Eigentlich war das Jahr 2013 in Sachsen das Jahr der Nachhaltigkeit. Selbst die sächsische Landesregierung hat es gefeiert. Auch weil der "Erfinder" der Nachhaltigkeit ein Sachse war: Hans Carl von Carlowitz, der als Oberberghauptmann den Begriff der Nachhaltigkeit für die Waldbewirtschaftung prägte. Aber Sachsen ist weit entfernt davon, ein nachhaltig wirtschaftendes Land zu sein.

Auch wenn einzelne Ressortminister ihre Politik gern als “nachhaltig” bezeichnen. Doch wenn man genauer nachhakt, meinen sie stets nur Teilaspekte, ignorieren Zusammenhänge und zerstören – während sie glauben, auf ihrem Gebiet nachhaltig zu arbeiten, auf anderen Gebieten blindlings wichtige Lebensgrundlagen.

Die Sachsen durften trotzdem staunen, wie komplex Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), der ja selbst auch mal sächsischer Umweltminister war, das Thema Nachhaltigkeit sieht. Zu hören war das am 6. November zur Verleihung des Carlowitz-Preises der Sächsischen Hans-Carl-von-Carlowitz-Gesellschaft in Chemnitz an den ehemaligen deutschen Umweltminister Klaus Töpfer. “Nachhaltigkeit beschreibt einen Zustand der Mensch-Umwelt-Beziehungen, in dem wir Menschen nur so viele Ökosystemleistungen verbrauchen, wie die Umwelt wieder bereitstellen kann, und nur so viel Müll an die Umwelt abgeben, dass die uns am Leben haltenden Ökosysteme selbst am Leben bleiben”, erklärte Tillich in seiner Laudatio. “Das ist Umweltschutz aus ökonomischen Erwägungen heraus – denn es geht darum, die Grundlagen für unser Wirtschaften und Überleben langfristig zu sichern. Damit bin ich bei der zweiten Parallele zwischen Klaus Töpfer und Carlowitz. Wer es mit der Nachhaltigkeit ernst meint, also mit der langfristigen Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlage, der denkt in Generationen, nicht im Rhythmus von Quartalsberichten oder Legislaturperioden.”

Und an dieser Stelle wurde er sogar mahnend, als wolle er seine eigenen Minister ein bisschen bei den Ohren ziehen: “Nun ist die Betonung der langen Frist unbequem. Denn unser Wirtschaftsmodell beruht bisher darauf, kurzfristig den Ressourcenfluss von der Umwelt durch die menschliche Gesellschaft hindurch zu maximieren. Das war schon im Jahre 1713 problematisch, als die menschliche Wirtschaft in Relation zur sie umgebenden Umwelt ein nur geringes Ausmaß hatte – sonst hätte Carlowitz ja nicht sein Buch geschrieben.”

Fast möchte man da aufstehen und Beifall klatschen: Er weiß es doch! Ist dieser Ministerpräsident nur einfach in der falschen Partei, dass er nicht umsetzt, was er weiß? – Stichwort: Hochwasserschutz, Bodenerosion in der Großfeld-Landwirtschaft, Bevorzugung der Kohlekraftwerke, täglicher Landverlust durch Bodenversiegelung, Radikalkur für Sachsens Hochschulen, Sparkurs für die Schulen …

Stanislaw Tillich in seiner Laudatio: “Jetzt, 300 Jahre später aber, hat die Menschheit und ihre Wirtschaft ein Ausmaß erreicht, bei dem bereits 60 % der Ökosysteme degeneriert, übernutzt oder zerstört sind und deshalb ihre lebenserhaltenden Dienste für die Menschen und anderen Arten nicht mehr erbringen können. – Anders ausgedrückt: Die Menschheit hat schon heute einen Umweltverbrauch, der die Tragfähigkeit der Erde übersteigt. Es gibt Berechnungen, wonach wir derzeit 1,8 Planeten pro Jahr verbrauchen. Und wenn alle sieben Milliarden Menschen so viel verbrauchten wie die Amerikaner, bräuchten wir heute schon die Ressourcen und Ökosystemleistungen von 4 Erden.”

Wenn das nicht mahnende Worte sind.Auf dasselbe Thema geht auch Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker im neuen Newsletter des Leipziger Umweltforschungszentrums ein. Im Interview mit Doris Wolst erklärt er, warum die (westliche) Welt seit 30 Jahren auf dem falschen Weg ist. Er erinnert an die “relativ vernünftige Zukunftsplanung” der 1970er Jahre – auch geprägt durch den Schock der Ölkrise und den warnenden, 1972 vom Club of Rome vorgelegten Bericht “Die Grenzen des Wachstums”.

Doch Anfang der 1980er Jahre wurde alles anders. Da begann, so Weizsäcker “ein gigantischer Siegeszug der Marktgläubigen, bei denen das Jetzt über das Morgen regiert. An das Morgen wird überhaupt nicht gedacht. Die Marktgläubigen kämpfen gegen jeden Eingriff des Staates und der öffentlichen Hand, gegen das Durchsetzen öffentlicher Belange, gegen Langfristigkeiten.”

Er benennt das Wort Neoliberalismus nicht, aber es hat mit diesem Siegeszug der so genannten Chicagoer Schule um Friedrich August von Hayek und Milton Friedman zu tun, die seitdem sogar in vielen Staaten zur Staatsdoktrin wurde. In den USA natürlich am stärksten. Und das hemmt nicht nur die ganz alltägliche Politik auch des US-Präsidenten, sondern auch den dringend notwendigen Umbau der Wirtschaft hin zu einem nachhaltigen Wirtschaften.

Ernst Ulrich von Weizsäcker: “Die Barrieren liegen in der Politik und in den Märkten, die die Verschwendung begünstigen. Ich habe sechs Jahre in den USA gelebt und weiß, wie unglaublich festgefügt diese Ideologie – bis auf wenige Ausnahmen – gerade dort ist. Jesse Helms (1921 – 2008), einer der reaktionärsten Politiker im Amerikanischen Senat, hat Global Governance gleichgesetzt mit Kommunismus. Die Teaparties und viele Millionen von Amerikanern glauben das immer noch, denn es fehlt an Aufklärung!”

Technisch ist ein nachhaltiger Umbau unserer Wirtschaft längst möglich. Aber wer dabei auf das Korrektiv des “Marktes” setzt, setzt aufs falsche Pferd.

Ernst Ulrich von Weizsäcker: “Es wird aber nicht gemacht, weil der Markt von einer gnadenlosen Konkurrenz um optimierte kurzfristige Kosten-Nutzen-Relationen beherrscht wird.”

Durch die Tatsache, dass auch die Wirtschaftswissenschaften in den Strudel der reinen Marktgläubigkeit geraten sind, fehlt ein wichtiges Korrektiv. Auch das benennt von Weizsäcker in dem Interview: “Eine wichtige Aufgabe der Wissenschaft sehe ich bei der Aufklärung. Leider ist unser ebenfalls sehr auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtetes Wissenschaftssystem dafür nicht geeignet. Was wir brauchen, sind nicht noch mehr Spezialistentum, Methodenverherrlichung oder Peer Review Veröffentlichungen. Wir brauchen Transdisziplinarität, weil unsere realen Probleme nun einmal nicht disziplinär sind.”

Womit man dann beim Dilemma des Sächsischen Ministerpräsidenten wäre, der lauter “Spezialisten” um sich versammelt hat, die allesamt nicht in der Lage sind, wenigstens ansatzweise interdisziplinär zu denken und zu handeln. Womit auch eine Anforderung an den Politiker der Zukunft gestellt ist: Er muss in der Lage sein, in komplexen Zusammenhängen zu denken, sonst findet er für die komplexen Lösungen immer wieder nur die alten, ressortbeschränkten Lösungen, die sich in ihrer Summe zu einer Ressourcenverschleuderung aufhäufen.

Zum Dezember-Newsletter des Umweltforschungszentrums (UFZ): www.ufz.de/index.php?comaapi=enlpub_newsletter&enl_data[nr]=37

Stanislaw Tilichs Rede bei der Verleihung des Carlowitz-Preises an Klaus Töpfer: www.medienservice.sachsen.de/medien/news/187992

Die “Chicago Boys” auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Chicago_Boys

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