Es gibt eigentlich keine Partei, die nicht darüber klagt, dass ihre Wahlkampfplakate beschädigt, heruntergerissen oder gleich völlig entfernt wurden. Was besonders jenen Kandidat/-innen richtig wehtut, die kein gut dotiertes Mandat haben und sich den Wahlkampf und das Drucken der persönlichen Wahlplakate direkt vom Mund absparen müssen. Sie können die Verluste nicht ersetzen. Und die berechtigte Frage taucht auf: Wie bekommt man überhaupt einen einigermaßen gerechten Wahlkampf für alle hin?

Ein Thema, das jetzt die Freien Wähler aufgreifen, die sich immerhin zumindest eine kleine Chance ausrechnen, im neuen sächsischen Landtag vertreten zu sein. Sie verfügen auch nicht über die großen Wahlkampfbudgets der etablierten Parteien, weshalb es umso mehr schmerzt, wenn ihre Plakate heruntergerissen werden und sich der Zorn, den die sozialen Netzwerke schüren, an den Plakaten austobt. Als bliese eine ganze Gesellschaft zum Bildersturm und wolle die „Feinde“ vernichten, indem sie ihre Gesichter von den Masten reisst.

Über das, was die sogenannten „sozialen Medien“ mit den Menschen anrichten, müsste extra berichtet werden. Die Parteien versenken auch im sächsischen Landtagswahlkampf einen Großteil ihrer Budgets in den Online-Kampagnen auf Facebook, Twitter & Co. Aber sie bedienen dabei nur ein Phänomen, das der Demokratie überhaupt nicht guttut. Denn diese Netzwerke sind nun einmal ausschließlich auf höchste Mobilisierung und schnelle Erregung programmiert, auf Krawall, Lärm, Zoff und Streit. All das, was Menschen binnen Millisekunden auf die Palme bringt, wütend macht und agieren lässt, als wären sie allesamt ohne jede Erziehung, ohne Respekt oder auch nur das kleinste bisschen Nachdenken. Es wird verbal aufeinander eingeprügelt, gelogen, beleidigt und geschäumt.

Und das, was so gern als sozialer Begegnungsraum behauptet wird, wird zur Schlammschlacht, in der sich über die banalsten Themen tagelang aufgeregt wird und jeder versucht, jeden anderen zu überschreien. Es sieht dort längst genauso aus wie in jeder x-beliebigen Kneipe, wenn ein gegenseitiges Aufstacheln und Heruntermachen stark alkoholisierter Stammgäste in eine wilde Schlägerei ausartet.

Aber die Freien Wähler holen ganz weit aus, um ihren Vorstoß zu begründen.

„Alle reden vom Klimawandel und mehr Umweltschutz. Weniger Plastetüten, weniger Umverpackungen, auch weniger Plakate im Wahlkampf? Zumindest in den Großstädten augenscheinlich nicht. Für diese schlagen die Freien Wähler künftig zentrale Großwände/Flächen je Stadtteil vor, auf denen sich die Bewerber präsentieren können – unter Verzicht auf die tausenden A1-Plakate“, schlagen sie vor.

Warum nur in den Großstädten, erklären sie nicht. Natürlich fällt auf, dass die Plakate der Freien Wähler deutlich seltener im Stadtbild zu sehen sind. Das finanzielle Ungleichgewicht ist also sichtbar. Aber das trifft auch auf die ländlichen Räume zu, wo nicht nur die Freien Wähler im Hintertreffen sind, sondern auch die Parteien, die in einer Großstadt wie Leipzig großflächig werben. Sie sind zwar auch in den Landkreisen aktiv, erleben dort aber zuweilen regelrechte Schlachten gegen die mühsam aufgehängten Plakate, sodass in manchen Regionen oft nur noch eine Partei ganze Straßenzüge beflaggt, weil sie beim Plakatieren aus dem Vollen schöpfen kann: die AfD.

Aber gerade in einigen Landkreisen haben die Freien Wähler eigentlich gute Chancen, der Konkurrenz Stimmen abzujagen. In Großstädten wie Leipzig eher weniger.

Aber so fremd ist der Vorschlag auch hiesigen Parteien nicht. Denn dass das tausendfache Aufhängen von Plakaten nicht gut für die Umwelt ist, wissen sie auch. Gerade erst haben die meisten Parteien das Bedrucken von Plastikplakaten aufgegeben und sind zu besser recyclebaren Pappplakaten zurückgekehrt.

Aber kann man denn einen Wahlkampf nicht sauberer und gerechter gestalten?

Zum Beispiel wie in Frankreich, wo allen Parteien nur die gleichen offiziellen Plakatflächen zur Verfügung stehen, wo große und kleine Parteien alle denselben Platz zur Verfügung haben?

Warum geht das nicht in Leipzig?

Die Grünen im Leipziger Stadtrat finden den Vorschlag gut. Sie könnten sich auch vorstellen, dass im Wahlkampf die sowieso verfügbaren Werbesäulen für die teilnehmenden Parteien genutzt werden können. Das ließe sich ja vielleicht mit einem ordentlichen Vertrag mit dem Betreiber der Anlagen hinbekommen.

Die Freien Wähler regen nun eine neutrale Stelle an, wie beispielsweise den Mehr Demokratie e. V., die bei den Parteien die im Wahlkampf eingesetzte Plakatanzahl abfragen soll. Dividiert durch die Anzahl der Wähler in Sachsen, soll dann eine Wahl-Umweltbelastungsquote ermittelt werden.

„Die Freien Wähler stellen nicht in Abrede, dass Plakatwerbung im Wahlkampf dazugehört, aber im Kontext von mehr Umweltschutz, den alle wollen, sollten wir alles sensibler hinterfragen“, meint der Landesvorsitzende Steffen Große. „Von Umweltschutz reden und es auch tun, sind zwei paar verschiedene Schuhe. Wir jedenfalls werden unsere Anzahl an Plakaten transparent offenlegen und hoffen auch auf die Ehrlichkeit unserer Mitbewerber.“

Umweltschutz sei nun einmal eines der großen Themen dieser Tage, deshalb sei die Frage der Plakatanzahl und Kabelbinder – gemessen in Tonnen –, die nach der Wahl zu entsorgen sind, nicht nur legitim, sondern eine Frage, wie ernst es die Parteien mit Umweltbelastungen tatsächlich nehmen.

Wobei schon die Aufzählung so klingt, als sei das alles wirklich eine Wahlwerbung, die nicht mehr zeitgemäß ist. Und auch wenn Große den Umweltaspekt betont, klingt sein Gefühl mit an, dass die Freien Wähler finanziell und damit auch optisch im Wahlkampf benachteiligt sind.

Das aber lässt sich nur ändern, wenn allen Parteien im Wahlkampf auch nur dieselbe Menge an Werbeflächen zugestanden wird. Standardisiert, zentral, in gleicher Größe nebeneinander. Dass allein die Masse der Plakate die Wähler dazu bringt, eine bestimmte Partei zu wählen, hat noch keine Studie wirklich belegt.

Eher sorgen Massen von Plakaten für eine optische Dominanz, eine Art Besetzung des öffentlichen Raumes, die auch eifrigste Wähler einschüchtert, die aber auch so etwas wie ein deutlicher Stinkefinger sein kann: „Wir sind reich! Wir können es uns erlauben, die ganze Gegend zuzupflastern!“

Das wirkt dann auch sehr prahlerisch, eitel und protzig. Und gerade jene Kandidat/-innen, die ihren ganzen Wahlkampf selbst bezahlen müssen, fühlen sich wohl zu Recht untergebuttert und benachteiligt.

Wahlwerkstatt-Voting: Die Abstimmung zu den Buchkinder-Plakaten zur Landtagswahl in Sachsen + Das Ergebnis

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