Für FreikäuferMit einem Offenen Brief gingen sächsische Umweltschützer an die Öffentlichkeit, um das Thema Insektensterben endlich auch für Sachsen zu thematisieren. Es gibt zwar noch keine eigenen sächsischen Forschungsergebnisse. Aber das Schwinden der Lebensräume ist auch in Sachsen unübersehbar. Nur die Staatsregierung zeigt sich auf Grünen-Anfrage überhaupt nicht alarmiert.

„Die Staatsregierung nimmt das Thema erkennbar nicht ernst. Ich frage mich, was noch passieren muss, ehe die Staatsregierung endlich aufwacht. Wenn nun der wissenschaftliche Nachweis erbracht wurde, dass allein in den letzten 25 Jahren über dreiviertel der Insektenbiomasse verschwunden sind, dann ist sofortiges Handeln erforderlich“, sagt Wolfram Günther, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, nachdem er die Beantwortung seiner kleinen Anfrage zum Insektensterben durch das Umweltministerium gelesen hat.

„In Baden-Württemberg wurde bereits ein Sonderprogramm für Insekten mit einer Höhe von 30 Millionen Euro für zwei Jahre aufgelegt. Doch das sächsische Umweltministerium verweist in seiner Antwort auf meine Anfrage einfach auf sowieso schon laufende EU-geförderte Maßnahmen“, kritisiert der Abgeordnete. „Ich fordere die Staatsregierung auf, auch in Sachsen ein Landesprogramm aufzulegen, das dem drohenden Verlust der Artenvielfalt tatsächlich entgegenwirkt. Dieses muss unter anderem eine Reduzierung des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft und eine deutliche Erhöhung des Strukturreichtums wie Säume und Feldraine zum Ziel haben.“

Dass es im sächsischen Umweltministerium durchaus die Vermutung gibt, dass die Fokussierung auf eine intensive Landwirtschaft wohl der Hauptgrund für den Insektenschwund ist, machte die Antwort auf Günthers Frage „Welche möglichen Ursachen werden nach Kenntnis der Staatsregierung diskutiert und welche Ursachen sind aus Sicht der Staatsregierung für das Insektensterben (auch in Sachsen) verantwortlich?“ deutlich.

In der Antwort heißt es dann: „In der Studie, die in der Antwort auf Frage 1 zitiert wird, wurden als mögliche Ursachen für den Biomasseverlust bei Fluginsekten klimatische Einflüsse, Änderungen der Landnutzung sowie eine Veränderung der Lebensräume im Umfeld der Probeflächen untersucht. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass der Rückgang mit diesen Faktoren nicht allein erklärt werden kann. Obwohl die Einflüsse aus der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung nicht Gegenstand der Untersuchung waren, nehmen die Autoren in der Diskussion die landwirtschaftliche Intensivierung als eine weitere mögliche Ursache an.“

Denn gerade der Verlust von vielfältigen und artenreichen Biotopen in den sächsischen Landschaften, die großflächigen Monokulturen und der starke Pestizid-Einsatz sorgen im Grunde dafür, dass Fluginsekten regelrecht eliminiert werden aus der Landschaft. Einige der flugfähigen Insektenarten stehen längst auf der Roten Liste des Freistaats, die für die Staatsregierung das einzig verfügbare Instrument ist, Artenverluste zu registrieren.

In der Antwort der Regierung heißt es dazu: „Rote Listen, die den Fluginsekten zuzuordnen sind, wurden im Freistaat Sachsen zum Beispiel für Tag- und Eulenfalter, Libellen, Steinfliegen und Grabwespen veröffentlicht. Darin wird deutlich, dass die Zahl der ausgestorbenen beziehungsweise verschollenen Arten bei einigen Insektengruppen, zum Beispiel den Tagfaltern, in den letzten Jahrzehnten angestiegen ist.

Es zirpt und sirrt und summt nicht mehr. Auf den großen Verlust von Bienen haben auch die Umweltforscher schon aufmerksam gemacht. Viele Insekten sind auf bestimmte Pflanzengesellschaften spezialisiert. Wenn die nicht mehr verfügbar sind, fällt auch die Brut aus. Mit Förderung von Blühwiesen versucht das Umweltministerium zum Beispiel gegenzusteuern. Meist sind es nur die EU-Fördermittel für Umweltschutzprojekte, die zum Einsatz kommen. Die Antwort der Regierung verweist auch auf die „investive Naturschutzförderung nach der Richtlinie Natürliches Erbe“. Aber selbst wenn man die dortigen Förderangebote liest, merkt man, dass eine großflächige Strategie zur Stabilisierung und Wiederherstellung von Biotop-Verbünden in Sachsen fehlt.

Nur einige wenige Populationen scheinen sich wieder erholt zu haben: „Bei einigen Artengruppen, zum Beispiel Libellen und Steinfliegen, gibt es aber auch positive
Entwicklungen. Die Staatsregierung verwendet Rote Listen, um Rückschlüsse für den Handlungsbedarf zur Erhaltung der Biodiversität zu ziehen.“

Nur ist das ein eher primitives Instrument, um gegenzusteuern. Denn das Verschwinden einzelner Arten zeigt eben nicht nur an, dass der spezielle Lebensraum für diese Art bedroht ist. Oft ist es ein erstes Anzeichen dafür, dass ganze Biotopsysteme gestört oder gar verschwunden sind. Das Krefelder Forschungsprojekt hat nicht ohne Grund auf das Thema Insektenmasse geschaut, denn Insekten sind nun einmal Teil natürlicher Gesamtsysteme – sie sind Bestäuber, Zersetzer, Bodenaufbereiter, dienen als Vogelfutter und sorgen so dafür, dass auch andere Tierarten in ihrer Vielfalt erhalten bleiben. Denn was bei Vögeln, Säugern und Kriechtieren auf der Roten Liste landet, ist dort oft genug auch verzeichnet, weil diese Tiere kein Nahrungsangebot mehr vorgefunden haben – eben Insekten in der benötigten Menge, um den Nachwuchs aufzuziehen.

Ganz unübersehbar fehlt im sächsischen Umweltministerium dieses Bewusstsein dafür, wie komplex natürliche Lebensräume sind und wie komplex auch die entsprechenden Schutzmaßnahmen sein müssen.

Wolfram Günther: „Der Mensch steht am Ende der Nahrungskette. Es sollte uns unruhig machen, wenn der Anfang der Nahrungskette gerade zusammenbricht.“

Auch der Bundesrat hat am 24. November eine Entschließung gefasst und will durch stärkere Anreize für Landwirte die Attraktivität für Maßnahmen zum Insektenschutz erhöhen. Denn fast alle Befunde deuten darauf hin, dass es die auf maximale Erträge getrimmte Landwirtschaft ist, die das Problem derart verschärft hat. Auch weil in den meisten „Umweltministerien“ zwischen wirtschaftlicher Nutzung (Landwirtschaft, Forstwirtschaft) und Umweltschutz regelrechte Brandmauern eingezogen sind. Jeder wirtschaftet für sich allein und nirgendwo gibt es eine gestaltende Instanz, die tatsächlich bemüht ist, die natürlichen Grundlagen für eine stabile Artenvielfalt in Sachsen wieder herzustellen.

Denn da geht es nicht nur um ein paar Blühwiesen. Da geht es um ganze Landschaftsräume, in denen biologische Vielfalt überhaupt erst einmal wieder Lebens- und Rückzugsräume bekommen muss. Was übrigens auch auf die Großstadt Leipzig zutrifft, die mit der Bebauung und Versiegelung der letzen Brachen ihre wenigen artenreiche Biotope verliert – und damit natürlich auch all jene Insekten, die einmal ganz natürlicherweise auch in der Stadt vorkamen.

Wie Landwirtschaft anders betrieben werden kann, um Artenvielfalt zu sichern, darüber berichtete am 28. November Spektrum.de.

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