Die Fragen, die die Grünen-Fraktion zu Waffenbesitz von Reichsbürgern in Leipzig zur letzten Ratsversammlung gestellt hatte, hatten es durchaus in sich. Denn die Zahl der Leute in Sachsen, die der Bundesrepublik einfach jede Legitimität absprechen und so tun, als würden für sie die Gesetze nicht gelten, wächst. Eine Anfrage von Kerstin Köditz (Die Linke) im Landtag hatte erst wieder ergeben, wie stark die Szene zunimmt. Aber hat Leipzigs Verwaltung einen Überblick über die Leipziger „Reichsbürger“?

Schon 2021 vermerkte der Sächsische Verfassungsschutzbericht einen starken Zuwachs in der „Reichsbürgerszene“. Und er warnte vor der starken Waffenaffinität dieser Leute, die Deutschland augenscheinlich für eine Art Wilden Westen halten: „Die Reichsbürger und Selbstverwalter sind seit dem 1. Dezember 2016 ein Beobachtungsobjekt auch des LfV Sachsen. Wenngleich Ähnlichkeiten mit Argumentationsmustern von Rechtsextremisten bestehen, ist bei Weitem nicht jeder Reichsbürger oder Selbstverwalter ein Rechtsextremist.

Mit Blick auf den vorhandenen Geschichtsrevisionismus werden aber bestimmte szeneübergreifende Ideologiebestandteile sichtbar, wie Antisemitismus, Antiamerikanismus oder Nationalismus. Die Szene zeichnet sich mitunter auch durch eine hohe Waffenaffinität aus. Sie trat in den vergangenen Jahren vor allem mit (gewalttätigen) Aktionen gegen Polizeibeamte und Gerichtsvollzieher in Erscheinung.“

Wie groß ist die Leipziger „Reichsbürger“-Szene?

„Nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Koblenz etwa (AZ 7B 11152/18 OVG) fehlt Personen, die die Geltung von in der Bundesrepublik geltenden Rechtsvorschriften in Abrede stellen, die waffenrechtliche Zuverlässigkeit. Dies dürfte auch für Personen mit einer verfestigten neonazistischen Gesinnung gelten“, hatten die Grünen in ihrer Anfrage im Stadtrat festgestellt.

„Die Reichsbürgerszene in Sachsen wächst. Nach einer Anfrage im sächsischen Landtag durch Kerstin Köditz (MdL) hat sich die Zahl von Reichsbürger/-innen von 1.050 Personen 2020 auf nun 2.500 Personen im Jahr 2022 mehr als verdoppelt. Auch im Bereich der sogenannten Leipziger Montagsdemonstrationen bewegen sich Reichsbürger/-innen. Eine der für die Leipziger Szene größten Telegramplattform (mehr als 8.000 Follower) ist dem Reichsbürgerspektrum zuzuordnen.

Dieses veranstaltet regelmäßig Demonstrationen, an denen Personen, die aufgrund von Postings in den sozialen Netzwerken der Reichsbürgerbewegung zuzuordnen sind, teilnehmen – zu erkennen unter anderem an Fahnen des Deutschen Reiches.“

Verteilung der „Reichsbürger“-Szene in Sachsen 2021. Karte: Freistaat Sachsen, Verfassungsschutzbericht 2021.
Die Verteilung der „Reichsbürger“-Szene in Sachsen 2021. Karte: Freistaat Sachsen, Verfassungsschutzbericht 2021.

Eine Feststellung, auf die am 15. März in der Fragestunde des Stadtrates der Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek noch einmal explizit zu sprechen kam. Denn Leute, die mit dem Schwenken der Reichsflagge ihre Gesinnung deutlich kundtun, sieht man nun einmal bei den diversen „Montagsspaziergängen“ in Leipzig – in trauter Runde mit bekannten Neonazis und diversen „Querdenkern“.

Doch auf Kaseks Nachfrage bestätigte Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal zumindest nicht, dass das Ordnungsamt daraus Rückschlüsse zieht. So offensichtlich es ist, aber – so Rosenthal und später auch OBM Burkhard Jung – das Leipziger Ordnungsamt selbst sei keine Behörde, die Erkenntnisse zu staatsfeindlichen Umtrieben sammelt. Das sei auch in Sachsen Ländersache, in diesem Fall des Landesamtes für Verfassungsschutz, das auch der Waffenbehörde die Informationen zuleitet, wenn Personen in der „Reichsbürger“-Szene namhaft werden.

Wenn der Verfassungsschutz nichts meldet

Was dann irgendwie die skurrile Situation ergibt, dass die Ordnungsamtsmitarbeiter zwar die Reichsflaggenschwenker bei den Demonstrationen sehen, die offensichtliche Anwesenheit von „Reichsbürgern“ aber nicht registrieren. Und zwar so lange nicht, solange es auch von den sächsischen Behörden keine Hinweise gibt.

Das heißt im Klartext: Leipzigs Behörden können erst dann reagieren, wenn die Landesbehörden entsprechende Hinweise liefern.

Für die Waffenbehörde im Speziellen liest sich das in der Antwort der Stadt so: „Das LfV Sachsen übermittelt insbesondere Auskünfte in Bezug auf die Mitgliedschaft in einem Verein, der unanfechtbar verboten wurde oder der einem unanfechtbaren Betätigungsverbot unterliegt, oder in einer Partei, deren Verfassungswidrigkeit das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat.

Aber auch bei Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass durch die Person allein Bestrebungen verfolgt wurden, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind, gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, oder durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen, die auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden.

Eine Mitgliedschaft oder die Unterstützung in einer Vereinigung, welche solche Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat, wird ebenfalls übermittelt.

Auf Grundlage der oben genannten Erkundigungen erfolgt die Prüfung, ob eine absolute Unzuverlässigkeit nach § 5 Absatz 1 des Waffengesetzes bzw. einer Regelunzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 des Waffengesetzes vorliegt.

Erlangt das LfV Sachsen im Nachhinein für die Beurteilung der Zuverlässigkeit bedeutsame Erkenntnisse, teilt sie dies der Waffenbehörde unverzüglich mit.“

Die Antwort des Ordnungsdezernats zur Anfrage „Waffenscheine für Reichsbürger*innen?“

„Reichsbürger“ sind unzuverlässig

Und diese quasi amtlich bestätigte Unzuverlässigkeit ist dann Grundlage für den Entzug der Waffenberechtigung. So wurden in Leipzig 2020 vier Waffenberechtigungen wegen fehlender Zuverlässigkeit entzogen, 2021 waren es fünf und 2022 vier. Wobei diese Unzuverlässigkeit sich nicht nur auf die Identifizierung als „Reichsbürger“ bezog.

Dazu erklärte das Ordnungsdezernat: „Vom 01.01.2020 bis 31.12.2022 wurden auf Grund von Informationen der sächsischen Sicherheitsbehörden insgesamt drei Waffenbesitzkarten widerrufen. Für die einzelnen Jahre schlüsselt sich dies wie folgt auf: 2020 – keine, 2021 – zwei, 2022 – eine Waffenbesitzkarte.“

Für Jürgen Kasek freilich war die nächste Antwort eher verstörend: „Der Versammlungs- und Veranstaltungsbehörde sind im Zusammenhang mit Versammlungen keine Entwicklungen in Bezug auf die Reichsbürgerszene bekannt. Es kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass vereinzelte Reichsbürgerinnen und Reichbürger an Demonstrationen teilgenommen haben, für eine Bestätigung dieser Annahme liegen hier jedoch keine Erkenntnisse vor.“

Weshalb er eben noch einmal nachfragte. Aber die Stadt Leipzig ist tatsächlich darauf angewiesen, dass sie vom Landesamt für Verfassungsschutz Hinweise bekommt. Und ganz offensichtlich hat das Landesamt für Verfassungsschutz zu den Leipziger Demonstrationen, an denen „Reichsbürger“ teilnehmen, nichts zu sagen und meldet deshalb auch nichts.

Und von sich aus darf Leipzigs Ordnungsbehörde auch nicht aktiv werden, wie man der Antwort entnehmen kann: „Im Zusammenhang mit waffenrechtlichen Erlaubnissen entfaltet die Stadt keine weiteren Aktivitäten im Umgang mit sogenannten Reichsbürgerinnen und Reichsbürgern.“

Siegbert Droese gibt sich ahnungslos

Dass dann ausgerechnet AfD-Stadtrat Siegbert Droese die Gelegenheit wahrnahm, sich ahnungslos zu stellen, überraschte dann nicht mehr. Er erklärte die Definition der „Reichsbürger“ – mit der das Landesamt für Verfassungsschutz nun seit 2016 arbeitet – einfach mal für ein Zerrbild und wollte ernsthaft wissen, woran man einen „Reichsbürger“ erkenne.

„Ich würde gerne meinen Horizont erweitern“, meinte er. Was man ihm nicht wirklich abnehmen kann. Denn dass er sich nach mehr als sieben Jahren auch justiziablen Ärgers mit selbsternannten „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ noch hinstellen kann und behaupten, das wäre nur ein „Zerrbild“, ist mit Naivität oder Weltfremdheit nicht mehr zu erklären. Weshalb Heiko Rosenthal den ahnungslosen AfD-Stadtrat berechtigterweise auf den Verfassungsschutzbericht hinwies, in dem alle Zahlen zu finden seinen.

Bei einzelnen „Reichsbürger“-Gruppierungen sind dort sogar Vorsitzende und Gründer genannt, auch wenn bis dazu erst der sächsische Verfassungsschutzbericht für 2021 vorliegt. Der für 2022 steht noch aus, dürfte aber dann auch die von Kerstin Köditz erfragten Zahlen enthalten. Nur umfassende Zahlen zu Leipzig wird es wohl auch dann nicht geben. Dazu ist die Szene zu diffus.

Aber der Bericht für 2021 enthält z. B. auch den Hinweis auf den „Vaterländischen Hilfsdienst“ (VHD), der mit rund 50 Personen in einem „Armeekorpsbezirk XIX“ auch in Leipzig aktiv ist. Die abgebildete Karte gibt die Zahl der bekannten „Reichsbürger“ für Leipzig dann auch mit 40 bis 60 an.

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