Was sich in den beiden Vorjahren schon abzeichnete, wird durch die "Bürgerumfrage 2012" (deren "Schnellbericht" jetzt vorliegt) bestätigt: Immer mehr Leipziger sind mit den Fahrrad unterwegs. Und einige Verbesserungen im Radwegenetz werden dabei durchaus positiv angenommen. Jeder fünfte Leipziger war 2012 (fast) täglich mit den Rad unterwegs. Der Anteil stieg in allen Altersgruppen.

2011 hatte die “Bürgerumfrage” nur 16 Prozent der Leipziger als tägliche Radfahrer ausmachen können. Weitere 15 Prozent fuhren mehrmals pro Woche mit dem Rad, weitere 17 Prozent mehrmals im Monat. Die letzten beiden Werte blieben 2012 gleich – nur der Wert der Täglich-Fahrer stieg auf 20 Prozent. Dabei stiegen Jugendliche in 26 Prozent der Fälle täglich aufs Rad (2011: 23 %), 35- bis 49-Jährige in 21 Prozent der Fälle (2011: 14 %), 50- bis 64-Jährige in 18 Prozent der Fälle (2011: 14 %).

Was die These unterstützt, dass das Fahrrad verstärkt als Transportmittel zur Arbeit genutzt wird. Also eben auch dann, wenn die anderen alle mit Auto oder ÖPNV unterwegs sind. Das ergibt ein neues Bild. Denn bislang galt das Fahrrad in Leipzig hauptsächlich als Transportmittel in der Freizeit. Das blieb es auch 2012 noch – doch es steigerte auch hier seinen Wegeanteil von 32 auf 42 Prozent. Und es sind vor allem Leipziger, die bislang mit dem Pkw in die Freizeit fuhren, die 2012 umgesattelt haben. Der Pkw/Krad-Anteil am Freizeitverkehr sank von 38 Prozent auf 27 Prozent.

Das sind schon tektonische Verschiebungen. Hier ändern sich gerade wesentliche Nutzungsverhalten deutlich. Und zwar nicht nur bei jungen Leuten, sondern quer durch alle Altersschichten. Was übrigens auch für das, was im Neuseenland passiert, eine Rolle spielen wird. In den Visionen der dortigen Strategen denkt man immer noch vom Wasser her – und blendet meistens aus, dass die größten Besucherströme nicht auf dem Wasser kommen, sondern zu Lande – und zwar mittlerweile vor allem mit dem Fahrrad. Es sind nicht teure Marinas, die fehlen, sondern touristische Infrastrukturen für Radfahrer. Die sich von der Natur her sogar problemlos mit touristischen Infrastrukturen für Kanuten und Ruderer verbinden lassen.

Aber wo Leipzigs Verkehrsplaner die Botschaft so langsam verstanden haben, klemmt die Wasserstrategie im Amt für Stadtgrün und Gewässer noch immer in den Träumen von blitzenden Yachten und knatternden Motorbooten.

Die Zufriedenheit mit den Radverkehrsbedingungen in Leipzig hat sich 2012 leicht erhöht. 38 Prozent der Befragten sind mit der Qualität der Radverkehrsanlagen (sehr) zufrieden, 2011 waren es 31 Prozent. Und während 2011 noch 31 Prozent mit dem Angebot an Radverkehrsanlagen (sehr) zufrieden waren, waren es 2012 dann 32 Prozent. Das kann mit der Ausweisung neuer Radfahrstreifen wie in der Georg-Schumann-Straße zu tun haben, auch mit dem ein oder anderen neuen Radweg am Stadtrand oder den ersten Puzzle-Steinen für den innerstädtischen Radring.
Leipzigs Verkehrsplaner können trotzdem weiter grübeln, wie ein zukunftsfähiges Radwegenetz in Leipzig eigentlich aussehen sollte. Schon 2011 hatte die “Bürgerumfrage” gezeigt, dass die meisten Radfahrer doch lieber schön abgesondert vom motorisierten Verkehr unterwegs sind. Da kann der ADFC noch so emsig um freie Fahrt auf allen Straßen kämpfen – die meisten Leipziger wagen sich eher ungern in den Verkehr mit den Automobilen.

87 nutzen gern bis am liebsten baulich separierte Radwege neben der Straße, 72 Prozent fahren am liebsten und gern über Wege ganz abseits der Straßen, obwohl die nach aller Erfahrung meist am schlechtesten instand sind. 70 Prozent sind auch mit markierten Radfahrstreifen zufrieden – aber hier ist der Anteil derer, die sie “am liebsten nutzen” schon auf 22 Prozent geschmolzen (Radwege: 63 %). 28 Prozent fahren auch gern auf Gehwegen. Die Statistiker haben hier zwar als Einschränkung “bei schlechten oder gefährlichen Straßen” hingeschrieben – aber das trifft ja bekanntlich auf einen Großteil des Leipziger Straßennetzes zu. Nur 11 Prozent wagen sich auch gern auf Fahrbahnen ohne Radwegkennzeichnung. Gerade bei den letzten beiden Kategorien gibt es einen sehr großen Anteil von “teils / teils”-Aussagen (43 und 65 %), was im Grunde ein Blitzlicht auf die Vollständigkeit des Leipziger Radwegenetzes ist: das ist es nämlich nicht. Wer irgendwie durchkommen will durch die Stadt, muss auch immer wieder durch den motorisierten Verkehr, ob es ihm (oder ihr) gefällt der nicht.

Was sich also Leipziger von Radwegen wünschen, ist noch nicht das, was die Stadt eigentlich zu bieten hat. Die “teils/teils” Aussagen findet man dann eben auch genauso in den Aussagen zur Qualität des Netzes.

Und noch etwas gibt zu denken. Die Stadt hat auch dezidiert nach der Nutzung von Leihsystemen für allerlei Verkehrsmittel gefragt. Auch für Fahrräder. Man arbeitet ja emsig am Bau diverser Mobilitätsstationen, will wieder alles irgendwie mit allem verknüpfen. Aber welche Rolle spielen Leihfahrräder eigentlich für die Leipziger? – Eher keine. Nur 2 Prozent gaben an, schon mal ein Fahrrad ausgeliehen zu haben. Das ist schon deutlich weniger als beim Car-Sharing, das immerhin 4 Prozent der Leipziger schon mehrmals genutzt haben oder bei der klassischen Autovermietung, die schon von 10 Prozent der Leipziger genutzt wurde.

Natürlich sind die Zahlen so niedrig, weil die meisten Haushalte eben doch noch über mindestens ein Auto verfügen. 62 Prozent waren es 2012 – genau so viele wie im Vorjahr. Was zumindest heißt, dass die Bürger ihr Auto nicht gleich abschaffen, wenn sie öfter mal mit dem Fahrrad fahren. Der Ausstattungsgrad der Haushalte mit Fahrrädern lag 2012 bei 74 Prozent. Wobei die Befragung von 2011 gezeigt hatte, dass insbesondere Rentnerhaushalte weniger Fahrräder im Flur oder Keller stehen haben. Bei Paaren mit Kindern steigt der Ausstattungsgrad auf über 90 Prozent.

Und natürlich tragen Verwaltung und Stadtrat immer wieder die Idee mit sich herum, sie könnten die Entwicklungen mit Kampagnen und Bergen von Informationen beschleunigen. Die Wahrheit aber ist: Das interessiert die Leipziger nicht die Bohne, all diese Faltblätter zum Fahrradparken (interessiert 3 %), zu Fahrradstraßen (interessiert 10 %), “Mit dem Fahrrad zum Technischen Rathaus” (interessiert 2 %) oder der Postkarte zum Sponsoring von Fahrradbügeln (interessiert 2 %). Es steckt wohl der alte Glaube an die Wirkung von Gedrucktem dahinter. Und damit auch ein amtliche Misstrauen in die Selbstorganisationsprozesse der Verkehrsteilnehmer. Die sind nämlich – das bestätigen diese Zahlen – wie das Wasser: Sie suchen sich ihren Weg, suchen sich die gefahrloseren Trassen , die besten Verbindungen (die nicht immer die amtlich vorgeschriebenen sind), die geeigneten Abstellmöglichkeiten.

Ein wenig haben es die Verkehrsplaner hier mit einem etwas chaotischen System zu tun. Das einige – man denke nur an die sturen Fahrradkontrollen, mit denen die Polizei jeden Sommer Präsenz zeigt – gern genauso regulieren und normieren wollen wie den Pkw-Verkehr. Dazu gehört auch die Bußgeldbastelei des aktuellen Bundesverkehrsministers mitsamt seinen Träumen von vorgeschriebenen Fahrradhelmen. In jedem deutschen Minister steckt auch ein kleiner Ordnungshüter.

Was aber fehlt, wissen die Fahrradfahrer selbst. Sie brauchen nicht wirklich noch mehr Vorschriften und Faltblätter. Sie brauchen eigentlich nur ein Wegenetz, das sie gefahrlos benutzen können, dazu genügend Abstellmöglichkeiten und Servicestationen. Und je mehr sich das verbessert, um so mehr steigen um aufs Rad.

Oder machen beim “Stadtradeln” mit, das immerhin 14 Prozent der Leipziger kennen.

Noch mehr Informationen gibt’s dann, wenn die komplette “Bürgerumfrage 2012” vom Amt für Statistik und Wahlen ausgewertet vorliegt. Das sollte im Sommer soweit sein.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar