Es gibt tatsächlich Leute, die noch Amtsblätter lesen. Der Linke-Stadtrat Jens Herrmann-Kambach gehört dazu. Wird dazu gehört haben. Im nächsten Stadtrat wird das Urgestein der Linksfraktion nicht mehr vertreten sein. Aber man kann ja die letzten beiden Monate noch nutzen, mal nachzufragen, dachte sich der Verkehrsexperte. Immerhin geht es um die sehr knappe Finanzierung des ÖPNV in Leipzig.

Ihn beschäftigt eine Bekanntmachung aus dem Amtsblatt der Europäischen Kommission vom 29. März 2014. In der Ausgabe wurde eine Mitteilung der Kommission über Auslegungsleitlinien zu der Verordnung (EG) Nr. 1370 /2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße veröffentlicht. Auch das Europäische Parlament befasst sich mit diesem Thema, merkt er an.

Der Auszug, der ihn beschäftigt, lautet so:

“2.4.5. Artikel 4 Absatz 1. Gestaltung von Ausgleichsregelungen zur Effizienzsteigerung. In Erwägungsgrund 27 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 wird ausgeführt, dass die Parameter für die Ausgleichsleistung bei Direktvergabe oder allgemeinen Vorschriften so festzusetzen sind, dass die Ausgleichsleistung angemessen ist und ‘der angestrebten Effizienz und Qualität der Dienste’ Rechnung trägt.

Dies bedeutet, dass die zuständigen Behörden durch den Ausgleichsmechanismus Anreize schaffen sollten, damit die Dienstleistungserbringer effizienter arbeiten und die Dienstleistung in dem geforderten Umfang und der geforderten Qualität mit möglichst geringen Ressourcen erbringen.

Anreize zur effizienteren Erbringung öffentlicher Dienstleistungen sollten jedoch nicht zu Qualitätseinbußen führen. Im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 ist Effizienz als das Verhältnis zwischen der Qualität oder dem Niveau der öffentlichen Dienstleistungen und den für deren Erbringung eingesetzten Ressourcen zu verstehen. Effizienzanreize sollten deshalb sowohl auf eine Kostensenkung als auch auf eine Steigerung der Qualität oder des Niveaus der Dienstleistungen ausgerichtet sein.”
Eine Frage, die nicht nur die Beschäftigten bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) betrifft. Die LVB haben zwar ihre Ansprüche aus dem Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag von 49 auf 45 Millionen Euro abgesenkt. Früher überwies die Stadtholding LVV sogar mehr als 60 Millionen Euro. Und die Summe war in den 1990er Jahren noch direkt an die erbrachten Leistungen – also insbesondere Fahrgastzahlen – gekoppelt. Dass der damalige Stadtrat einer Entkoppelung zustimmte, hatte nichts mit der erbrachten Leistung zu tun – auch damals stiegen die Fahrgastzahlen schon kontinuierlich. Die steigende Honorierung des Fahrgasterfolgs drohte schlicht die Leistungsfähigkeit der LVV zu unterminieren, die selbst schon in schwierigem Fahrwasser schwamm. Also wurde die Summe über die Jahre langsam gesenkt. Bis dann die LVB sogar mit dem tollkühnen Vorschlag kamen, die Ausgleichzahlung von 49 auf 45 Millionen Euro zu senken.

Das entlastet zwar die LVV. Aber es nimmt den LVB auch wichtige Spielräume. Gerade 2013 begann der beginnende Fahrermangel in Stoßzeiten zum Medienthema zu werden. Ebenso die sehr heftigen Tarifauseinandersetzungen bei der LVB-Tochter Leobus. Seit 2002 sind die Fahrer der LVB in der Tochtergesellschaft Leipziger Stadtverkehrsbetriebe (LSVB) GmbH untergebracht. Von 665 wuchs dort die Mitarbeiterzahl mittlerweile auf 690. Die Reduzierung des Fahrpersonals auf das Notwendigste kleidet die LSVB in den Spruch “effizienter Personaleinsatz; hohe Personalverfügbarkeit; schlanke Strukturen”.

Aber was man so landläufig mit “Effizienz” bezeichnet, bedeutet eben zumeist auch, dass in Hochzeiten die Reserven knapp werden oder völlig fehlen. Das macht sich auch im Fahrbetrieb bemerkbar.

Das ist selbst der FDP schon aufgefallen. Zwar eher aus der Außensicht. Aber nicht nur die FDP hat zunehmend das Gefühl, dass LVB-Fahrzeuge öfter in Unfälle verwickelt sind. Aber auch Passagiere bekommen oft genug mit, wie Fahrer fluchen, schimpfen und zunehmend die Geduld verlieren. Und manchmal auch nicht mehr ruhig reagieren, wenn es zu Konflikten mit anderen Verkehrsteilnehmern kommt, die auch Straßenbahnen mittlerweile gern bei Rot die Vorfahrt nehmen. Dann kracht es und das 3 Millionen Euro teure Fahrzeug muss in die Werkstatt.

Die FDP-Fraktion hat – quasi parallel zu Herrmann-Kambach – eine Anfrage gestellt mit dem Titel “Meldepflichtige Vorkommnisse im Straßenbahnverkehr der Leipziger Verkehrsbetriebe”. Darin fragt sie auch nach dem Umgang von Stadt und LVB mit dem Thema.

Aber natürlich gehören beide Anfragen zusammen. Denn wenn man ein Unternehmen so knapp hält, steht natürlich die Frage: Verstößt die Stadt Leipzig, indem sie die Überweisungen an die LVB derart reduziert hat, nicht genauso gegen europäisches Recht, als wenn sie dem Verkehrsdienstleister zu viel Geld überweisen würde? Wer überprüft die Qualitätsstandards und kontrolliert, ob das Geld für “eine Steigerung der Qualität oder des Niveaus der Dienstleistungen” eingesetzt wird oder überhaupt ausreicht? Denn anders als aus liberaler Sicht geht es beim ÖPNV eben nicht um die preiswerteste Variante eines Transportangebots, sondern um eine, die den öffentlichen Auftrag qualitätvoll absichert.

Und so möchte Jens Herrmann-Kambach in der Ratsversammlung am 18. Juni nun gern wissen:

1. Inwieweit entspricht die Regelung des Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrages (VLFV) bezüglich der Begrenzung der Ausgleichszahlung auf 45 Mio. Euro unabhängig vom erbrachten Leistungsumfang der LVB GmbH entsprechend des Nahverkehrsplanes der Stadt Leipzig diesen veröffentlichen Leitlinien?

2. Inwieweit kann eine ggf. nicht rechtskonforme Berechnung der Ausgleichszahlungen zur Unwirksamkeit des abgeschlossenen Vertrages bzw. zu einer unerlaubten Beihilfe führen?
Die Anfrage der FDP zu den Unfällen als PDF zum download.

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