Leipzig häutet sich. Recht langsam und doch - aus der Perspektive eine Menschenalters betrachtet - recht schnell. Selbst da, wo man eigentlich noch glaubt, das Schiff ändere nicht mal schwerfällig seinen Kurs. Tut es doch. Und - das muss man auch mal anerkennen - Leipzigs Stadtverwaltung hat es wahrgenommen. Jetzt geht der neue Stadtentwicklungsplan (STEP) Verkehr in die entscheidende Runde.

Tatsächlich hat er schon drei Jahre hinter sich: Bestandsaufnahme 2011, Diskussion in Verwaltung, Workshops, Bürgerschaft 2012, im selben Jahr die Bürgerbeteiligung “Leipzig. Weiter denken”. 2013 Auswertung, Überprüfung des Machbaren. Abstimmung in Ämtern und Gremien. Jetzt liegt der neue STEP Verkehr im Entwurf vor und ist auf der Seite der Leipziger Verkehrsplanung nachlesbar. Jetzt geht er in die Abstimmungsrunde: OBM-Dienstberatung, Ausschüsse. Und Anfang 2015 könnte er dann dem Stadtrat vorliegen zur Endabstimmung. Dann löst er den alten STEP Verkehr ab, der 2003 beschlossen wurde und über den Bürgermeisterin Dorothee Dubrau nur staunt.

Und nicht nur sie. Denn die elf Jahre seitdem haben im Leipziger Verkehr einiges umgekrempelt, auch teilweise neue Weichen gestellt und neue Themen gesetzt, die heute schon ganz selbstverständlich diskutiert werden – Car-Sharing oder E-Mobility, um nur zwei zu nennen. Andere deuten sich an als Tendenz, wie der Abteilungsleiter im Verkehrs- und Tiefbauamt Torben Heinemann es formuliert – Stichworte: Smartisierung des Verkehrs und Multimodalität. Worte, über die auch Dorothee Dubrau noch stolpert. Es geht um vernetzten Verkehr, um die Verfügbarkeit verschiedenster Verkehrsmittel, die der emsige Bürger nicht mehr kauft, sondern einfach mietet, wenn er sie braucht – vom Auto über den Transporter bis zum Lastenrad.

“Die Strecken, die die man tatsächlich ein Auto braucht, sind verschwindend wenige”, sagt auch Dorothee Dubrau, die ihr früheres Leben mit einer großen Familienkutsche bewältigte. In Leipzig aber, so sagt sie, hat sie sich erst gar kein Auto zugelegt, dafür ein E-Bike. “Das macht sich prima. Mehr brauch ich gar nicht”, sagt die Bürgermeisterin für Planung und Bau. Als eigenes Beispiel für verändertes Verkehrsverhalten.

Denn das ist der Kern des ungefähr 100 Seiten dicken STEP Verkehr. Er beinhaltet keine Maßnahmen, die jetzt gleich vom Stadtrat beschlossen und dann umgesetzt werden, sondern ist eine Art Zielvorgabe, eine Art großer Rahmenplan oder – mit den Worten von Michael Jana, Leizer des Verkehrs- und Tiefbauamt es: ein allumfassendes Verkehrskonzept.

Das dann auch den Flughafen, den Wirtschaftsverkehr, die Aufenthaltsqualität auf Plätzen und Straßen, Barrierefreiheit, Rad-, Fuß- und Autoverkehr umfasst, selbstverständlich auch den ÖPNV.

“Der neue STEP formuliert anspruchsvolle Ziele für den Modal Split, d. h. den Anteil der werktäglichen Wege im Personenverkehr der Leipziger, die mit einzelnen Verkehrsarten zurückgelegt werden”, betont die Stadt zum Thema. So soll bis 2025 der Anteil der Wege, die zu Fuß zurückgelegt werden, in Leipzig auf 30 Prozent steigen, die mit Rad auf 20 Prozent, und die mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf 25 Prozent – 2008 betrugen die entsprechenden Anteile 27,3 Prozent, 14,4 Prozent und 18,8 Prozent. Ein Thema, über das in der Verwaltung heiß gestritten wurde, denn aus der TU Dresden signalisierten die Verkehrsexperten, dass der motorisierte Individualverkehr, also die Nutzung des Autos, bis 2025 nur auf 35 Prozent aller Wege zu drücken sei.

“Wir sehen das anders”, sagt Dubrau. Kann es aber noch nicht belegen, denn neue Zahlen zum Modal Split liegen nicht vor. Auch dafür ist die TU Dresden zuständig. 2008 – das ist aus der Perspektive des Jahres 2014 längst vergangene Geschichte. Da war Leipzig zwar schon wieder eine wachsende Stadt, aber nicht so stark wachsend wie im Jahr 2013, für das die Wissenschaftler aus Dresden zwar schon die Zahlen zu den täglichen Wegen der Leipziger haben. Aber sie rechnen noch. Anderthalb Jahre würde so eine Berechnung dauern, sagt Dubrau. In Dresden sind sie halt nicht so schnell. Ende 2014 sollen die neuen Zahlen zum Leipziger Modal Split vorliegen. Und es ist mehr als wahrscheinlich, dass sich gerade beim Radverkehr sehr viel getan hat.Vor fünf bis zehn Jahren, so Dubrau, hätte es in deutschen Großstädten nur einen Bruchteil dessen gegeben, was heute auf den Straßen radelt. Ganz zu schweigen von den fernen 1990er Jahren, als nur die Wagemutigsten mit dem Rad unterwegs waren. Das ist schon lange keine Tendenz mehr, das ist ein richtiger Trend, den auch Leipzigs Bürgerumfragen belegen: Im Freizeitverkehr ist das Fahrrad längst unangefochten die Nummer 1 in Leipzig.

Der ÖPNV hat es schwerer. Er kostet mehr Geld. Und stellvertretend stöhnt auch Dorothee Dubrau mal über die Finanzknappheit der Stadt und wünscht sich eine offene Diskussion über die künftigen Wege, Bus und Bahn in Leipzig zu finanzieren. Auch da sieht sie einen Trend und einen dicken Hoffnungsschimmer. Die Porsche AG ist mit 720 Jobtickets eingestiegen. Das ist eines der zukunftsträchtigen Finanzierungsprojekte für den ÖPNV: Gerade große Unternehmen ordern große Kontingente an Jobtickets und helfen damit, die eigene Belegschaft zum Umsteigen zu bewegen – vom Auto in Bus oder Straßenbahn.

Denn am Umsteigen entscheidet sich, ob Leipzig sein ehrgeizigstes Ziel schafft, den Anteil des ÖPNV am Modal Split von 18,8 Prozent (2008) auf 25 Prozent zu erhöhen.

Und im Gegenzug die Fahrten mit dem Auto einzuschränken. Den Trend werden eher nicht die behäbigen und übergewichtigen Männer Mitte 50 vorgeben. Denen wird höchstens ihr Arzt raten, das Auto lieber zu verschrotten und mehr Rad zu fahren. Den Trend geben die jungen Leipziger vor, für die das Fahrrad längst das normale Verkehrsmittel ist, um von A nach B zu kommen. Die Stadt hat sich darauf seit 2003 schon deutlich besser eingestellt. An dutzende Kilometer Radfahrstreifen oder Tausende Radbügel war damals noch gar nicht zu denken. Und dazu kommt der Trend zum Zu-Fuß-Gehen – besonders von denen (vorwiegend jungen) Bewohnern der inneren Stadt bevorzugt. Auch schon längst mehr als eine Tendenz, genauso wie das Sitzen im Freisitz auf dem Fußweg.

So reagiert der neue STEP Verkehr im Grunde nur auf all das, was in den letzten zehn Jahren herangereift ist. Und eines ist sicher: In den nächsten Jahren werden auch die Herren ab Mitte 50 so langsam merken, dass sie den Trend in dieser Stadt nicht mehr angeben. Generationenwechsel nennt man das.

Nach der Vorstellung des Entwurfs im Januar 2014 hatte die Öffentlichkeit vom 28. Januar bis 7. März Gelegenheit zur Stellungnahme. Nach Abwägung dieser Stellungnahmen wurde der Entwurf entsprechend aktualisiert.

Wer ihn lesen möchte, findet ihn hier: www.leipzig.de/umwelt-und-verkehr/verkehrsplanung/

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