So richtig wollen sie es nicht wahrhaben: Das Kohlezeitalter geht zu Ende. Daran hat auch der in der vergangenen Woche zwischen Angela Merkel, Sigmar Gabriel, Horst Seehofer und Peter Altmaier ausgehandelte Kompromiss und der Verzicht auf die "Klima-Abgabe" nichts geändert. Auch nicht an dem Zeitraum, in dem die Kohlekraftwerke vom Netz gehen müssen. Trotzdem gab's in Potsdam und Dresden einen Aufschrei, als die Bundesumweltministerin die Zahlen nannte.

Am Mittwoch, 8. Juli, nannte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks die Zahlen, vor denen die Landesregierungen in Sachsen und Brandenburg mit aller Macht die Augen verschließen, als könne man eine Entwicklung einfach ignorieren, indem man immerfort beteuert: “Darf man nicht sagen! Darf man nicht sagen!”

Das ist Polit-Schamanismus, aber keine verantwortliche Politik. Schon am 3. Juli hatte Barbara Hendricks den Kohle-Kompromiss heftig kritisiert. Denn mit der “Klima-Abgabe” hat die Bundesregierung ein mögliches Steuerinstrument für einen geregelten Ausstieg aus der Braunkohle aus der Hand gegeben und die Kosten für das stückweise Abschalten der Kohlemeiler wohl doch wieder dem Steuerzahler aufgebürdet.

Hendricks hatte sogar von “politischer Unfähigkeit und Zukunftsverweigerung” gesprochen.

In der “Zeit” äußerte sie nun am Mittwoch, 8. Juli, sie gehe davon aus, dass der Ausstieg aus der Nutzung der Kohleenergie in Deutschland bis 2040 oder spätestens 2045 abgeschlossen sein werde. “Wir müssen aus der Verfeuerung von Kohle in den nächsten 25 bis 30 Jahren schrittweise aussteigen”, sagte Hendricks.

Nüchterner kann man es eigentlich nicht sagen. Und nüchterner haben garantiert auch die Kohlekonzerne den Kompromiss nicht betrachtet: Sie haben jetzt die Zahl von acht Kraftwerken, die als erste in die sogenannte Kapazitäts-Reserve verschoben werden. Tatsächlich werden sie abgeschaltet, bleiben aber noch stehen, bis die nächste Welle abgeschaltet wird. Das sind mindestens acht Kraftwerke, die vor 2020 vom Netz gehen. Bis 2030 müssten eigentlich schon 70 Prozent der Kohlekraftwerkskapazität abgeschaltet sein, damit Deutschland seine Klimaschutzziele schafft.

Vernünftige Landesregierungen bereiten so etwas vor, legen Transformationsprogramme für betroffene Regionen vor. Denn einfach zu hoffen, man könne die Lausitz an den Subventionstopf des Bundes hängen, macht nicht viel Sinn, wenn das Geld für den Aufbau neuer Beschäftigungsstrukturen viel besser angelegt ist.

Aber indem Barbara Hendricks konkrete Zahlen nannte, hat sie die beiden Energieminister aufs Heftigste erschreckt.

Und als könne man die Zahlen einfach damit aus der Welt schaffen, dass man wieder mal ein gemeinsames Positionspapier aufsetzt, wiesen Brandenburgs Wirtschafts- und Energieminister Albrecht Gerber und Sachsens  Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Dulig am Mittwoch die Äußerungen von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks eiligst zurück. “Sie kritisierten, dass Wortmeldungen wie die von Frau Hendricks zur weiteren Verunsicherung der Menschen in der Lausitz beitrügen”, teilt das sächsische Wirtschaftsministerium noch mit, als würden konkrete Zahlen die Kumpel in der Lausitz mehr verunsichern als das brandenburgisch-sächsische Herumgeeier.

„Wir führen keine Debatten um Jahreszahlen. Der Industriestandort Deutschland braucht eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung. Das ist für uns der Maßstab“, lassen sich die beiden Minister zitieren. Zumindest in Brandenburg weiß man, dass die deutschen Energiewende-Verweigerer ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Die einen zögern und zaudern bei den nötigen Stromtrassen, die anderen bringen die nötigen Speicher nicht zum Bau, als hätten sie tatsächlich Zeit bis Ende des Jahrhunderts.

Aus der Mitteilung der beiden Ministerien: “Brandenburg forciere die umwelt- und klimaverträgliche Energieerzeugung und nehme beim Ausbau der Erneuerbaren Energien bundesweit einen Spitzenplatz ein, erklärte Minister Gerber. So lange jedoch die technischen Voraussetzungen fehlten, um den aus Erneuerbaren Energien erzeugten Strom in ausreichenden Mengen zu speichern und damit Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sei der Ausstieg aus der konventionellen Energieerzeugung nicht zu verantworten. Zudem widerspricht Energieminister Gerber der Einschätzung der Bundesumweltministerin, dass der Aufschluss neuer Tagebaue unwahrscheinlich sei.”

Dabei verweist Gerber auch auf den Brandenburger Koalitionsvertrag. Dort heiße es wörtlich: „Braunkohle-Nutzung in Deutschland ist daher solange erforderlich, bis der Industriestandort Deutschland seinen eigenen Energiebedarf sicher und zu international wettbewerbsfähigen Preisen aus Erneuerbaren Energien decken kann.“ Womit die beiden Minister eigentlich selbst zum ersten Mal zugeben, dass sie eigentlich Hausaufgaben auf dem Tisch haben, die noch immer nicht abgearbeitet sind. Denn wen wollen sie eigentlich dafür verantwortlich machen, dass die nötigen Speicherkapazitäten nicht geschaffen wurden?

Glaubensfrage oder Energiepolitik

Selbst Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig weiß es eigentlich: „Ob und wie lange wir die Braunkohle zur Energieerzeugung noch benötigen, war für Sachsen nie eine Glaubensfrage, sondern davon abhängig, ob und wie schnell wir alternative Energieformen grundlastfähig machen können. Beim Thema Braunkohle geht es um energiepolitische Vernunft. Glaubensäußerungen von Frau Hendricks zu Zeiten der Verkaufsgespräche von Vattenfall, sind für die Suche nach einem Käufer und für die betroffenen Menschen in der Lausitz wenig hilfreich und schwer vermittelbar.“

Da schimpft er auf die Ministerin, die die Jahreszahlen nennt, mit denen auch er rechnen muss, wenn er sein Amt ernst nimmt. Aber ein dem angemessenes Energiepolitisches Konzept hat er nicht vorgelegt.

Stattdessen tun die beiden gewählten Minister so, als müssten sie für den schwedischen Energiekonzern Vattenfall Kindermädchen spielen: “Beide Minister hoben hervor, dass sie sich weiterhin intensiv bemühen werden, Vattenfall beim Verkauf seiner Braunkohlesparte zu unterstützen und so den Menschen in der Region eine verlässliche Perspektive zu bieten.”

Die “Menschen in der Region” werden erschrecken, wenn sich gar kein allzusehr interessierter Käufer für die Kraftwerke findet oder gar nur die Tagebaue verkauft werden. Aber ein Szenario, die denkbaren Varianten überhaupt ernst zu nehmen, gibt es nicht.

Aber nur noch so als Nachbemerkung: Beide Minister haben die von Barbara Hendricks genannten Jahreszahlen nicht dementiert. Sie wissen eigentlich sehr genau, wie recht die Umweltministerin hat. Aber man will ja die Menschen nicht erschrecken in der Region.

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