Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Leipziger Stadtrat hat zwei aktuelle Anfragen eingereicht, die es in sich haben. Denn sie beschäftigen sich zum einen mit der Reichsbürgerszene in Leipzig und deren Zugang zu Waffen und zum anderen mit Versammlungen in Leipzig, die augenscheinlich nicht angemeldet wurden. Scheinbar zwei Themen, die nicht zusammengehören – und irgendwie doch.

Offenkundig wurde letzteres wieder mit nicht angemeldeten Versammlungen wie zuletzt in Stötteritz durch die – offenbar der AfD und auch den „Reichsbürgern“ nahestehende – Telegramgruppe „Stötteritz steht auf“.

Ein obskurer Flyer, der in Stötteritz verteilt wurde, sorgt erst recht für Verstimmung.

In ihrer Anfrage zu den unangemeldeten Demos von „Querdenkern“, „Coronakritikern“ und Protestierenden gegen Asylunterkünfte, fragen die Grünen recht deutlich, ob Leipzigs Ordnungsamt da mit zweierlei Maß misst.

„Durch die Stadt Leipzig wurde im vergangenen Jahr Anzeige gegen mehrere Personen gestellt, denen vorgeworfen wird, mittels nicht zuvor angemeldeter Versammlungen gegen einen Aufzug einer rechten Demonstration protestiert zu haben (01.08.2022). Im Anzeigedokument der Stadt wird dabei auch abwertend von sogenannten Rädelsführer*innen gesprochen, denen allerdings keine konkrete Tat zur Last gelegt wird“, begründen die Grünen ihre Anfrage, die sie in der nächsten Ratsversammlung beantwortet haben wollen.

„Andererseits kam es in den vergangenen Jahren insbesondere aus der Szene der Coronakritiker*innen immer wieder zu nicht angemeldeten Aufzügen. Zuletzt versammelten sich in Leipzig Stötteritz nach einem Aufruf des Telegramkanals ‚Stötteritz steht auf‘ Bürger*innen zu einer unangemeldeten Versammlung, auf der unter anderem durch einen AfD-Stadtrat Flyer ohne Angabe eines ‚V.i.S.d.P.‘ (Verantwortlich im Sinne des Presserechts) verteilt wurden.“

„Reichsbürger“ und rechte Radikale

Augenscheinlich sind das alles keine Einzelphänomene. Hinter den Protesten versammelt sich eine zunehmend vernetzte Szene, die sich vor allem in der Ablehnung der Demokratie und des demokratischen Staatswesens einig weiß.

Dass irgendwie immer mehr Leute glauben, sie könnten einfach die Legitimität der Bundesrepublik leugnen, hatte ja zuletzt eine Antwort auf eine Landtagsanfrage von Kerstin Köditz (Die Linke) deutlich gemacht. Immer öfter landen diese Leute auch vor Gericht, weil sie ihr selbsterklärtes „Reichsbürgertum“ als Berechtigung für lauter Rechtsverstöße nehmen – von der Beleidigung über das Fahren ohne Führerschein, Nötigung und Hausfriedensbruch usw.

„Ausweislich der Zahlen des Innenministeriums ist die Anzahl an Reichsbürgern in Sachsen in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Auch eine Gruppierung, die regelmäßig am Montag in Leipzig demonstriert, ist dieser Szene zuzurechnen“, stellt Norman Volger, Stadtrat und ordnungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion fest.

„Inzwischen ist auch gerichtsfest, dass sogenannten Reichsbürgern und Selbstverwaltern die waffenrechtliche Zuverlässigkeit fehlt. Wir müssen daher aufklären, wie die Zusammenarbeit der Behörden ist und welche Schritte unternommen werden, um Personen, die der Reichsbürgerszene zuzuordnen sind, stärker zu kontrollieren und ihnen die waffenrechtlichen Erlaubnisse zu entziehen. Wir können nicht dulden, dass Menschen, die die freiheitlich demokratische Grundordnung ablehnen, auch noch mit Waffen hantieren dürfen.“

In der Anfrage heißt es dazu: „Der Besitz einer Waffenbesitzkarte, die bei der Stadt beantragt werden kann, ist an besondere Voraussetzungen geknüpft, unter anderem an die persönliche Eignung und Zuverlässigkeit (§§ 5, 6 WaffG). In mehreren Entscheidungen haben Verwaltungsgerichte noch einmal deutlich gemacht, dass sogenannten Reichsbürger*innen oder Selbstverwalter*innen die Zuverlässigkeit fehle. Nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Koblenz etwa (AZ 7B 11152/18 OVG) fehlt Personen, die die Geltung von in der Bundesrepublik geltenden Rechtsvorschriften in Abrede stellen, die waffenrechtliche Zuverlässigkeit. Dies dürfte auch für Personen mit einer verfestigten neonazistischen Gesinnung gelten.“

Grünen-Anfrage „Waffenscheine für Reichsbürger*innen?“

Ein AfD-Stadtrat, der Flyer verteilt

Die Reichsbürgerszene in Sachsen wächst. Nach der Anfrage im sächsischen Landtag durch Kerstin Köditz (MdL) hat sich die Zahl von Reichsbürger/-innen von 1.050 Personen 2020 auf nun 2.500 Personen im Jahr 2022 mehr als verdoppelt. Auch im Bereich der sogenannten Leipziger Montagsdemonstrationen bewegen sich Reichsbürger/-innen. Eine der für die Leipziger Szene größten Telegramplattform (mehr als 8.000 Follower) ist dem Reichsbürgerspektrum zuzuordnen.

Dieses veranstaltet regelmäßig Demonstrationen, an denen Personen, die aufgrund von Postings in den sozialen Netzwerken der Reichsbürgerbewegung zuzuordnen sind, teilnehmen – zu erkennen unter anderem an Fahnen des deutschen Reiches.

„Hinzu kommt das Problem, dass sich schon bei den Coronaprotesten gezeigt hat, dass es Personenkreise gibt, die sich über den Kurznachrichtendienst Telegram organisieren, die den Staat ablehnen und daher auch keine Versammlungen mehr anmelden. Die Durchführung einer anmeldepflichtigen, aber nicht angemeldeten Versammlung stellt nach dem Versammlungsgesetz eine Straftat dar“, ergänzt Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek.

„Zuletzt hatte eine Gruppierung, die sich ‚Stötteritz steht auf‘ nennt und bei der es Hinweise gibt, dass diese der AfD nahesteht, im Februar ohne Anmeldung zu einer Versammlung in Stötteritz aufgerufen, wo auch nach Presseberichten durch einen AfD-Stadtrat Flyer verteilt wurden, unter Verstoß gegen das Pressegesetz. Die wehrhafte Demokratie muss auch hier handlungsfähig sein. Wir wollen daher wissen, wie viele Versammlungen, die anmeldepflichtig waren, ohne Anmeldung durchgeführt wurden und wie die Stadt darauf reagiert.“

Grünen-Anfrage „Strafbare Versammlungen?“

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