Sie sind gewaltaffin, sie respektieren keine Behörde und selbst in Gerichten benehmen sie sich oft so, dass man sich fragt: Haben diese Leute zu viele gewaltverherrlichende Filme gesehen? Nach einem Bericht der „Sächsischen Zeitung“ fragte die linke Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz bei der Staatsregierung nach, welchen Ärger die sogenannten „Reichsbürger“ eigentlich an Sachsens Gerichten verursachen.

Nach der Antwort kann sie nun feststellen: Anhänger der „Reichsbürger“-Szene stellen sächsische Gerichte vor ernste Sicherheitsprobleme. Das bestätigt die Antwort von Justizminister Sebastian Gemkow auf ihre Anfrage.

Demnach mussten von Anfang 2017 bis einschließlich Februar 2018 bei mindestens 143 Gerichtsterminen gesonderte Maßnahmen ergriffen werden, um einen ungestörten Verhandlungsverlauf zu ermöglichen. Anlass war jeweils die Präsenz mutmaßlicher Reichsbürger – als Angeklagte, aber auch im Publikum. Zumeist wurden Justizwachtmeister hinzugezogen und zusätzliche Einlasskontrollen durchgeführt, aber auch Durchsuchungen nach Waffen angeordnet. Die Maßnahmen betreffen überwiegend Amts- (111 Fälle) und Landgerichte (14), daneben aber zum Beispiel auch Finanz-, Sozial- und Verwaltungsgerichte. Besonders häufig waren Sicherungsmaßnahmen an Gerichtsstandorten in Zwickau (28 Fälle), Chemnitz (26), Bautzen (14) und Leipzig (10) nötig.

In 13 Fällen kam es gleichwohl zu Störungen durch mutmaßliche Reichsbürger: Wie die Fallauflistung des Justizministeriums zeigt, wurden beispielsweise Richter*innen und Justizbedienstete beschimpft. In einem Fall sei es am Amtsgericht Auerbach gar zu körperlichen Übergriffen gekommen. Insgesamt wurden wegen solcher und ähnlicher Störungen Ermittlungsverfahren gegen elf Personen unter anderem wegen Beleidigung, Bedrohung und Nötigung eingeleitet, die überwiegend noch nicht abgeschlossen sind.

Die „Sächsische Zeitung“ hatte im Februar über zwölf Vorfälle in Chemnitz berichtet und die Tatsache, dass die Verurteilten noch immer auf freiem Fuß sind. Wenn es darum geht, gewalttätige Rechtsradikale und „Reichsbürger“ hinter Schloss und Riegel zu bringen, tut sich Sachsens Justiz noch immer schwer.

„Alle Zahlen sind vorläufig, weil Vorfälle mit Reichsbürgern ‚nicht gesondert statistisch erfasst‘ werden, wie Gemkow mitteilt“, stellt Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, fest. „Wie meine weiteren aktuellen Anfragen zum Thema zeigen, werden in Sachsen 1.327 Personen der Reichsbürger-Szene zugerechnet (Landtags-Drucksache 6/12606), mehr als die Hälfte davon ist polizeibekannt (Drucksache 6/12610, beide Antworten von Innenminister Wöller). Die Zahlen belegen, dass bisherige Gegenmaßnahmen nicht ausreichen, um die aggressiv auftretende Szene in Schach zu halten.“

Andererseits bestätigen sie ein Phänomen, das in Sachsen seit Jahren beobachtet werden kann: Dass man bei der Verurteilung und entsprechenden Arretierung rechtsradikaler Gewalttäter nach wie vor keine Konsequenz zeigt. Etwas, was das Auftrumpfen genau dieser Szene in den letzten drei Jahren regelrecht unterstützt hat. Und natürlich das im ganzen Land um sich greifende Gefühl, man müsse ja staatliche Instanzen und Gesetze nicht respektieren. Es sei fast alles erlaubt. Auch das trägt dazu bei, dass eine ganze Gesellschaft sich zunehmend radikalisiert und das Klima immer aggressiver wird.

Sachsens Ermittler tun sich noch immer schwer, „Reichsbürger“ als politisch Radikale zu begreifen

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