Eine Frage, die die sächsische Öffentlichkeit natürlich bewegt, ist die Haltung der SPD zur derzeit noch immer gängigen Abschiebepraxis in Sachsen. Zwar gilt Innenminister Markus Ulbig (CDU), der die knallharte Abschiebepraxis in Sachsen verantwortet, als Minister auf Abruf, seit seine Ambitionen auf den OBM-Posten in Dresden bekannt wurden. Aber die Äußerungen des Generalsekretärs der Sachsen-CDU, Michael Kretschmer, deuten nicht gerade darauf hin, dass die CDU an ihrer rigorosen Praxis etwas ändern will. Im Gegenteil.

Und seit in Dresden zu den Pegida-Spaziergängen immer mehr Menschen Forderungen nach einem (noch) härteren Durchgreifen in der Asylpolitik kund tun, steht natürlich auch die Frage: Wissen sie überhaupt, was sie da fordern? Und kann man mit ihnen überhaupt über Fakten und Zusammenhänge diskutieren?

Dass sich da auf den Dresdner Straßen mehr artikuliert als eine lautstarke Befürwortung der sächsischen Abschiebepraxis, darauf ging der SPD-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Martin Dulig am 17. Dezember in einem Interview für den “Vorwärts” ein. Da sagte er: “Wenn es beispielsweise um Abstiegsängste geht, die einige Menschen auf die Straße bringen, müssen wir über eine sozial gerechtere Gesellschaft sprechen. Das bleibt unser Ziel. Wir dürfen Menschen nicht hinten runterfallen lassen. Und dann ist es natürlich unsere Aufgabe, in politische Bildung und politische Kultur zu investieren damit solche Bewegungen perspektivisch keinen Nährboden mehr haben. Wir werden nicht aufhören, Gesicht zu zeigen und klar zu machen, dass wir für eine weltoffene Stadt eintreten.”

Das wäre ein anderer Dialog als ihn der CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer fordert, der mit den Pegida-Demonstranten so gern über Asylpolitik sprechen möchte. Dabei ist Asylpolitik – auch in Sachsen – immer wieder nur zu gern als Blitzableiter für berechtigten sozialen Zorn verwendet worden. Auch von der CDU. Wenn man nicht über Niedriglöhne, prekäre Beschäftigung, gefährdete Renten und drakonische Arbeitsmarktpolitik sprechen möchte, dann wird nur zu gern das Thema Ausländer, gern mit der Inkriminierung “straffällige” oder “Wirtschaftsflüchtlinge”, platziert.

Die, die besonderen Schutz brauchen, werden verbal schutzlos gemacht. Und der Freistaat nutzt seine Spielräume, Asylsuchende abzuschieben, längst bis zum Anschlag aus.

“Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Asyl- und Migrationspolitik werden inzwischen fast ausschließlich auf europäischer oder Bundesebene gestaltet. Aber auch der Freistaat Sachsen, die Staatsregierung und dieses Haus – wir alle – stehen in der Verantwortung, diese Regelungen mit Leben zu füllen”, sagte dazu Albrecht Pallas, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, am 17. Dezember in der Debatte des Sächsischen Landtags. Pallas betonte die Verantwortung für alle im Freistaat lebenden Menschen, einschließlich der Asylsuchenden, Flüchtlinge und Zuwanderer. “Sie alle haben es verdient, dass wir den Umgang mit Asylsuchenden, aber auch das Asylverfahren so menschenwürdig, eindeutig und verständlich wie möglich organisieren.”

Aber da Deutschland seit über 20 Jahren eher nur noch ein rudimentäres Asylgesetz hat, das eher ein bürokratisches Sortier- und Abschiebegesetz ist, sieht auch er – wie die Vertreter der CDU – eine Verbesserung vorerst nur in einer Beschleunigung der Asylverfahren: “Wir haben Verantwortung für die Menschen in Sachsen. Aber nicht nur für die Asylsuchenden und Flüchtlinge, die auf der Suche nach Schutz und einer Lebensperspektive nach Sachsen kommen. Diese Personen müssen menschenwürdig untergebracht und betreut werden. Häufig warten sie lange auf die Entscheidung über ihren Asylantrag. Ihre Asylverfahren müssen zügig und rechtsstaatlich einwandfrei bearbeitet werden, damit sie ihre Perspektive kennen.”
Ihm fällt es sichtlich schwer, das Thema Asylrecht anders zu denken als in den verfestigten bürokratischen Regeln, ohne die Praxis selbst zu hinterfragen.

Auf der positiven Seite landen dann doch nur jene, deren Verfahren auch von amtswegen positiv beschieden wurden. Von großherzig kann man ja in Sachsen nicht reden.

“Wir haben auch Verantwortung gegenüber denjenigen Männern, Frauen und Kindern, die bereits eine Perspektive in Sachsen gefunden haben, sei es als Zuwanderer, anerkannte Asylbewerber oder Flüchtlinge. Für sie wollen wir mehr Integration und Teilhabe erreichen, etwa im gesellschaftlichen Bereich oder bei ihren Bildungschancen und Berufstätigkeit”, erklärt der SPD-Mann im Landtag und befand, schließlich sei da ja auch noch die Verantwortung für alle anderen, die bereits in Sachsen lebten. “Da gibt es jene Menschen in Sachsen, die sich von dem aktuellen Anstieg der Flüchtlingszahlen verunsichert und nicht gehört fühlen. Ihren diffusen Ängsten müssen wir immer und immer wieder mit Transparenz und Fakten und fortwährenden Gesprächsangeboten begegnen.” Viele Abgeordnete täten dies bereits, betonte Pallas. “Nur so, und wenn wir alle mitmachen, können wir verhindern, dass aus Angst Hass wird.”

Was ja wohl bedeuten würde, dass sie Asylpolitik in Sachsen auch von offizieller Seite einmal transparent gemacht werden müsste – mit all ihren Folgen auch für die Betroffenen und für das Rechtsverständnis der handelnden Personen. Denn in der Abschiebepraxis gelten andere Regeln als für den Bürger, der per Pass schon als Einwohner legitimiert ist.

Aber da kam auch Pallas erst einmal über tröstende Worte nicht hinaus: “Nicht zuletzt haben wir Verantwortung für jene, die an den unterschiedlichsten Stellen im Freistaat Sachsen mit Asylsuchenden zusammenarbeiten. Da sind die Mitarbeiter in den Ausländerbehörden und Sozialämtern, in der Erstaufnahmeeinrichtung und den Gemeinschaftsunterkünften. Da sind die Sozialarbeiter und die vielen ehrenamtlichen Helfer. Es geht mir aber auch um die Kolleginnen und Kollegen der sächsischen Polizei, die beispielsweise mit den Zuständen und Konflikten in den Gemeinschaftsunterkünften konfrontiert sind und teilweise auch Abschiebungen von Ausreisepflichtigen durchführen müssen.”

Ja und? – Als hätte er eine Kröte verschluckt, schnitt sich Pallas genau an dieser Stelle selbst das Wort ab. Obwohl genau an dieser Stelle endlich klare Worte angesagt wären in der sächsischen Politik, denn für das, was die Regierung ihren Polizisten beim Einsatz in den Gemeinschaftsunterkünften und bei Abschiebungen zumutet, erntet Sachsens Politik derzeit berechtigte Kritik aus breiten Schichten der Gesellschaft. Zumindest auf lokaler Ebene steht der verantwortliche Innenminister sehr wohl im Mittelpunkt der Kritik, auch wenn die Regierungsfraktion der SPD bei diesem Thema noch erstaunlich schweigsam ist.

Christopher Zenker, SPD-Stadtrat in Leipzig und Mitglied im Fachausschuss Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule, nannte nach Bekanntwerden der Abschiebung einer 18-jährigen Tschetschenin kurz vor Weihnachten zumindest mal Ross und Reiter.

“Die Umstände der Abschiebung der jungen Tschetschenin sind menschenunwürdig, unethisch und unchristlich. Wie der sächsische Innenminister das mit seinen christlichen Werten vereinbaren kann, ist mir schleierhaft. Wir schließen uns daher der Forderung der Bürgerinitiative Offene Nachbarschaft Südwest sowie der Petition kirchlicher Vertreterinnen und Vertreter an”, sagt er. Die Bürgerinitiative fordert unter anderem einen Winterabschiebestopp und Vermeidung von Familientrennung bei Abschiebung.

“Nicht ein Winterabschiebestopp ist Rechtsbruch, vielmehr tritt die sächsische Abschiebepraxis unsere demokratisch-rechtsstaatlichen Grundsätze mit Füßen. Die Leipziger Stadtratsfraktion wird sich daher im Rahmen ihrer Möglichkeiten für eine Änderung der sächsischen Abschiebepraxis einsetzen”, kündigt Zenker an. Womit ja die Genossen in der Regierungskoalition die erste Adresse wären.

Dass über das Thema Zuwanderung schon lange anders diskutiert werden muss, als es Innenminister Markus Ulbig in Sachsen tut, weiß man zumindest in Leipzig, wo man auch das Thema Fachkräftemangel augenscheinlich anders sieht als im Tal der Ahnungslosen.

“Darüber hinaus schließen wir uns der Forderung vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag und vom Zentralverband des Deutschen Handwerks an, die ein Bleiberecht für jene Flüchtlinge fordern, die eine Ausbildung aufnehmen wollen”, erklärt denn auch Zenker die Zeichen der Zeit. Es sind nicht die Menschen, die in Sachsen Gastrecht beantragen, die nicht lernen oder arbeiten wollen. Es ist die engstirnige Ausgrenzungspolitik der Regierung, die verhindert, dass junge Menschen, die sich wirklich in unsere Gesellschaft integrieren wollen, die nötige Ausbildung und das Recht auf Aufnahme einer Beschäftigung bekommen.

“Auch die abgeschobene junge Tschetschenin, die gut im Umfeld integriert war, wollte eine Ausbildung als Krankenpflegehelferin beginnen”, stellt Zenker fest. Und benennt dann die Themen, über die die sächsische Hardliner-Politik einfach schweigt: “Wir diskutieren, wenn über Flüchtlinge gesprochen wird, vorrangig die Kosten und Herausforderungen, statt die Potentiale und Chancen, die uns die Flüchtlinge bieten können, in den Blick zu nehmen. Flüchtlinge sollten vielmehr unkompliziert eine Arbeit bzw. Ausbildung aufnehmen dürfen, denn nur so können wir ihnen die Möglichkeit geben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.”

Ein Problem für die sächsische SPD ist, dass sie ihre Vorstellungen einer menschlicheren Zuwanderungspolitik für den Koalitionsvertrag noch nicht formuliert hat, sondern erst auf eine noch anzustoßende Diskussion gesetzt hat: “Wir wollen eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit und im parlamentarischen Raum über das Sächsische Zuwanderungs- und Integrationskonzept. Die Ziele unserer gemeinsamen Zuwanderungs- und Integrationspolitik wollen wir durch interkulturelle Öffnung, interkulturelle Kompetenz und den interkulturellen Dialog verwirklichen. Zuwanderung und Integration gehören zusammen. Die Bildung von Parallelgesellschaften wollen wir verhindern.”

Und als deutlicher Kommentar von Katharina Schenk, Landesvorsitzende der Jusos Sachsen: “Es reicht. Eine weitere Beschneidung des Asylrechts darf es nicht geben. Wer PEGIDA nachgeben will, begibt sich auf einen gefährlichen Weg. Es kann nicht sein, dass wir das Schicksal derer, die existenziellen Bedrohungen ausgesetzt sind, denen opfern, die am lautesten schreien. Wir brauchen eine Asylpolitik, welche die Flüchtlinge selbst in den Mittelpunkt stellt. Deshalb sollten wir über Dinge, wie Unterbringungsmöglichkeiten oder das unwürdige Asylbewerberleistungsgesetz sprechen. Dagegen ist die Anerkennung weiterer ‘sicherer Herkunftsländer’ wie Tunesien oder eine Beschleunigung der Prüfungsverfahren auf Kosten der Menschen für uns keine Option. Es ist zudem schäbig, wenn eine Partei, die sich auf die christlichen Werte beruft, den Winterabschiebestopp kritisiert. Gerade sie sollte einsehen, dass ein Winterabschiebestopp kein Rechtsbruch, sondern eine humanitäre Notwendigkeit ist.”

Die Onlinepetition “Keine Winterabschiebung in Sachsen” von Britta Taddiken und Dr. Andreas Knapp:

www.openpetition.de/petition/online/keine-winterabschiebung-asyl-ist-eine-frage-der-menschlichkeit

Das Kurzinterview mit Martin Dulig:

www.vorwaerts.de/artikel/dulig-pegida-haltung-zeigen

Die Wortmeldung von Albrecht Pallas:

www.spd-sachsen.de/albrecht-pallas-zu-asyl-und-integration-in-sachsen

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