Aus Sicht der seit 27 Jahren in Sachsen regierenden CDU ist alles gut. Da hat der Verfassungsschutz brav seine Arbeit gemacht. Jedenfalls sah es am Dienstag, 25. April, Christian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, so: „Der aktuelle Bericht unterstreicht erneut, welchen Stellenwert der Sächsische Verfassungsschutz für den Freistaat Sachsen hat.“ Der Mann hat Humor.

Da produziert ein Landesamt für Verfassungsschutz Jahr für Jahr einen aufgeblähten Bericht, in dem er mit Zahlen protzt, aber keine Analyse liefert, und allein mit hingeschriebenen argen Befürchtungen seine Existenz irgendwie legitimiert – und der zuständige Sprecher der CDU-Fraktion nimmt das einfach so hin und freut sich auch noch wie ein Schneekönig.

„Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung wird zunehmend von unterschiedlichen Seiten herausgefordert. Sei es von einer gleichbleibend hohen Zahl von Rechtsextremisten, einer wachsenden Zahl von Linksextremisten und Islamisten oder Reichsbürgern. Wir brauchen einen wachsamen und wehrhaften Staat“, plapperte Hartmann das nach, was auch Ulbig schon behauptet hatte. Was Ulbig jedes Mal behauptet, wenn er den Verfassungsschutzbericht vorstellt. Und gleichzeitig ist Ulbig dafür verantwortlich, dass dieser „wehrhafte Staat“ wehrlos gemacht wurde, überfordert und – man erinnere sich nur an den Fall Al Bakr – alles andere als vertrauenswürdig.

CDU will eine sichtlich schlecht arbeitende Behörde behalten

Der Forderung der Grünen, das Landesamt für Verfassungsschutz aufzulösen und neu zu strukturieren, erteilt Hartmann gleich noch „eine entschiedene Absage“: „In einer Zeit, in der die Gefahren für unsere freie und offene Gesellschaft wachsen, die Auflösung des Verfassungsschutzes zu fordern, halte ich nicht nur für politisch unklug. Es ist auch ein falsches Signal an jene, die glauben, unsere Demokratie zerstören zu können. Der Verfassungsschutz ist und bleibt ein zentraler Baustein unserer wehrhaften Demokratie.“

Die geforderte Neustrukturierung hat er gleich mal ignoriert. Obwohl alle Skandale und Skandälchen rund um das Landesamt in den letzten Jahren jeder vernünftigen Regierungspartei nahelegen, diesen zahnlosen Moloch zu restrukturieren. Denn die wirklichen Gefahren hat diese Behörde immer ignoriert oder – was wahrscheinlicher ist – gar nicht mitbekommen. Ein „Frühwarnsystem“, das schlicht nicht funktioniert.

Logisch, dass Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, die Meinung des Innenministers nicht teilen konnte.

„Ich konstatiere für Sachsen eine nach wie vor hochangespannte fremdenfeindliche Stimmung. Vor diesem Hintergrund scheint die Einschätzung von Innenminister Markus Ulbig (CDU), dass man keine Entwarnung geben könne als reichlich untertrieben“, sagt Lippmann. „Dass sich der fremdenfeindliche und menschenverachtende Nährboden in Sachsens Gesellschaft so ausbreiten konnte, liegt auch an der jahrelangen Vernachlässigung des Phänomenbereichs Rechts. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat daran mit seiner undifferenzierten Gleichsetzungsrhetorik der Bedrohung, die derzeit von Neonazis, Linksradikalen und Islamisten ausgeht, einen erheblichen Anteil.“

Und auch er sieht in dem Bericht nur lauter laue Luft.

„Statt sich auf die wirklichen Bedrohungen für unsere freiheitliche Grundordnung zu konzentrieren, wird beim Verfassungsschutz gerne alles, was passend scheint, in einen Topf geworfen und kräftig umgerührt. Der Versuch, im aktuellen Bericht die von breiten zivilgesellschaftlichen Strukturen getragenen Proteste gegen Umweltzerstörung in ein linksextremes Licht zu rücken, schlägt dem Fass den Boden aus“, geht er auf die Farbenspiele der Schlapphüte ein, die ihre Unfähigkeit zu einer echten Analyse hinter aufgeblähten Zahlen verstecken. „Wir Grünen fordern endlich eine Neuaufstellung des Verfassungsschutzes. Anstatt sich mit der Ausforschung der politischen Meinungskundgabe zu befassen, sollte sich ein Geheimdienst gerade jetzt in erster Linie der Verhinderung erheblicher terroristischer Bedrohungen widmen. Dazu muss die derzeitige Verfassungsschutzbehörde in Sachsen erst einmal aufgelöst werden.“

Das Frühwarnsystem Verfassungsschutz hat noch nie funktioniert

„Wer nicht enttäuscht werden will, darf die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Genauso verhält es sich mit dem neuen Verfassungsschutz-Bericht: Neu in den Bericht aufgenommen wurden zwar die ‚Identitäre Bewegung‘ und Strukturen der sogenannten Reichsbürger-Bewegung, die seit vergangenem Jahr beobachtet werden“, merkt Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion, zu dem Schönwetterbericht an. „Beide Fälle sind aber kein Ruhmesblatt für die Behörde, sondern zeigen, dass man mit neueren Entwicklungen der extremen Rechten nicht umzugehen weiß. Denn zu den Reichsbürgern hatte sich Innenminister Ulbig jahrelang für unzuständig erklärt – das änderte sich erst nach jüngsten Gewaltstraftaten aus diesem Spektrum. Und die ‚Identitären‘ konnten sich lange Zeit völlig unbehelligt ausbreiten – weil man vier Jahre lang das rechte Auge zugedrückt hat.“

Unverändert als „asylkritisch“ verharmlost werde auch die völkisch-nationalistische Pegida-Bewegung. Im Vorjahresbericht 2015 tauchte sie gar im Kapitel über „Linksextremismus” auf.

„Anlass dafür waren Auseinandersetzungen rund um den sogenannten Pegida-Geburtstag im Oktober 2015, die Linken zugeschrieben wurden. Inzwischen ist klar, dass sich das Amt entweder geirrt oder absichtlich Propaganda verbreitet hat. Meinen Informationen zufolge hatte es damals Aufrufe in der rechten Szene gegeben, Gegendemonstranten anzugreifen. Genau so kam es dann auch – mitgemischt haben unter anderem mutmaßliche Anhänger der ‚Gruppe Freital‘ und der ‚Freien Kameradschaft Dresden‘“, schildert Köditz die völlige Desorientierung des Verfassungsschutzes in seiner Berichterstattung. „In den damaligen Bericht aufgenommen wurde auch eine anschließende Auseinandersetzung am Leipziger Hauptbahnhof, die wiederum Linken zugeschrieben wurde. Unlängst wurde ein Mann verurteilt, der in dieser Situation ein Messer gezückt hatte – es handelt sich um einen stadtbekannten Leipziger Neonazi. Eine Klarstellung zu alledem fehlt im neuen Bericht, ein belastbares Werk hatte ich sowieso nicht erwartet.“

Und dann erinnert man sich daran, dass nach dem Komplettversagen der Behörde im Zusammenhang mit der Terrorgruppe NSU, die 13 Jahre lang unbehelligt in Sachsen untertauchen konnte, eigentlich eine Neubesinnung des Amtes versprochen war. Dazu hatte man extra einen neuen Behördenchef geholt.

Aber dessen Bilanz ist mehr als lächerlich, kann Kerstin Köditz feststellen: „Auch im fünften Jahr seiner Präsidentschaft ist es Gordian Meyer-Plath folglich nicht gelungen, die immer wieder versprochene ‚Analysefähigkeit‘ des LfV unter Beweis zu stellen. So ist es nur konsequent, dass der Bericht kein Wort darüber verliert, warum das Amt die mutmaßlich rechtsterroristische ‚Gruppe Freital‘ nicht auf dem Schirm hatte. Auf das angebliche ‚Frühwarnsystem‘ ist nach wie vor kein Verlass, es ist desolater denn je.“

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Keine Kommentare bisher

Ich würd fast mal behaupten, dass der NSU ohne den VS erst gar nicht so lang hätte untertauchen können. Was ein paar Tote weniger gebracht hätte. Aber das ist nur meine Vermutung.

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