorschlag der Wahlkreiskommission sollte die Regierung weitestgehend Folge leisten.”

Und sie entdeckte auch im “Rest” der Anhörung nicht das vollmundige Lob für den Regierungsentwurf. “Die geladenen Sachverständigen bescheinigten dem Gesetzentwurf zwar eine grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit, aber auch eine politische Ausgestaltung zu Gunsten der größten Partei. Bei den Einzelzuschnitten der kreisfreien Städte mahnten mehrere Experten Änderungen an. So forderte Prof. Dr. Peter Musall, ehemaliger Rektor der Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung Meißen, eine Nachbesserung bei den Wahlkreisen in Dresden und Chemnitz und verwies auf den abweichenden Vorschlag der Wahlkreiskommission.”

Und Kritik gab es sichtlich auch für die Größen der Wahlkreise im neuen Wahlgesetzentwurf. Jähnigen: “Die Wahl-Mathematikerin Kai-Friederike Oelbermann veranschaulichte, dass der Vorschlag der Staatsregierung gegenüber dem der Wahlkreiskommission deutlichere Abweichungen bei der Wahlkreisgröße aufweist. Es ist daher objektiv betrachtet nicht nachvollziehbar, warum die Staatsregierung dem Vorschlag der Wahlkreiskommission nicht folgt. Die Verweigerung der Aussagegenehmigung für die Landeswahlleiterin Prof. Irene Schneider-Böttcher ist da nur die konsequente Fortsetzung der bisherigen Ignoranz gegenüber der Wahlkreiskommission.”

Innenministerium: Es gab kein Redeverbot

Aber auch das Innenministerium sieht sich falsch verstanden. Es hätte kein Redeverbot für die Präsidentin des Landesamtes für Statistik gegeben, die von der SPD-Fraktion als Sachverständige zur Anhörung geladen war.

“Die Tätigkeit als Sachverständige gehört nicht zur unmittelbaren Dienstpflicht, ist aber ein völlig normaler Vorgang, der sich beamtenrechtlich regelt”, betont das Ministerium. Auf diese Regelungen im Beamtenrecht sei Frau Prof. Schneider Böttcher mit Abteilungsleiter-Schreiben vom 19. März 2013 nochmals hingewiesen worden. Darin heiße es: “Die dienst- und organisationsrechtlichen Vorschriften verdeutlichen, dass Beamte ihr auch dienstlich erworbenes Wissen auch im privaten Bereich nutzen können.”

“Dieser Satz beschreibt die Rechtslage”, so das Innenministerium in seiner Stellungnahme. “Beamte dürfen grundsätzlich als Sachverständige auftreten. Sie treten dann aber als Privatpersonen auf, die nicht für ihren Dienstherren sprechen. Andernfalls wäre die Unabhängigkeit als Sachverständiger nicht gewährleistet, weil das besondere dienstrechtliche Beamtenverhältnis gälte.
Das Innenministerium hat damit der Tätigkeit von Frau Prof. Schneider-Böttcher als Sachverständige ausdrücklich zugestimmt. Es liegt weder eine ‘Brüskierung des Parlaments’ noch ein ‘Redeverbot’ vor. Offenbar ist die Aufregung ein bedauerliches Missverständnis.”

Und weil diese Mitteilung des Innenministeriums augenscheinlich alles klar gestellt hat, hier die Retourkutsche von CDU und FDP:

“Der Vorwurf der Linksfraktion und Grünen ist absolut unbegründet. Ein angeblich durch das Innenministerium gegenüber Frau Professor Schneider-Böttcher erteiltes Redeverbot hat es nie gegeben. Die Art und Weise, wie sich die Opposition zu Lasten von Frau Böttcher-Fischer mit gestreuten Falschaussagen und willkürlichen Tatsachenbehauptungen versucht, politisch zu etablieren, ist ein durch und durch skandalöser Vorgang”, meint Christian Hartmann. “In diesem Zusammenhang den Vergleich zu Diktaturen herzustellen, ist eine absolute Frechheit. Wie peinlich steht es Linken und Grünen zu Gesicht, dass die Vorsitzende des Innenausschusses, die SPD-Abgeordnete Petra Köpping, die haltlosen Anschuldigungen in einer Pressemitteilung richtig stellen muss?”

Und Carsten Biesok, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag: “Herr Dr. Hahn hat ohne Kenntnis der tatsächlichen Sach- und Rechtslage einen Skandal herbeigeredet, der nie bestand. Frau Schneider-Böttcher hatte die Möglichkeit, als Sachverständige ihren Sachverstand einzubringen. Jetzt fehlt Dr. Hahn der Mut, seinen Fehler einzugestehen. Er muss akzeptieren, dass sich andere an Recht und Gesetz halten, auch wenn ihm das nicht passt. Wer austeilt, muss sich nach einem groben Foul auch entschuldigen können. Das Verhalten von Dr. Hahn lässt eine klare Charakterschwäche erkennen. Und dass ausgerechnet die Linksfraktion mit hohem moralischen Ethos über Demokratie und Diktaturen doziert, ist peinlich und beschämend.”

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