KommentarWährend des Montagabendspiels gegen Bayer Leverkusen kam es im Fanblock von RB Leipzig zu Auseinandersetzungen zwischen zwei Lagern. Diese störten sich gegenseitig mit Pfiffen, Gesängen und Drohungen. Ausgangspunkt war ein geplanter Protest gegen die Montagsspiele in der Fußball-Bundesliga. Die aktuelle Eskalation ist der Höhepunkt eines jahrelangen Konflikts. Nun sollte die unterlegene Fraktion zurücktreten.

Die jahrelangen Auseinandersetzungen innerhalb der Fanszene von RB Leipzig sind am Montagabend während der 1:4 verlorenen Partie gegen Bayer Leverkusen eskaliert. Zwei Fraktionen – die eine deutlich größer als die andere – pfiffen sich gegenseitig aus, sangen gleichzeitig verschiedene Lieder und lieferten sich offenbar sogar Handgreiflichkeiten.

Für die Eskalation gibt es einen konkreten Anlass, aber die eigentlichen Ursachen reichen weit zurück. Schon vor mehr als fünf Jahren ließ sich ein Riss in der Fanszene beobachten, als sich die einen bei einem Heimspiel an einem bundesweiten Stimmungsboykott beteiligten und die anderen lieber ihre Mannschaft unterstützen wollten. Schon damals reagierten die einen mit Pfiffen und wütenden Rufen auf die Gesänge der anderen. Es flogen Bierbecher durch die Luft und nach den eigentlich nur veranschlagten zwölf Minuten Stille folgten weitere zwölf Minuten ohne Stimmung – sozusagen ein Protest gegen den Boykott.

Daraufhin gründete sich der Fanverband, dem zunächst nahezu alle Gruppen angehörten. Er schaffte es mal mehr, mal weniger gut, diverse Streitigkeiten zu moderieren. Mittlerweile haben zahlreiche Gruppen den Fanverband wieder verlassen. Vielleicht wäre es einem solchen Gremium, das tatsächlich alle organisierten Fans verbindet, noch gelungen, das zu verhindern, was am Montagabend geschah.

Ausgangspunkt für die Auseinandersetzungen war eine Erklärung mehrerer Fangruppen, in der ersten Halbzeit auf Gesänge und Utensilien zu verzichten, um damit gegen die Montagsspiele in der Bundesliga zu protestieren. Zu den Unterzeichnern gehörten sowohl ultraorientierte Gruppen als auch große Familienfanclubs.

Was ist normal in einem Stadion?

Die Protestform ähnelte somit jenen, die Anhänger anderer Vereine kürzlich gewählt hatten. In Frankfurt hatten die Fans bei Ballbesitz der eigenen Mannschaft geschwiegen und gepfiffen, wenn der Gegner am Ball war – in dem Fall war das RB Leipzig. In Dortmund blieben viele Fanclubs dem Montagsspiel komplett fern.

Möchte man feststellen, wer sich gestern Abend falsch verhalten hat, ist es wohl sinnvoll, sich an dem zu orientieren, was in einem Fußballstadion das Normale ist: die Unterstützung der eigenen Mannschaft.

Es mag gute Gründe geben, in Ausnahmefällen darauf zu verzichten. Das Fußballstadion ist der einzige Ort, an dem Fans – sofern sie geschlossen auftreten – wirklich eine Stimme haben und wahrgenommen werden. Der Protest gegen ein Montagsspiel, das RB Leipzig keine längere Pause zwischen den beiden Europa-League-Partien gegen Marseille verschafft, aber dafür sorgt, dass tausende Zuschauerplätze in einem Spitzenspiel leer bleiben, ist unzweifelhaft legitim.

Nur: Jene, die in der ersten Halbzeit schweigen wollten, hätten frühzeitig erkennen können, dass ihre Protestform die beabsichtigte Wirkung nicht erzielen wird.

In Frankfurt und Dortmund waren die gewählten Aktionen wirkungsvoll, da sie vom großen Teil der Zuschauer unterstützt wurden beziehungsweise es zumindest keine nennenswerten Gegenbewegungen gab. In Leipzig hingegen hatte sich der Großteil der Fanclubs der Erklärung nicht angeschlossen. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte klar sein können, dass ein Stimmungsboykott ins Leere läuft, da es im Stadion dennoch laut sein würde. Spätestens der Spielbeginn brachte diesbezüglich Gewissheit – auch deshalb, weil offenbar viele, die sonst eher ruhig sind, diesmal erst recht mitmachten.

Die mitgereisten RBL-Fans auf dem Betzenberg. Foto: GEPA Pictures
RBL-Fans in Kaiserslautern. Foto: GEPA Pictures

Anstatt sich der Mehrheit der Fans anzuschließen, nutzten einige der Boykottierer jedoch Trillerpfeifen – eine Maßnahme, die ebenfalls keinen positiven Effekt erzielen konnte. In der Eurosport-Liveübertragung waren sie – anders als in Frankfurt – kaum zu hören. Sie störten somit nicht das „TV-Event“, sondern lediglich die eigenen Fans.

Als besonders fragwürdig wäre ihr Einsatz zu beurteilen, wenn damit sogar gezielt die eigenen Fans gestört werden sollten. Die eigene Mannschaft zu unterstützen, ist – wie gesagt – der Normalzustand in einem Fußballstadion. Wenn die deutliche Mehrheit der Zuschauer das auch an diesem Abend wollte, ist das zu respektieren. Die Wut der übrigen Zuschauer auf jene, die mit Trillerpfeifen störten, ist nachvollziehbar und berechtigt.

Andererseits haben sich auch die Boykott-Boykottierer nicht mit Ruhm bekleckert. Insbesondere die ersten Nachbetrachtungen lassen fast jegliche Selbstkritik vermissen. Immer wieder betonen viele von ihnen, dass die Unterstützung der eigenen Mannschaft über allem anderen stehe. Aber wo genau war diese Unterstützung in der zweiten Halbzeit?

Fakt ist: Die Boykottierer hatten angekündigt, in der zweiten Halbzeit die Mannschaft in gewohnter Form zu unterstützen – mit Gesängen, Trommeln und Fahnen. Jahrelang war es Standard im Stadion, dass der Vorsänger den Ton angibt. Dieser Standard war vielen Boykott-Boykottierern in der zweiten Halbzeit allerdings egal.

Aus ihrer Sicht hatten Vorsänger und ultraorientierte Gruppen ihr Anrecht auf die Stimmungshoheit nun verloren. Sie pfiffen in die anderen Gesänge hinein oder stimmten eigene Lieder an. Es war etwas, das viele später unumwunden zugaben: Ein Machtkampf. Ein Machtkampf, der diesen Leuten in dem Moment wichtiger war als die Unterstützung der eigenen Mannschaft.

Beide Seiten ließen die Mannschaft im Stich

Dabei hatten sie diesen Kampf schon in der ersten Halbzeit gewonnen. Über die Konsequenzen daraus hätte man im Anschluss an das Spiel oder in der Sommerpause diskutieren können, ebenso über die Trillerpfeifen. Stattdessen trugen sie den Machtkampf in der zweiten Halbzeit in einer Form aus, die vielleicht sogar ihrer eigenen Mannschaft schadete. Schließlich kassierte sie in jener Phase, in der auf den Rängen die größte Unruhe herrschte, die entscheidenden Gegentreffer.

Diese Kritik gilt natürlich auch der Boykott-Fraktion: Auch sie hätte erkennen können, dass es für die Mannschaft vielleicht besser gewesen wäre, sich in Anbetracht der Entwicklungen an diesem Abend komplett zurückzuhalten. Dass letztlich beide Seiten ihre eigenen Interessen über das Wohl der Mannschaft stellten, ist Ausdruck eines Konflikts, der nicht erst mit dem Anpfiff begann, sondern sich schon seit Jahren zuspitzt.

Die einen orientieren sich stark an Ultras anderer Vereine, positionieren sich häufig gegen die eigene Vereinsspitze und bringen Themen wie Antirassismus ins Stadion, den anderen ist genau das lästig. Die einen haben ihre eigene Stärke offenbar massiv überschätzt und strategisch nicht clever gehandelt. Und könnten nun die Vormachtstellung im Fanblock verliere. Die anderen pochen immer wieder auf eine angebliche Andersartigkeit ihrer Fanszene, die sie wiederherstellen wollen, und ignorieren dabei, dass diese bereits so ziemlich alles kopiert hat, was man auch aus anderen Stadien kennt: Gesänge, Optik, Hymne, und so weiter.

Es scheint schwer vorstellbar, dass die Mehrheit der Fanclubs im kommenden Heimspiel noch den Vorsängern und ultraorientierten Gruppen folgen wird. Im Fanforum äußern manche mittlerweile schon Säuberungsphantasien und schwadronieren von „Fremdkörpern“, die entfernt werden müssten.

Vielleicht wäre es tatsächlich sinnvoll, wenn jene, die bisher den Ton angaben, zumindest vorübergehend die Bühne räumen. Die anderen müssten und könnten dann beweisen, dass sie es besser können; dass es auch ohne die verhassten Schwarzgekleideten funktioniert und sie tatsächlich so laut, bunt und abwechslungsreich sind, wie sie stets behaupten.

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