Sachsen hat's vergeigt, richtig vergeigt. Und am Ende nicht mal "Stopp!" gerufen, als am 24. September in abendlicher Stunde die neue Regelung für die Vergabe der Regionalisierungsmittel zwischen Bund und Ländern ausbaldowert wurde. Vorher sowieso schon. Jetzt ist der Regionalverkehr im Freistaat wirklich bedroht. Und die Grünen sind entsprechend entsetzt.

Denn bei der Neuverteilung der Regionalisierungsmittel des Bundes für den SPNV wird Sachsen deutlich weniger vom Kuchen abbekommen als bisher. Bund und Länder haben sich in der letzten Woche auf eine Neuverteilung zur Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs geeinigt. Wobei das Wort Kuchen wohl falsch ist an der Stelle: Es geht um täglich Brot, nämlich einen regional organisierten Zugverkehr, der auch funktioniert.

Der Bund gibt das Geld dafür, die Bundesländer geben es weiter. Wenn sie klug sind. Doch Sachsen hat sich immer was abgezwackt. Zuletzt flossen nur noch 75 Prozent der Regionalisierungsmittel an die Zweckverbände, die dann den Regionalverkehr bestellen. Der Anteil erhöht sich jetzt auf 80 Prozent. Auch das ist zu wenig.

Sachsen werde jetzt für seine Sparwut der vergangenen Jahre bestraft, finden die Grünen.

Bis 2030 reduziert sich der sächsische Anteil an diesen Bundesmitteln von 7,16 Prozent nach und nach auf nur noch 5,3 Prozent. Grund dafür ist der “Kieler Schlüssel”, den die Verkehrsminister der Länder im Oktober 2014 beschlossen haben. Der bringt neben den bestellten Zugkilometern auch noch die Bevölkerungsentwicklung in die Berechnung. Und das Ergebnis ist, dass die ostdeutschen Bundesländer, die in den vergangenen 25 Jahren heftig Bevölkerung verloren haben, nun auch die Sonderquote verlieren, mit der sie das regionale Zugnetz trotzdem erhalten konnten.

Zwar erhöhen sich die gesamten Regionalisierungsmittel von bisher 7,3 Milliarden Euro auf zunächst 8 Milliarden Euro (2016) und dann nach und nach auf 10,27 Milliarden Euro durch den Bund. Das verschafft Sachsen zwar in den nächsten beiden Jahren leicht höhere Mittel von etwa 543 Millionen Euro (2014: 522,7 Mio.). Doch dann reduzieren sich die Regionalisierungsmittel für Sachsen wieder auf 520 Millionen Euro (ab 2020) und steigen nur noch bis zum Jahr 2030 sehr leicht an.

Heißt im Klartext: Die ganz normale Inflation frisst dann die Angebote im Regionalverkehr auf. Der Osten guckt bei der Erhöhung der Regionalisierungsmittel komplett in die Röhre. Die zusätzlichen Gelder vom Bund fließen nach Bayern, NRW, Baden-Württemberg, selbst ins ferne Schleswig-Holstein.

“Damit stehen im Jahr 2030 ca. 26 Prozent weniger Mittel zur Verfügung als bei Fortführung der bisherigen Verteilung”, zeigt sich Katja Meier, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Sächsischen Landtag entsetzt. “Dieser Schaden ist hausgemacht. Die Staatsregierung hat in den letzten Jahren nur noch 75 Prozent dieser Bundesmittel den Verkehrsverbünden weitergereicht und ist damit bundesweites Schlusslicht. Niemand muss sich über diesen Anteilsverlust wundern, wir Grünen haben oft genug auf diese drohende Konsequenz hingewiesen.”

Da die ostdeutschen Landesregierungen bei dem Thema augenscheinlich völlig geschlafen haben, sieht Katja Meier die einzige Chance für den sächsischen Regionalverkehr darin, dass die Landesregierung den Zweckverbänden auch mehr von den Regionalisierungsmitteln weiterreicht. Sie fordert: “Die Quote der perspektivisch knapper werdenden Regionalisierungsmittel muss zu mindestens 90 Prozent an die Zweckverbände weitergeleitet werden – so wie es die SPD in der Opposition immer gefordert hat. So könnte Sachsen seine hinteren Plätze im bundesweiten Ranking verlassen. Wenn Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) es ernst meint mit einer auskömmlichen Finanzierung von Bus und Bahn in Sachsen, muss er jetzt umsteuern.”

Bisher wurden in Sachsen aus den Bundesmitteln unter anderem der Schülerverkehr subventioniert (eine echte Landesaufgabe), der City-Tunnel mitfinanziert oder Schmalspurbahnen gefördert. “Für solche Aufgaben haben andere Bundesländer Landesmittel verwendet”, sagt Meier. “Die Kürzungen beim ÖPNV durch die Staatsregierung führte bei den Verkehrsverbünden zu Streckenausdünnungen, Abbestellungen und hat sich somit negativ auf die Anzahl der bestellten Zugkilometer in Sachsen ausgewirkt. Diese sind aber ein Kriterium bei der Neuregelung der Verteilerquoten unter den Bundesländern.”

Andere Bundesländer hätten nicht gekürzt, sondern offensiv in den Nahverkehr investiert und Kampagnen für den Umstieg auf Bus und Bahn organisiert. “Dies hat sich für diese Länder bei der Verteilung der Bundesmittel ausgezahlt, die nun wegen der mehr gefahrenen Zugkilometer in ihren Ländern auch mehr Geld bekommen. Durch die verfehlte Verkehrspolitik der letzten Jahre entgehen Sachsen nun Millionen”, kritisiert Meier die vergeigte Verkehrspolitik der letzten Jahre. “Die Rahmenbedingungen haben sich für die Zweckverbände in Sachsen dramatisch verschärft. Durch den Rückzug der Deutschen Bahn aus dem sogenannten eigenwirtschaftlichen Bahnverkehr auf der Sachsen-Franken-Magistrale und zwischen Görlitz und Dresden müssen jetzt die Zweckverbände diese Verkehrsleistungen kompensieren.”

Ein Spiel, das die Bahn auch im benachbarten Thüringen spielt. Eigentlich Grund genug für beide Bundesländer, mehr Geld aus dem Topf zu fordern. Aber stattdessen verzichten sie honorig auf dreistellige Millionenbeträge.

Wenn der “Kieler Schlüssel” konsequent angewendet wird, büßt Sachsen bis 2030 rund 1 Milliarde Euro ein. Davon hätte man einen zweiten City-Tunnel bauen können.

In Thüringen wird sich das Problem noch viel schneller zu echten Einschnitten verdichten, wie Bernd Schlosser, Vorsitzender des Pro Bahn Landesverbandes Thüringen, erklärt: “Wir begrüßen zwar, dass mit der Einigung von vergangener Woche die jahrelange Hängepartie über die Finanzierung des Nahverkehrs auf der Schiene beendet wurde und nun zumindest Planungssicherheit besteht. Mit den mittelfristig sinkenden Mitteln drohen für Thüringen aber deutliche Einschnitte. Um diese zu vermeiden, muss jetzt schnellstmöglich die Hauptursache für die steigenden Kosten angepackt werden: eine Deckelung der Stations- und Trassenpreise, die Verkehrsunternehmen für die Benutzung der Infrastruktur an die DB Netz AG zu zahlen haben. Die Landesregierung muss die Thüringer Regionalisierungsmittel zudem zukünftig ausschließlich für den Schienenpersonennahverkehr einsetzen. Von der Deutschen Bahn erwarten wir die Einführung der im neuen Fernverkehrskonzept vorgesehenen Intercity-Linie auf der Saalbahn im Jahr 2018, damit hier keine teure Nahverkehrs-Ersatzbestellung durch den Freistaat Thüringen nötig wird.”

Tatsächlich ist Sachsen längst kein schrumpfendes Land mehr. Gerade die Großstädte wachsen wieder und der Ausbau der S-Bahn-Netze erweist sich als wichtiges Rückgrat dieses Wachstums. Das trifft nicht nur auf Leipzig zu.

“Zudem müssen zusätzliche Leistungen wie zum Beispiel die Taktverdichtungen im Raum Dresden – Meißen nach Ausbau der S-Bahnstrecke bestellt werden. Dazu kommen höhere Trassen- und Stationsentgelte für die Zweckverbände, auch steigende Kosten der Infrastruktur und inflationsbedingte Mehrkosten sind zu stemmen”, benennt Meier die nächsten Aufgaben, die alle in der Finanzierungsklemme stecken zu bleiben drohen. “So droht der Schienenverkehr auf dem Land weiter auszudünnen. Selbst Streckenstilllegungen sind nicht ausgeschlossen. – Schon die bisherige Kürzungspolitik der CDU-geführten Regierungen in Sachsen hat ganz konkrete Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger. Seit 2010 wurden die Tarife um ca. 20 Prozent erhöht. Wenn Sachsen nicht endlich finanzielle Verantwortung für den ÖPNV übernimmt, wird sich diese Preissteigerung fortsetzen.”

Wobei man unterscheiden muss zwischen dem ÖPNV (Bus und Straßenbahnen) und dem Schienengebundenen Nahverkehr (SPNV), der im Gleisnetz der Deutschen Bahn stattfindet und in der Regel auch nach Bahntarif läuft.

Die Regionalisierungsmittel sind einfach dafür da, den notwendigen Schienennahverkehr in den Bundesländern zu sichern. Doch mit dem “Kieler Schlüssel” wurden die ostdeutschen Bundesländer jetzt regelrecht aufs Trockene gesetzt.

Die Zahlungen an die Länder erfolgen, da diese 1996 die Zuständigkeit für die Finanzierung des Eisenbahnnahverkehrs vom Bund übernommen haben. Die Regionalisierungsmittel des Bundes sind dafür gedacht, den einst vom Bund auf regionaler Ebene finanzierten Verkehr auch in Regie der nun verantwortlichen regionalen Zweckverbände aufrechtzuerhalten. Jährlich erhält der Freistaat Sachsen Regionalisierungsmittel vom Bund zur Sicherung insbesondere eines leistungsfähigen Schienenpersonennahverkehrs (SPNV).

Aber seit 2010 hat die Staatsregierung nur noch 74 Prozent dieser vom Bund zur Verfügung stehenden Mittel direkt an die Zweckverbände für die Bestellung der Verkehre weitergereicht. 2015 sind zwar knapp 80 Prozent vorgesehen, bundesweit bleibt Sachsen damit aber auf dem letzten Platz.

Der von der Verkehrsministerkonferenz in Kiel am 2. Oktober 2014 beschlossene Kieler Schlüssel regelt die Verteilung der vom Bund an die Länder vergebenen Regionalisierungsmittel für den öffentlichen Personennahverkehr. Der Schlüssel setzt sich zur Hälfte aus der Einwohnerzahl des Landes (mit Stand 2012) und den für 2015 angemeldeten Zugkilometern zusammen.

Sachsen erhielt bis 2014 konstant einen Anteil von 7,16 Prozent von den Bundesmitteln. Aufgrund der Reduzierung beider Parameter (der bestellten Zugkilometer und der Bevölkerungszahl) wird dieser Anteil bis zum Jahr 2030 auf nur noch 5,3 Prozent sinken. Damit stehen im Jahr 2030 ca. 26 Prozent weniger Mittel zur Verfügung als bei Fortführung der bisherigen Regelung. Und da es ja auch noch die berühmte Inflation gibt, stehen auch real 20 bis 30 Prozent weniger Geld zur Verfügung.

Dasselbe gilt für Thüringen, für das Pro Bahn noch anmerkt: “Kostensteigerungen durch steigende Infrastruktur- und Energiepreise, Gehälter und die übliche Inflation lassen sich damit nicht mehr auffangen. Um deren Wirkung auszugleichen bleibt nur, in den nächsten 15 Jahren immer weniger Nahverkehrszüge zu bestellen. Verschärft wird die Situation Thüringens durch die neue ICE-Strecke, die das Land zwingt, auf den bisherigen Fernverkehrsstrecken in erheblichem Umfang zusätzlichen Nahverkehr zu bestellen und alleine zu finanzieren. Schon mittelfristig drohen daher Einschnitte in das vorhandene Fahrplanangebot.”

Kann man eigentlich nur noch sagen: Gute Nacht, Mitteldeutschland. Deine Verkehrsminister haben es gründlich verpennt.

Der Beschluss der Verkehrsministerkonferenz von 2014.

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Keine Kommentare bisher

Ganz schöne Pfeifen, die da in Dresden ein Bundesland regieren wollen.

Erst nicht alle Regionalisierungsmittel durchreichen (mich wundert, dass das überhaupt erlaubt zu sein scheint), und nun kommt überhaupt weniger Geld.

Kann gut sein, dass og. Pfeifen das Sachsenland in eine Mangelwirtschaft wie einst in der DDR zurückwerfen. So geht sächsisch: Mangelwirtschaft auch ohne Repression.

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