Das Sächsische Landesamt für Statistik hat jetzt eine "Geschlechts- und altersspezifische Analyse der Europawahlergebnisse" vorgelegt. Ein kleines bisschen Statistik zu der Frage, ob die im Freistaat Sachsen tatsächlich die Stimmung von "Keine Experimente!", herrscht, die Cornelius Pollmer am 28. Juli in der "Süddeutschen" konstatierte. Eher zeigt der Blick ins Detail, dass Sachsens Volkspartei CDU vor allem von einem profitiert: von der völligen Zersplitterung der Wähler der sonstigen Parteien. Und damit sind tatsächlich "Sonstige Parteien" gemeint.

“Für die 8. Direktwahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments am 25. Mai 2014 wurden aus den rund 4.300 sächsischen Wahlbezirken 167 Urnen- und 27 Briefwahlbezirke für die repräsentative Wahlstatistik ausgewählt. Folglich ließ sich das Wahlverhalten von gut 5 Prozent der Wahlberechtigten in 4,5 Prozent der Wahlbezirke nach geschlechts- und altersspezifischen Aspekten auswerten”, stellen die Statistiker aus Kamenz nun fest.

Natürlich ist eine Europawahl nicht direkt mit einer Landtagswahl vergleichbar. 2014 gab es für die Wahl zum Europaparlament erstmals keine Sperrklausel, was einigen durchaus exotischen Parteien den Einzug ins Europaparlament ermöglichte und möglicherweise dazu einlud, dass auch Sachsens Wähler mutig ihr Kreuz bei diesen Parteien machte. Bei der Landtagswahl gilt die 5-Prozent-Hürde.

Aber was wäre, wenn die Wähler trotzdem ihre Stimmen Parteien und Gruppierungen geben, die am Ende nicht ins Parlament kommen? Wären die Ergebnisse der Europawahl die einer Landtagswahl gewesen, wären nur fünf Parteien ins Parlament eingezogen: die CDU mit 34,5 Prozent, die Linke mit 18,6 Prozent, die SPD mit 15,6 Prozent, die Grünen mit 6 Prozent und die AfD mit 10,1 Prozent. Zusammen sind das: 84,5 Prozent. 15,5 Prozent der Wählerstimmen wären also der 5-Prozent-Hürde zum Opfer gefallen.

5-Prozent-Hürden sorgen dafür, dass sich Wähler auch eher für jene Parteien entscheiden, die eine Chance haben, die Hürde zu überspringen. Die sechs Parteien, die das 2009 in Sachsen schafften (CDU, Linke, SPD, FDP, Grüne und NPD) vereinten 98,5 Prozent der Stimmen auf sich.

Aber auch wenn für das Europaparlament keine Sperrklausel galt und das Parlament auch keine Europaregierung wählt oder gar in wichtigen Debatten stützen muss, bedeuten kleine Fraktionen und zersplitterte Stimmen deutlich weniger Gestaltungsmacht.
Die Wahlbeteiligung zur Europawahl (ohne Briefwahl) lag bei dieser Wahl mit 44,9 Prozent um 0,5 Prozentpunkte über der von 2009, haben Sachsens Statistiker ermittelt. “Ausschlaggebend dafür waren vor allem Männer, deren Bereitschaft zur Stimmabgabe um genau einen Prozentpunkt anstieg, während sie bei den Frauen um 0,1 Prozentpunkte sank. Generell gingen aktuell Männer (45,6 Prozent) häufiger zur Wahl als Frauen (44,2 Prozent), obwohl sie nur 48 Prozent der Wahlberechtigten stellten. Als besonders pflichtbewusst erwiesen sich erneut die männlichen Wahlberechtigten zwischen 60 und 70 (51,6 Prozent) sowie über 70 (52,5 Prozent).”

Was schon verblüfft, denn bei anderen Wahlen dominieren eher die (älteren) Frauen. Der Effekt ist bei den Wahlergebnissen sichtbar. Die älteren Männer stärkten zwar – ganz ähnlich wie die älteren Frauen – das Wahlergebnis der CDU, zusätzlich aber sorgten sie auch für leichte Stärkung bei SPD und Linken.

“Bei den Frauen nahmen die 60- bis 70-Jährigen (51,0 Prozent) am effektivsten ihr Grundrecht war. Beide Altersgruppen plus jene der 50- bis 60-Jährigen stellten in Sachsen mit 54 bzw. 61 Prozent sowohl bei den Männern als auch den Frauen die meisten Wahlberechtigten.”

Das schreiben die Statistiker recht trocken hin. Aber das ist der eigentliche Grund für die sächsischen Wahlergebnisse. Hier schlägt sich der demografische Effekt nieder, der mit dem immer größer werdenden Anteil der Älteren an der sächsischen Gesellschaft zu tun hat. Und die Älteren bevorzugen unübersehbar das klassische Parteienmuster CDU, Linke, SPD. In diesen Alterskohorten haben selbst die Grünen keine Chance. Dafür eine andere Partei, die zur Europawahl auch in Sachsen Furore machte: die AfD.
Oder mit den Worten des Statistischen Landesamtes: “Frauen setzten in fast 38 Prozent der Fälle ihr Kreuz bei der CDU, Männer hingegen nur zu 31 Prozent. Die Linke und SPD erhielt von beiden Geschlechtern um die 18 bzw. 15 Prozent der Stimmen. Deutliche Unterschiede im Stimmverhalten zeigten sich bei der NPD sowie AfD, die 5 bzw. fast 13 Prozent der Männer, aber nur 2 bzw. 8 Prozent der Frauen wählten.”

Wenn dann bei den sowieso schon stärkeren Altersjahrgängen der Älteren auch noch die Wahlbeteiligung deutlich höher ist, bedeutet das zwangsläufig, dass die jüngeren Wähler sich am Ende kaum noch im Wahlergebnis widergespiegelt sehen.

“Von den Erstwählern (18-21 Jahre), die 1,7 Prozent der Wahlberechtigten umfassten, ging nicht einmal jeder zweite (39,4 Prozent) zur Wahl”, stellen die Statistiker aus Kamenz fest. Und dabei war die Wahlbeteiligung der Erstwähler mit 39 Prozent sogar noch vergleichsweise hoch. Die Wahlbeteiligungen der 21- bis 25-Jährigen (35 %) und der 25- bis 30-Jährigen (37 %) lagen noch darunter. Aber das bedeutet eben trotzdem, das jene Parteien, die besonders von jungen Wählern bevorzugt werden, am Ende mit mageren Ergebnissen abschneiden.

So die Grünen, die bei den über 60-Jährigen in Sachsen die 5-Prozent-Hürde nicht schaffen würden.

“Für die Grünen entschieden sich hingegen mehr weibliche (7 Prozent) als männliche Wähler (5 Prozent)”, schreiben die Landesstatistiker. Diese mehr weiblichen Wähler sind junge Frauen. Bei den 18- bis 25-jährigen Frauen kamen die Grünen bei der Europawahl auf 17,5 Prozent. Auch bei den Frauen bis 45 war das Ergebnis zweistellig. Anders als bei den jungen Männern, denen die Grünen irgendwie nicht kämpferisch genug zu sein scheinen. Dort gab es eher Ergebnisse um die 9 Prozent. Diese jungen Männer wählten dann aber auch nicht CDU, Linke oder SPD, sondern machten ihre Kreuze forsch bei der AfD oder bei “Sonstigen”. In den “Sonstigen” stecken auch die Piraten, die im Gesamtergebnis auf 1,6 Prozent kamen.

Aber nicht nur viele junge Männer wählten “Sonstige”. Auch rund 15 Prozent der jungen Frauen. Was im Ergebnis auch heißt: Junge Wähler sind wesentlich experimentierfreudiger als ältere und wählen weniger strategisch. Sie sehen durchaus auch andere Alternativen zum üblichen Parteienproporz in den Parlamenten – auch wenn sich das dann im Wahlergebnis nicht niederschlägt, weil die Wahlbeteiligung der jungen Wähler dafür viel zu niedrig ist.

So dominieren unübersehbar die über 60-Jährigen die Wahlen in Sachsen. Und wer die Wahlen gewinnen will, gibt den Rentnern das beruhigende Gefühl, dass im Freistaat alles zum Besten steht. Dieses “Keine Experimente!”-Gefühl.

Der Kommentar in der Süddeutschen “Euch geht es doch gut”:
www.sueddeutsche.de/politik/landtagswahlen-in-ostdeutschland-euch-geht-es-doch-gut-1.2064771
Die Mitteilung des Statistischen Landesamtes als PDF zum download.

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