Am Montag, 13. Oktober, veröffentlichte der Sächsische Rechnungshof den ersten Band seines "Jahresberichts 2014". 200 Seiten Text- und Zahlenwerk. Und das vermeldete er dann gleich mit der Mahnung: "Die Haushaltswirtschaft des Freistaates muss sich stärker auf einnahme- und ausgabeseitige Risiken einstellen". Ganz so, als hätte Noch-Finanzminister Georg Unland (CDU) den Bericht mitgeschrieben und im Hintergrund auch noch die Zahlenfuchser des ifo Instituts Dresden mitgemacht. Und hinterher sind sie alle fröhlich ein Bierchen trinken gegangen.

Wäre der Sächsische Rechnungshof wirklich eine unabhängige Kontrollinstitution, wäre mit ziemlicher Sicherheit ein anderes Zahlenwerk herausgekommen. Und vor allem ein unpolitischeres. In ganzen Passagen übernimmt die hochbezahlte Behörde nicht nur die Interpretationen des noch amtierenden Finanzministers, sondern formuliert reihenweise auch ur-politische Empfehlungen, die man aus einem wirtschaftsnahen Institut wie dem ifo Institut erwarten könnte (mit dessen Zahlen der Rechnungshof so leichthin agiert, als wären sie tatsächlich belastbar). Verständlich, dass sich die Regierungspartei CDU, deren Finanzpolitik hier gepriesen wird, regelrecht gelobt und gebauchmiezelt fühlt – und die Opposition sich im falschen Film glaubt.

Selbst die Pressemitteilung des Sächsischen Rechnungshofs (SRH) liest sich, als wäre sie direkt im Unlandschen Vorzimmer geschrieben worden: “Er (der SRH, d. Red.) weist in dem Bericht auf die Notwendigkeit der Anpassung der Ausgaben an eine rückläufige Einnahmenentwicklung hin und zeigt anhand von Einzelbeispielen Einsparpotenziale auf.”

Das ist die Unland-Politik, die seit 2010 konsequent das Bild sinkender Einnahmen an die Wand malt und darauf die rigiden Sparprogramme aufbaut. Angefangen mit dem Doppelhaushalt 2011/2012, in welchem dem gesamten Haushalt eine Kürzung um jeweils rund 1 Milliarde Euro verpasst wurde. Entsprechend hoch waren die “erwirtschafteten” Überschüsse, weil die meisten Annahmen des Finanzministers schlichtweg so nicht eintrafen.

Im Doppelhaushalt 2013/2014 waren die Kürzungen nicht ganz so massiv. Aber selbst für 2013 stellt der SRH fest: “Der Freistaat Sachsen hat 2013 das dritte Jahr in Folge höhere Einnahmen aus Steuern und steuerinduzierte Einnahmen als geplant erzielt. Die steigenden Steuereinnahmen dürfen aber nicht über die Notwendigkeit der Anpassung der Ausgaben an sinkende Osttransfermittel und Auswirkungen der demografischen Entwicklung hinwegtäuschen”, mahnt der Rechnungshof und übernimmt damit die Argumentationslinie des Finanzministers, ohne die diversen noch offenen politischen Diskussionen aufzunehmen, die die ganzen Sonderzuweisung für finanzschwache Bundesländer betreffen.

Und als kandidiere er nun um einen Posten in der neuen Regierung, wird auch SRH-Präsident Prof. Dr. Binus ganz politisch und sieht den Freistaat vor großen Herausforderungen stehen: “Trotz Beibehaltung eines hohen Investitionsniveaus müssen die Ausgaben weiter reduziert werden. Aus unserer Sicht ist zur Stärkung der Investitionsausgaben die Struktur des Haushaltes anzupassen. Wenn Investitionen unterlassen werden, erwächst daraus ein vergleichbares Risiko wie bei öffentlicher Verschuldung. Dreh- und Angelpunkt der Ausgabenentwicklung im Verwaltungsbereich ist ein tragfähiges Personalkonzept.”

Die Haushaltswirtschaft des Freistaates sei zunehmend von der konjunkturellen Entwicklung Deutschlands abhängig und müsse sich weiter auf einnahme- und ausgabeseitige Risiken einstellen, so der SRH. Hierzu gehöre, in konjunkturell starken Jahren ausreichend finanzielle Vorsorge zu treffen. Und als Beispiel versucht es der SRH so zu erklären: “Wie dringend erforderlich finanzielle Spielräume sind, hat das Hochwasser in den vergangenen Jahren gezeigt. Nur mit einer systematischen Ausgabenreduzierung im Kontext zur Einnahmenentwicklung kann der Haushalt flexibel und steuerbar gehalten werden und nur so kann die Verschuldungsregel zugunsten der nächsten Generationen eingehalten werden.”

Ein zumindest sehr forcierter Ansatz, den der Rechnungshof hier vertritt, der per definitionem eigentlich dafür da ist, die sachgerechte Ausgabe der Finanzmittel im Freistaat zu prüfen. Mit diesem im Grunde rein betriebswirtschaftlichen Ansatz beginnt er schon eine politische Interpretation der sächsischen Haushaltspolitik. Im Bericht selbst passiert das noch viel deutlicher.

Zumindest für das Haushaltsjahr 2012 bescheinigt der SRH “unbeschadet der in den einzelnen Beiträgen dargestellten Prüfergebnisse eine insgesamt ordnungsgemäße Haushalts- und Wirtschaftsführung.” Und erklärt dann aus voller Brust: “Der erste Band des Jahresberichts 2014 zeigt beispielhaft auf, wo Einsparmöglichkeiten und Korrekturbedarfe vorhanden sind.”

Dabei erwischt es mit voller Breitseite ein Prestigeprojekt der Landesregierung, das das FDP-geführte Wirtschaftsministerium zu verantworten hat – den ESF-Mikrodarlehensfonds. Nicht dass er nicht funktionieren würde. Nur das rücklaufende Geld landete nicht da, wo es wieder eingesetzt werden sollte.

Der SRH: “Im Dezember 2005 errichtete das SMWA den ersten Mikrodarlehensfonds mit 25 Millionen Euro und im Juli 2009 den Mikrodarlehensfonds II mit 15 Millionen Euro als Sondervermögen bei der Sächsischen Aufbaubank (SAB).” Das war noch unter dem SPD-geführten Wirtschaftsministerium. “Daraus gewährte der Freistaat Existenzgründern zweckgebundene Darlehen bis maximal 20.000 Euro zur Finanzierung betrieblich bedingter Investitionen und Betriebsmittel. Die Fonds wurden zu 75 % aus ESF-Mitteln und zu 25 % aus Landesmitteln gespeist. Die Istvergütung der SAB pro bewilligten durchschnittlichen Darlehen in Höhe von 14.800 Euro betrug im Zeitraum 2006 bis 2011 im Durchschnitt 4.450 Euro, mithin rd. 30 % der Darlehenssumme. Der Haushalt des Freistaates hat bis Ende 2011 für beide Fonds 8,3 Millionen Euro und durchschnittlich 77,2 % der Gesamtvergütung der SAB zusätzlich getragen.”Oder etwas deutlicher: Die SAB behielt pro gewährtem Kredit 4.450 Euro als Beraterhonorar. Was der SRH in seiner Pressemitteilung nicht extra erwähnt: Die Rückzahlungen der Unternehmen, die Mikrokredite erhalten hatten, wurden nicht wieder zur Gewährung neuer Kredite in den Mikrodarlehensfonds I zurückgespeist. Revolvierender Fonds nennt man das: Die zurückkommenden Gelder sollen gleich wieder für neue Existenzgründungen ausgereicht werden und den Fonds damit dauerhaft in Betrieb halten – Kredite werden ausgereicht, zurückgezahlt mit Zins, ausgezahlt, zurückgezahlt usw. Eine sich selbst befeuernde Maschine.

Im Bericht liest man dazu: “Die zurückgeflossenen Mittel des MDF I wuchsen z.B. zwischen 2006 und 2011 von rd. 20.000 Euro auf rd. 10,5 Millionen Euro an. Die EU schreibt die Wiederverwendung dieser Mittel für KMU-Zwecke im gleichen Fördergebiet vor. Erst in 2012 und 2013 veranlasste die Staatsregierung eine teilweise Abführung dieser Mittel in Höhe von jeweils 5 Millionen Euro in den Wachstumsfonds Mittelstand Sachsen (WMS), der nicht zur Förderung von Existenzgründern, sondern zur Unterstützung wachstumsstarker KMU in Sachsen aufgelegt worden war. Die Mittel flossen nicht in den neu eingerichteten MDF II.”

Womit dann am Ende die Existenzgründer indirekt den eh schon wachstumsstarken Mittelstand in Sachen mitfinanziert haben. Das ist Wirtschaftspolitik auf sächsisch.

Aber auch mit dieser Frage beschäftigte sich der Rechnungshof: “Wieviel Lehrer braucht das Land?”

Und kommt zumindest zu einem erstaunlichen Ergebnis: “Innerhalb der gesamten Landesverwaltung haben die Lehrkräfte einen Stellenanteil von rd. 41 %. Nach Angaben des SMK vom Mai 2014 scheiden im Zeitraum vom Schuljahr 2014/2015 bis 2029/2030 rd. 23.700 Lehrer aus dem Schuldienst aus. Dies entspricht rd. 79 % des Personalbestandes an Lehrkräften des Schuljahres 2012/2013. Nach Feststellungen des SRH lag letztmalig 2009 ansatzweise eine langfristige Lehrerbedarfsplanung vor.”

Das ist zumindest das Kurzfazit, das der SRH in seiner Pressemitteilung liefert. Im Bericht klingt das eine ganze Spur schärfer. So ist auf Seite 60 zu lesen: “Eine nachhaltige Konsolidierung des Personalhaushaltes kann nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn das SMK-Ressort davon nicht ausgenommen wird. Die Istbesetzung im Epl.05 (Einzelplan 5, das ist das Kultusministerium, d. Red.) lag jeweils zum Stichtag 1. Juli in den Jahren 2010 (222 Stellen) und 2012 (564 Stellen) über den im Stellenplan ausgebrachten Stellen. In der restlichen Staatsverwaltung lag die Istbesetzung jeweils um rd. 5 % unter den im Stellenplan ausgebrachten Stellen. Diese Anomalie im Epl. 05 spiegelt sich auch in den Personalausgaben wider. So lagen im Hj. 2012 die Istausgaben um 38,6 Millionen Euro über dem Planansatz von 1.852,7 Millionen Euro, in den Schulkapiteln 0535 bis 0539 waren es sogar 73,3 Millionen Euro (berufsbildende Schulen: 43,7 Millionen Euro, Gymnasien: 36,4 Millionen Euro), mehr als der Plan vorsah. In Hj. 2010 waren es 30,6 Millionen Euro und 32,9 Millionen Euro im Hj. 2011.”

Im Bericht geht der SRH darauf ein, dass diese Mehrbedarfe vor allem für die älteren Lehrerinnen und Lehrer anfallen, die schon in Altersteilzeit und anderen Vorruhestandsmodellen waren, für den Unterricht also kaum noch zur Verfügung standen. Dass Sachsen mit den von Finanzminister Unland gewollten Personalkürzungen auch in den Schulen längst ein Versorgungsproblem noch größeren Ausmaßes hätte, diskutiert der SRH nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass er die 2010 verordneten Gesamtstellenkürzungen von 86.000 auf 70.000 Stellen im Land gutheißt und fordert, das müsse nun auch so umgesetzt werden.

Andererseits nimmt er zwar auch die Forderung der Opposition nach einem belastbaren Bedarfsplan im Kultusministerium auf, interpretiert das aber anders und nimmt auch hier die (politische) Position der bisher regierenden Koalition in Sachsen ein. Nachzulesen auf Seite 114: “Nach Feststellungen des SRH lag somit letztmalig 2009 ansatzweise eine langfristige
Lehrerbedarfsplanung vor. Das SMK entwickelte die gewählte Methode der Bedarfsberechnung nicht weiter und sorgte auch nicht für eine Fortschreibung der Zahlen.” Und ein wenig später kommt es dann: “Das SMK muss über eine geeignete Form der Personalbedarfsermittlung befinden. Die Annahmen, welche den Berechnungen zugrunde liegen, sind zu validieren. Die Zielsetzung der Staatsregierung, sich künftig an der Schüler-Lehrer-Relation der westlichen Flächenländer zuzüglich eines Qualitätszuschlages von 5 % zu orientieren, sollte in die Überlegungen einfließen.”

Der sächsische Klassenteiler hatte seine Obergrenze bislang bei 28 Schülern pro Klasse. Wenn die Staatsregierung jetzt die Relation in westlichen Bundesländern anstrebt, bedeutet das eine Verschlechterung auf 32, wahlweise auch 34 Schüler pro Klasse.

Die Rechnung, welche sozialen und bildungspolitischen Kosten mit diesem Plan einher gehen, macht der Rechnungshof natürlich nicht auf. Er ist ganz auf der Linie des noch-amtierenden Finanzministers, der seiner Mannschaft eingebläut hat, dass man die höchste Effizienz mit maximalen Materialdurchsatz bei geringstmöglichem Personalbestand erreicht.

Im Bericht beschäftigt sich der Rechnungshof auch mit Reinigungskosten in Finanzämtern, mit der Reitwegeabgabe und einem Lieblingsprojekt des scheidenden Wirtschaftsministers: den Schmalspurbahnen. Das Fazit zu diesem schönen Dampfspielzeug: “Die finanzielle Unterstützung der Schmalspurbahnen erfolgt ohne einen detaillierten Überblick über die Kostenentwicklung der Bahnen, etwaige Risiken der Betriebsführung und deren Finanzierung. Die Ausgaben des Freistaates für die Döllnitzbahn allein für Betriebshilfen stiegen seit 2011 um fast 400 %. Das SMWA hat das vom Landtag geforderte Modell zur langfristigen Finanzierung der Schmalspurbahnen noch nicht vorgelegt.”

Zum Sächsischen Rechnungshof: www.srh.sachsen.de/pages/index.html

Direkt zum 1. Berichtsband 2014 (PDF): www.rechnungshof.sachsen.de/download/JB2014-Band-I.pdf

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