Man möchte fast seufzen. Warum immer nur das halb leere Wasserglas sehen? Das bringt doch nicht weiter. Vor allem lernt man nichts draus. Auch nicht über die Energiewende in Deutschland, die schon lange hinterherkleckert, selbst wenn es um die weichgekochten Klimaschutzziele der Bundesregierung geht. Die IHKs haben jetzt mal wieder etliche Unternehmen zu den „Auswirkungen der Energiewende“ befragt. Das Ergebnis ist – durchwachsen.

Auch im Osten. Was viele Gründe hat. Und die Gründe widersprechen sich alle. Denn was gern vergessen wird: „Die Energiewende“ ist auch ein Markt, auf dem sich Branchen und Unternehmen gegenseitig mit harten Bandagen bekämpfen. Die Unternehmen aus der Solar- und Windkraftbranche haben völlig andere Interessen als die aus der Kohlewirtschaft, der Fliegerei oder dem Bauwesen.

Wofür übrigens genau die Grafik spricht, die die IHK zu Leipzig glaubt, als Argument für ein ostdeutsches Unbehagen nehmen zu können: „Die ostdeutschen Unternehmen bewerten die Auswirkungen der Energiewende auf die eigene Wettbewerbsfähigkeit deutlich kritischer als in den anderen Regionen des Landes. Das zeigen die Ergebnisse des vom Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) aktuell veröffentlichten Energiewende-Barometers 2017, an dem sich deutschlandweit 2.250 Unternehmen aus allen Branchen beteiligten, davon 400 aus den ostdeutschen Bundesländern. Der Barometerwert erreicht deutschlandweit auf einer Skala von – 100 bis + 100 den Wert + 1,0 und liegt damit leicht über dem Vorjahresniveau (2016: + 0,8). In den Vorjahren lag er noch deutlich im negativen Bereich. Ein deutlicher Rückgang der Bewertung ist im Osten (2017: – 3,6; 2016: – 0,7) und im Norden (2017: + 3,7, 2016: + 6,4) zu verzeichnen.“

Nur noch einmal für alle, denen solche Zahlen zu kompliziert sind: Wenn von einem Barometerwert von 100 gesprochen wird, bedeutet das, die teilnehmenden Unternehmen hätten (theoretisch) zu 100 Prozent sagen können „Die Energiewende ist völlig in die Hose gegangen für mich“.

Das hätte den Wert – 100 ergeben.

Sie hätte auch zu 100 Prozent das Gegenteil sagen können: „Die Energiewende war für mich ein voller Erfolg“.

Das wären dann + 100 gewesen.

Aber tatsächlich sind die Einschätzungen seit 2012 überall in Deutschland langsam besser geworden. Damals lag der ostdeutsche Wert übrigens mit – 19,5 tatsächlich ganz weit unter den Einschätzungen der anderen Himmelsrichtungen. Zwischen 2014 und 2016 sind überall die Zustimmungswerte über Null gestiegen. Das heißt: Mehr Unternehmen finden die Energiewende gut als sie schlecht finden.

Nur im Osten sackte der Wert 2017 leicht ab von – 0,5 auf – 3,5. Aber auch das passt ins Bild, denn hier kommen zwei wesentliche Faktoren zum Tragen – einerseits die besonders hohe Abhängigkeit vom Kohlestrom und zum anderen die besonders hohen Netzentgelte. Diese sind im Osten höher als im Westen, was viele Unternehmen zu Recht als ungerecht empfinden.

Und das betont dann auch die IHK: „Hauptgrund dafür sind die im regionalen Vergleich teils deutlich höheren und nochmals gestiegenen Netznutzungsentgelte und die damit verbundenen Wettbewerbsnachteile. So lautet eine Hauptforderung der befragten Unternehmen an die zukünftige Bundesregierung, die Stromzusatzkosten spürbar zu senken.“

„Die Senkung der Stromzusatzkosten ist eine wichtige Voraussetzung für die allgemeine Akzeptanz der Energiewende“, erklärt Kristian Kirpal, Präsident der IHK zu Leipzig, im Namen der Landesarbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern im Freistaat Sachsen. „Die sächsischen Industrie- und Handelskammern plädieren daher für die zügige Absenkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestniveau (0,05 ct/kWh). Zudem muss die mit dem Netzentgeltmodernisierungsgesetz vor kurzem beschlossene Harmonisierung der Netznutzungsentgelte wesentlich früher komplett umgesetzt werden als bis 2022. Von diesen Maßnahmen profitieren Wirtschaft und Bevölkerung gleichermaßen.“

Aber das ist nicht der einzige Ärger der Unternehmen mit einer Politik, die nicht bereit ist, Fehler zu korrigieren.

Ebenso groß ist der Ärger auch in der Bauwirtschaft, denn die hat nun seit drei Jahren darauf gewartet, dass die Bundesregierung, nachdem sie erst die gesetzlichen Anforderungen für energetischen Gebäudebau drastisch erhöht hat, ein ausreichendes Förderprogramm auflegt, um diese Verteuerung des Bauens abzufedern.

Was zu den ganzen Problemen führt, unter denen auch Großstädte wie Leipzig leiden. Denn alle Großstädte brauchen eigentlich dringend sozialen Wohnungsbau. Mit den Auflagen der Regierung aber lässt sich kein preiswerter Wohnungsbau erstellen. Ergebnis: Man kann die erwarteten preiswerten Wohnungsbestände nicht bauen.

Immer dann, wenn es wirklich um wichtige Weichenstellungen für die Energiewende geht, kommt aus der Bundespolitik seit Jahren nichts.

Es ist ja nicht so, dass die Unternehmen nur eine Senkung der Stromkosten fordern, auch wenn das den Forderungskatalog dominiert. Gleich an zweiter Stelle kommt der Stromnetzausbau, der in manchen Bundesländern regelrecht vertrödelt und ausgebremst wird. Und auch wenn nur 5 Prozent der Unternehmen dafür sind, die Vorgaben zur Energieeffizienz zu verschärfen, tun 80 Prozent alles, um ihre eigene Energieeffizienz zu verbessern. Über alle Branchen hinweg.

Und es ist ein durchaus durchwachsenes Bild, wenn zwar die Hälfte der Befragten fordert, die Förderung für neue Anlagen bis 2021 einzustellen, 26 Prozent aber sagen: Nein, das nun nicht.

Es sind eben keine Bürger auf der Straße, die man hier befragt hat und die irgendeine Meinung haben. Es sind Unternehmen, deren Geschäftsfeld oft direkt an genau diesen Anlagen und Systemen hängt. Und es geht um die Frage, was für eine Wirtschaft und Energielandschaft wir in ein paar Jahren brauchen.

Und ein kleinerer Teil der Unternehmen ist dabei, genau diese Energielandschaft zu bauen. Da kann man natürlich so tun, als müsse sich nichts ändern. Aber das kann katastrophal enden, wenn beim Aus für die Kohlemeiler die neuen Strukturen nicht existieren.

Und das wird auch und gerade die Unternehmen der Industrie treffen, die bislang noch am heftigsten gegen den energetischen Umbau sind. Was schon verblüfft, wo man von den Leipziger Industrieunternehmen doch hört, sie seien längst dabei, die eigenen, gasbetriebenen Blockkraftwerke aufzubauen. Denn das wird die „Übergangstechnologie“. Nichts anderes. Wer heute noch auf Kohle wettet, hat die Zeit tatsächlich verschlafen.

Aber auch da hilft der Blick aufs Barometer: Auch in den verschiedenen Branchen steigen seit 2014 die Zustimmungswerte zur Energiewende. Industrie und Handel zeigen dabei immer die konservativsten Werte. Was auch daran liegt, dass die alten Energiestrukturen für sie besonders günstig waren – bis hin zum billigen Diesel für die riesigen Handelsflotten auf den Straßen. Was übersetzt eben auch heißt: Hier ist die Umstellung aufwendiger und teurer.

Aber sie wird zwangsläufig kommen. Und die andere Seite der Medaille ist: Profitieren werden dabei jene Unternehmen, die auf ihrem Gebiet Vorreiter sind.

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