Es ist eine der radikalsten Formen, wie man seinen Mitmenschen zeigen kann, wie man sie verachtet: Man wird „Reichsbürger“. Oder wie immer sich all die Leute nennen, die glauben, sich einfach per Selbstermächtigung allen Staatsbürgerpflichten entziehen zu können. Es ist auch ein schneller Weg, kriminell zu werden. Und so überrascht es auch Kerstin Köditz nicht, dass die Zahl der Straftaten in der sächsischen „Reichsbürger“-Szene Jahr um Jahr wächst.

In Sachsen ist die Zahl sogenannter „Reichsbürger“ auch im Jahr 2023 erneut deutlich gestiegen, kann die Landtagsabgeordnete der Linken nun feststellen. Denn das ergab ihre jüngste Landtagsanfrage zum Thema (Drucksache 7/15271). Demnach rechnete das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) der Szene Ende 2023 rund 3.000 Personen zu – auch das ist ein neuer Höchststand, seitdem dieses Spektrum Ende 2016 unter Beobachtung gestellt wurde.

Ende 2022 war das LfV noch von 2.500 Personen ausgegangen, über die letzten drei Jahre hat sich der Wert sogar beinahe verdreifacht.

Hohes Niveau an Verdachtsfällen und viel kriminelle Energie

„Während das Innenministerium noch keine aktuellen Daten dazu hat, wie viele Straftaten auf Reichsbürger zurückzuführen sind, unterstreichen neue Erkenntnisse der Justiz die Gefahr. Demnach stellten sächsische Staatsanwaltschaften 2023 bei 514 aktuellen Ermittlungsverfahren einen Reichsbürger-Bezug fest“, erklärt Kerstin Köditz, die Sprecherin der Linksfraktion für antifaschistische Politik ist.

„Der Wert liegt unter dem des Vorjahres (589 Verfahren), aber im langjährigen Vergleich auf hohem Niveau. Eine Häufung gab es bei den Staatsanwaltschaften Dresden (127 Fälle) und Leipzig (126).“

Und die Fälle, die dann vor Gericht landen, zeigen, dass man es immer wieder mit Menschen mit hoher krimineller Energie zu tun hat. Die Verfahren wurden zuletzt wegen mehr als 80 unterschiedlichen Straftatbeständen geführt, von A wie Amtsanmaßung bis Z wie Zuwiderhandlung gegen ein Vereinsgebot. In der Justiz-Statistik finden sich zudem Erpressungen, Körperverletzungen und eine schwere Brandstiftung.

„Offensichtlich haben viele Fälle keinen politischen Hintergrund, sondern spielen im Bereich der Allgemeinkriminalität. Das zeigt umso mehr die hohe kriminelle Energie, die in der Szene steckt“, sagt Köditz. „Sie ist außerdem eine Belastung für sächsische Gerichte (Drucksache 7/15299).

So mussten im vergangenen Jahr bei mehr als hundert Verhandlungsterminen besondere Sicherheitsvorkehrungen – etwa zusätzliche Eingangskontrollen – veranlasst werden, weil Verfahrensbeteiligte als Reichsbürger galten und Störungen befürchtet wurden. In Einzelfällen kam es dennoch zu Beeinträchtigungen.“

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar