Aus sächsischer Sicht verengt sich derzeit alles auf den 31. August, den letzten Ferientag, an dem die CDU gern wiedergewählt werden möchte. Dabei warten gleich drei wichtige Landtagswahlen in Ostdeutschland auf ihre Wähler. Nur die Sachsen tanzen mit dem 31. August aus der Reihe. Thüringen und Brandenburg wählen am 14. September. Und bei allen drei Wahlen steht die Frage: Wie stark werden die Rechtspopulisten? - Ein Thema, das am Dienstag, 8. Juli, die Grünen beschäftigte.

Ihre Rechtsextremismus-Experten aus den Bundesländern trafen sich am Dienstag in Leipzig, um unter dem Thema “Herausforderung extreme Rechte in den Landtagswahlkämpfen” über Strategien zu beraten, wie man dem Auftrumpfen der Rechtsextremen und der Rechtspopulisten in den kommenden Wahlkämpfen begegnen kann.

Ob die NPD wieder den Einzug ins Parlament schafft, ist offen. In der Kernwählerschaft könne die Partei in Sachsen immer noch auf 5 bis 6,5 Prozent der Stimmen rechnen, sagt Miro Jennerjahn, der sich als Landtagsabgeordneter mit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigt hat.

Und dann sind da diese Neuen, die auch neue Sorgen bereiten: Bei den Europawahlen am 25. Mai holte die Alternative für Deutschland (AfD) in Sachsen 164.263 Stimmen, was 10,1 Prozent bedeutete. Bei der Landtagswahl werden ihr seit Monaten in den diversen Umfragen 6 bis 8 Prozent vorausgesagt. Und die Spekulationen, ob die CDU sich mit der AfD einen neuen Koalitionspartner ins Boot holt, reißen nicht ab. Aber warum stellt die AfD für die Grünen so ein Problem dar? “Wir haben uns in den vergangenen Wochen sehr intensiv mit der AfD beschäftigt”, sagt Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Man habe sich sehr genau angeschaut, mit welchen Argumenten die AfD agiert. Die Formel Rechtspopulismus sei schon angebracht – auch weil die Grenzen zur NPD überhaupt nicht klar sind.Was noch nicht erklärt, warum diese europakritische Partei so viel Zulauf bekommt. Und das von Wählern aus dem Spektrum der NPD genauso wie dem der FDP und der Linkspartei. Was spricht diese Partei eigentlich an?

“Am ehesten trifft hier die Formel vom Wohlstandschauvinismus zu”, sagt Hofreiter. “Als Kehrseite einer durch und durch neoliberalen Wirtschaftsidee.” Was natürlich verblüfft. Denn damit ist die AfD natürlich die ideale Partei für jene Gruppen, die sich in Deutschland so gern als Leistungsträger bezeichnen: Großgrundbesitzer, Manager, Unternehmer, Menschen mit einem Selbstbild, das andere verachtet, weil sie keinen Erfolg haben. Ihre Argumente richten sich in der Regel auf die Ausgrenzung wirtschaftlich Schwächerer.

Dass sich Wähler der Linken hier wohl fühlen könnten, findet Hofreiter zumindest erstaunlich. Aber auch verständlich, denn mit ihrem Frontmachen gegen wirtschaftlich schwächere Länder und Personengruppen bedient die AfD auch die Ängste jener Gruppen, die die wirtschaftliche Unsicherheit als Bedrohung für sich selbst empfinden. Denn wer im neoliberalen Konkurrenzdenken auf der Strecke bleibt, kann den sozialen Netzen nicht mehr vertrauen – sie sind durchlöchert und auch Fleiß und Anstrengung reichen immer seltener aus, um den Sturz in die Armut zu verhindern. Das bedient dann – wie die “Mitte”-Studien der Leipziger Soziologen um Elmar Brähler immer wieder bestätigt haben – uralte Ressentiments. Aus der Angst wird Abwehr gegen jene, denen man dann die Bedrohung des eigenen Status zuschreibt: Ausländer, Zuwanderer, sozial Schwächere …

Das “Leistungsdenken” hat die ganze Gesellschaft im Griff. Und so wird auch verständlich, wie populistische Parteien in Europa heute funktionieren und Erfolg haben. Erst recht dann, wenn die klassischen demokratischen Parteien kneifen und ihre Argumentation den Populisten anpassen – wie in Österreich passiert, wo sich ÖVP und SPÖ der FPÖ von Jörg Haider regelrecht angedient haben und dabei auch deren Vokabular in Teilen übernommen haben. Ähnliches war in Frankreich zu beobachten, wo sich die etablierten Parteien vor der Front National wegduckten und am Ende sogar treiben ließen wie eine Herde Schafe.Aber einfach totschweigen geht auch nicht, stellt Gesine Agena, frauenpolitische Sprecherin und Mitglied im Bundesvorstand der Grünen, fest. Das unterscheide auch den Umgang mit einer rechtsextremen Partei wie der NPD, mit der sich auch kein Grüner auf ein Podium setzen möchte. “Mit der AfD müssen wir uns ganz differenziert auseinander setzen”, sagt sie. Gerade weil sie an Stereotype andocke, die bis in die Mitte der Gesellschaft im Schwange seien, die auch von konservativen Landesverbänden der Union oft artikuliert oder unterschwellig in die Debatte gebracht werden. Als in Leipzig 2013 über eine Moschee in der Georg-Schumann-Straße und eine Asylbewerberunterkunft in Schönefeld diskutiert wurde, war die CDU ganz offen dabei – auf der Seite der “Nein”-Sager, Seit an Seit mit der NPD.

Und das hat natürlich auch wieder mit der Haltung der CDU zur AfD zu tun. Eine klare Absage, wie sie die Grünen fordern, gibt es nicht. Gerade das Schweigen aber mache die AfD stark. “Wir dürfen der Auseinandersetzung nicht aus dem Weg gehen”, sagt der Landtagsabgeordnete der Grünen Miro Jennerjahn. Und Jürgen Kasek, der Kreisvorsitzende in Leipzig und Direktkandidat zur Landtagswahl: “Die AfD fühlt sich im Kernschatten der CDU sehr wohl.”

Nur dass sie chauvinistische Ressentiments deutlicher anspricht, als es sich die CDU traut. Ganz nach dem Stammtisch-Motto: Das muss man ja mal sagen dürfen. Womit sie sich natürlich als provokative Alternative für all jene anbietet, die Wahlen als reine Protestbekundung verstehen. Dieses Völkchen wandert ja in Sachsen: 2004 machte es bei der NPD sein Kreuz, 2009 bei der FDP. 2014 sieht es so aus, als ob die AfD diese Wähler abfängt – und gleichzeitig in ihren Vorurteilen bestätigt.

Die, das betont Kasek noch einmal, natürlich zuallererst Ängste sind. Die man ernst nehmen müsse. Auch dann, wenn sie irrational sind und sich gegen Menschengruppen richten, die für die Verschärfung des “Kampfs ums Überleben” gar nicht verantwortlich sind.

Und wie löst man das?

Das kann dauern, sagt Hofreiter. “Solche Einstellungen ändern sich sehr langsam.”

Was aber nicht heiße, dass man das einfach mitmachen müsse. Im Gegenteil, meint Agena: “Das beste Mittel ist, offen die Auseinandersetzung zu suchen.”

Mit Plakaten – ein Motiv zur Landtagswahl widmen die Grünen den “rechten Brandstiftern”.

Und besonders was die AfD beträfe, durch offensive Auseinandersetzung auch in Wahlkampfdiskussionen. Denn tatsächlich heiße es jetzt, den Gegenentwurf zu zeigen, für den die Grünen stehen wollen: eine offene und tolerante Gesellschaft. Gerade im Wahlkampf, der jetzt die nächsten sieben Wochen bestimmt, müsse man zeigen, wofür man steht, meint Katharina Krefft, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Leipzig und Landtagskandidatin. “Wir jedenfalls werden die Auseinandersetzung nicht scheuen.”

Wer sich über die Ansichten der AfD zum Beispiel zum Umgang mit Asylbewerbern oder mit nationaler Identität und Opferbereitschaft informieren möchte, findet das alles im Wahlprogramm der sächsischen AfD.

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