Am Mittwoch, 19. Juni, hielt Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich die erwartete Regierungserklärung zum Hochwasser. "Das Hochwasser hat aber auch deutlich gezeigt, dass Sachsen aus der Flut im Jahr 2002 gelernt hat und vieles viel besser funktioniert hat", sagte er. Aber auch: Der Kampf mit den Naturgewalten lehre Demut und mache deutlich, dass es keinen absoluten Schutz gebe. Aber lernt er was draus? - Die Opposition zweifelte in ihren Rede-Beiträgen unüberhörbar deutlich.

Denn Tillich bekräftigte in seiner Erklärung auch die Absicht der Landesregierung, Hochwasserschutz-Projekte noch schneller umzusetzen. Dabei helfen soll auch eine Art Vorfahrtregelung – die gemeinsame Gesetzesinitiative mit Bayern zur Beschleunigung von Baumaßnahmen beim Hochwasserschutz. Zwar soll nach seinen Worten analysiert werden, wo das bestehende Konzept funktioniert hat und wo es noch Korrekturbedarf gibt. “Wir wollen künftig noch besser auf solche Ereignisse vorbereitet sein, wie wir sie jetzt wieder erleben mussten.”

Aber “das bestehende Konzept” wurde nach 2002 eben nur halb umgesetzt, wichtige Vorhaben blieben auf der Strecke, wichtige politische Weichenstellungen wurden unterlassen. Das Ergebnis waren zwar viele starke Deiche – aber die integrierten Hochwasserschutzkonzepte sind Zukunftsmusik.

Die Kritikpunkte von Rico Gebhardt, Vorsitzender der Fraktion Die Linke

– “Weil das Flutmauern-Bauen in Dresden so erfolgreich war, versank Magdeburg in der Elbe, ist eine dieser Tage häufig gehörte These. Unabhängig davon, ob ich diese These teile: Die Zeit des schlichten Mauerbauens ist vorbei. Das Hauptthema beim Hochwasserschutz muss daher sein: Den Flüssen mehr Raum geben – dies hat jetzt sogar Bundesumweltminister Altmaier erkannt! Doch stattdessen schreitet die Versiegelung der Landschaft in Sachsen trotz ständig weiter abnehmender Bevölkerung voran – täglich in der Größenordnung von sieben Fußballfeldern. Und von den 7.500 Hektar zusätzlicher Überschwemmungsfläche, die 2002 geplant wurden, sind bis heute gerade mal 111 realisiert. So geht sächsisch eben nicht – jedenfalls nicht nachhaltig!”

– Er wunderte sich auch über Stanislaw Tillichs Erstaunen darüber, “wie viele Hochwasseropfer nicht durch Versicherungen geschützt waren (…). Bei Ihrem ‘Versicherungsgipfel’ im Jahr 2010 stellte sich heraus, dass nach Angaben der Versicherungswirtschaft mindestens 17.000 potenziell von Hochwasser gefährdete Wohngebäude im Freistaat nicht versicherbar sind. Wir haben bereits im Jahr 2002 die Diskussion über eine gesetzliche Elementarschaden-Pflichtversicherung für alle Hausbesitzer angestoßen, mit der die Lasten – egal ob durch Flut oder Tornado – solidarisch auf alle verteilt und damit auf ein erträgliches Maß abgesenkt werden. Über Details kann man sicher noch reden. Dass sich aber bei diesem Thema unterm Strich bei den Regierungsverantwortlichen auf Landes- und Bundesebene in elf Jahren gar nichts bewegt hat, ist und bleibt unverständlich.”

– “Schon General von Kirchbach forderte vor zehn Jahren in seinem Bericht der ‘Unabhängigen Kommission der Sächsischen Staatsregierung zur Flutkatastrophe 2002’: Die Verantwortung für Deiche, Talsperren, Rückhaltebecken und Gewässerpflege im Hochwasserschutz muss in eine Hand gelegt werden. Genau das aber ist NICHT geschehen. – Wir fordern heute, erneut zu prüfen, inwieweit flussgebietsbezogene Wasserdirektionen eingerichtet werden können, die alle in einem Einzugsgebiet befindlichen Gewässer bei Hochwasser-Managementplänen einbeziehen und notwendige Hochwasser-Schutzmaßnahmen gebündelt umsetzen.”

– “Zum Klein-Klein innerhalb des Landes gesellt sich leider die Kleinstaaterei bei der Hochwasser-Bekämpfung insgesamt. Im Rahmen der Föderalismusreform wurde der Bund aus dem Hochwasser-Schutz raus gedrängt, und nun hat die Elbe die ganze neue föderale Ordnung bei diesem Thema ad absurdum geführt, um nicht zu sagen: hinweggeschwemmt. (..) Dass jedes Elb-Anrainer-Bundesland seine Deichhöhe selbst festlegt und dass das Wohl und Wehe der Bevölkerung am Ende davon abhängig ist, ob im Landeshaushalt ausreichend Geld für Hochwasserschutz vorhanden ist oder welcher Landes-Innenminister für sie zuständig ist und ob dieser mit seinen Amtskollegen elbaufwärts rechtzeitig telefoniert – dieser Irrsinn muss vor der nächsten Flut beseitigt sein!”

– “Städte wie Grimma und Meißen, um zwei stellvertretend zu nennen, haben historische Wurzeln, um derentwillen tatsächlich weiter Schutzmauern gebaut werden müssen. Dabei zeigt aber das Beispiel Meißen, dass selbst der bestmögliche Hochwasserschutz vor Ort etwaigen Schaden eindämmen, aber nicht vollständig verhindern kann. Hier ist eine Absenkung des Elbpegels durch mehr Überflutungsflächen die einzige Lösung – dabei müssen wir uns bewusst werden, dass dies natürlich Entschädigungszahlungen vor allem an Landwirte bedeutet. – Nicht alles aber sollte wieder aufgebaut werden – Öltanks zum Beispiel haben im Keller von hochwassergefährdeten Häusern nichts zu suchen. Bis heute erteilen Städte und Gemeinden Baugenehmigungen in potenziellen Flutzonen – hier muss das 2002 angemahnte Umdenken mancherorts noch nachgeholt werden.”Antje Hermenau, die Vorsitzende der Grünen-Fraktion, kritisiert, dass sich Sachsen der Wassermassen auf Kosten von Sachsen-Anhalt entledigte

– “Nach der Flut 2002 plante der Freistaat in Nordsachsen vier große Überflutungsflächen. An nur einer wurde der Bau begonnen. Hat es so lange gedauert, weil man sich mit den Eigentümern nur schwer einigen konnte oder hat man sich nur einfach Zeit gelassen? – Wir werden den Landesentwicklungsplan überarbeiten müssen.”

– “Ja, Siedlungen lassen sich durch technische Bauwerke schützen. Doch wenn das alle konsequent machen, saust eine sich immer weiter aufstauende Wasserflut gen Norden: Das kann ja nicht der Plan sein. Unsere Verantwortung ist es, nicht nur ein dankbarer Unterlieger der Tschechen zu sein, sondern auch ein verantwortungsvoller Oberlieger für Brandenburg und Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Mecklenburg und Schleswig-Holstein. Wir brauchen mehr Platz für Wasser – und zwar nicht erst am Unterlauf oder an der Mündung, sondern bereits ab dem Quellgebiet.”

– “Man kann sich sein Hochwasser auch selber auftürmen, wenn man es nicht großflächig versickern lässt. Natürlich ist auch die Aufnahmefähigkeit des Bodens begrenzt. Deshalb braucht man ja viel Fläche dafür. – Die große Novelle des Wassergesetzes der Staatsregierung ist nun durch die Realitäten der letzten Wochen zu einem großen politischen Flop geworden. Von einer halben Milliarde Euro kamen zwischen 2002 und 2012 nur 5 Millionen Euro dem natürlichen Hochwasserschutz zugute. Der Vorrang von natürlichem Hochwasserschutz, wo immer er möglich ist, ist in Sachsen nicht gesetzlich geregelt.”

– “Schwere Versäumnisse beim Thema Flutungsflächen: seit 2002 wurden nicht einmal zwei Prozent der ursprünglich geplanten Flächen umgesetzt. – Solche Bauwerke sind für Generationen gedacht – da muss die jahrzehntealte lokale Kompetenz mit einfließen. Die richtige Mischung aus lokaler Kompetenz durch Bürgerbeteiligung und aus technischer und raumordnerischer Kompetenz durch entsprechende Experten der Behörden kann erfolgreich sein. Das alles nur auf den Schultern der Landestalsperrenverwaltung abzuladen, die nun einmal das macht, was sie von der Pieke auf gelernt hat: Dämme, Deiche und Mauern zu bauen, war eine politische Fehlentscheidung. Sie haben die Flut 2002 damals als Chef der Staatskanzlei erlebt – wie konnte Ihnen diese Fehleinschätzung unterlaufen? Haben wir das hier im Parlament nicht oft genug mit Ihnen diskutiert, um Ihre Aufmerksamkeit auf diese Problemlage zu lenken?”

– “Die Menschen können nicht alle zehn Jahre von vorn anfangen. Da liegt kein Segen drauf. Unsere ökonomische Position als Freistaat ist zu schwach für derlei gravierende Wachstums- und Wohlstandsverluste. – Wir müssen das Erreichte mit allen denkbaren und gesetzlich verträglichen Maßnahmen schützen, nicht nur mit ausgewählten Lieblingsmaßnahmen. Und ja, das bedeutet auch, nicht jedem nach dem Mund zu reden, sondern wirklich zu regieren und auch schwierige Situationen lokal zu meistern. Das ist die Aufgabe. – Städteumbau in Flutgebieten, Rückzug von manchem Flussbett oder aus einer Altaue sind auf der politischen Tagesordnung.

Der volkswirtschaftliche Gewinn bei einer Rückverlegung von Deichen beträgt ca. das Dreifache der Kosten, sagen Experten. (…) Der Klimawandel fängt an, volkswirtschaftlich richtig teuer zu werden. Und die Extremwetter-Ereignisse nehmen weiter zu.”Martin Dulig, Vorsitzender der SPD-Fraktion, bringt es auf den Punkt

– Fluthilfefonds ausgestalten.

– Im Gegensatz zur Soforthilfe sollte die Wiederaufbauhilfe auch Verbänden, Vereinen und Religionsgemeinschaften zugute kommen.

– Pflichtversicherung gegen Elementarschäden einführen.

– Nachhaltigen Hochwasserschutz vorantreiben.

– Entschädigungsfonds “Umsiedlung” einrichten

“Unter Hochwasserschutz wurden in Sachsen in den vergangen Jahren vorrangig technische Baumaßnahmen verstanden. Der natürliche Hochwasserschutz kam hingegen deutlich zu kurz. Wir müssen nun den technisch-baulichen und natürlichen Hochwasserschutz in eine sinnvolle und wirkungsvolle Balance bringen.

Die Linke-Abgeordnete Dr. Jana Pinka befürchtet noch etwas Einschneidenderes

Denn das Umweltministerium will erst in der nächsten Sitzung des Umweltausschusses die Fragen der Linken zu den Hochwasserfolgen in Sachsen beantworten. Aber in der Sitzung steht noch ein anderes Thema auf der Tagesordnung.

Pinka: “Schlimm wird es, wenn es um Gesetzänderungen geht. Bislang müssen wir davon ausgehen, dass bei der kommenden Sitzung des Umweltausschusses in zwei Wochen – also bei der Sitzung, wo der Minister unsere Fragen mündlich beantworten möchte – über Änderungen des Sächsischen Wassergesetzes abschließend beraten und befunden werden soll. – Die Koalition will also ernstlich über Änderungen des Wassergesetzes abschließend beraten, ohne dass eine detaillierte, sachliche und ruhige Prüfung der Vorgänge stattgefunden haben konnte. Aus dem hohlen Bauch werden absehbar bei unklarer Datenlage weitreichende Änderungen in Law-and-Order-Manier gefordert, werden Beteiligungsrechte eingeschränkt und Bürgerrechte ausgehebelt.”

Dass sie wohl Recht hat mit ihrer Befürchtung, zeigt der Entschließungsantrag von CDU und FDP zum Hochwasserschutz. Darin heißt es unter Punkt 7, dass “der aktuell im parlamentarischen Geschäftsgang des Sächsischen Landtages befindliche Gesetzentwurf zur Novelle des Sächsischen Wassergesetzes bereits eine Vielzahl von Verbesserungen enthält, um einen raschen nachhaltigen hochwassergerechten Wiederaufbau sicherzustellen sowie Bau und Planung von Hochwasserschutzanlagen weiter zu beschleunigen.”

Der Schlüsse der SPD-Fraktion aus dem Hochwasser 2013 findet man hier ausführlicher: www.spd-fraktion-sachsen.de/Hochwasser2013

Der Entschließungsantrag von CDU und FDP als PDF zum download.

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