Im Dezember geht Stufe 2 des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes in Betrieb. Dann fahren die S3 nach Geithain, Borna und Markkleeberg, die S2 nach Dessau und die S5 hoffentlich regelmäßig nach Halle, so dass es endlich einen Halbstundentakt zwischen den beiden Großstädten Halle und Leipzig gibt. Dass man das mitteldeutsche S-Bahn-Netz 2008 viel zu zaghaft geplant hat, das weiß man mittlerweile auch bei der DB Regio.

“Es scheint, als habe die DB Regio Südost die laut schrillenden Alarmglocken im S-Bahnnetz zumindest vage wahrgenommen. Allerdings strotzen die Äußerungen der DB Regio Südost in Sachen Kundenzufriedenheit nur so vor unangemessener Selbstzufriedenheit“, kommentiert Lorenz Bücklein, Vorstandssprecher der Leipziger Grünen, die Zahlen und Stellungnahmen der DB Regio vom Donnerstag, 13. August. Die hat auch ihre Führungsstruktur geändert, um auf die neuen Bahnstrukturen in Mitteldeutschland zu reagieren. Der Raum Halle-Leipzig hat jetzt ein eigenes Führungsduo, das auch verspricht, die Engpässe, die in den letzten Monaten für Ärger sorgten, mit den vorhandenen Mitteln zu beseitigen.

Wobei man wohl “mit den vorhandenen Miteln” betonen muss. Denn die zusätzlichen Fahrzeugkapazitäten, die man bis Dezember haben möchte, sind ja für die Erweiterung des S-Bahn-Netzes gedacht, nicht für das Flicken der Leerstellen, die bei der Planung 2008 entstanden sind.

Wir haben jetzt zwar erst die Fahrgastzahlen für das zweite Halbjahr 2014, als die durchschnittliche Zahl täglicher Passagiere von 55.000 auf knapp 57.000 stieg. Aber auch sie erzählen davon, dass die Planer 2008 noch nicht so richtig glaubten, dass ein echtes S-Bahn-Netz für Leipzig und Halle eine gute Idee wäre. Wer sich noch an die Angebote vor Eröffnung des City-Tunnels im Dezember 2013 erinnert, weiß, dass die rudimentäre S-Bahn eher eine Verlegenheitslösung war und von einem großstädtischen S-Bahn-Angebot keine Rede sein konnte.

Einmal in der Stunde mit einem Doppelstockzug nach Halle – das war eher eine Vor-Ort-Verbindung, aber keine S-Bahn. Mit der Eröffnung der zweiten Strecke über den Flughafen verdoppelte sich zwar manchmal das Angebot. Aber die ganze Trostlosigkeit der Strecke beschrieb 2010 Bettina Baltschev in ihrem ein wenig sarkastischen Buch “Last Exit Schkeuditz-West”.

Heute sieht es in Schkeuditz-West zwar auch noch nicht viel lebendiger aus, aber man sieht mehr Fahrräder am Haltepunkt stehen. Die neuen Talent-Wagen wirken durchaus attraktiv auch für Leute, die vorher die Bahn lieber gemieden haben.

Was natürlich neue Fragen aufwirft.

Denn wenn die Fahrgastzahlen schon 2014 deutlich höher waren als prognostiziert, wohin geht dann eigentlich die Reise? Kann es denn sein, dass Betreiber und Zweckverbände nur versuchen, die Fehlstellen zu kitten, aber nicht schon mal über Stufe 3 und 4 nachdenken?

Denn die hohen Passagierzahlen haben ja auch damit zu tun, dass man 2008 noch gar nicht ahnte, in welchem Tempo Bevölkerung und Wirtschaft in Leipzig wachsen würden. Ganz zu schweigen von der verkniffenen ÖPNV-Politik in den Landeshauptstädten, die lieber Streckenstilllegungen riskierten, als so etwas Sinnvolles wie ein neues S-Bahn-Netz auf Zuwachs zu planen.

Denn welches Potenzial steckt denn eigentlich in diesem System, das nun wirklich zu ersten Mal ein S-Bahn-System für Leipzig, Halle und alle angedockten Städte ist? Kann es sein, dass auch der nun möglicherweise kommende Halbstunden-Takt zwischen Leipzig und Halle gar nicht das Ende der Fahnenstange ist, sondern erst der Anfang? Denn auch in Halle hat ja der Bevölkerungsverlust aufgehört und die Stadt wächst wieder. Die Metropolräume in Deutschland werden immer wichtiger. Das war auch 2008 schon absehbar und es steckte ja als Hoffnung auch in den Planungen für das S-Bahn-Netz.

Aber kann man sich da jetzt mit Flickwerk aufhalten? fragen die Leipziger Grünen.

Angesichts ständiger Zugausfälle, notorisch überforderter Zugbegleiter und Fahrgäste vor allem auf der Stammstrecke Leipzig-Halle bezweifelt jedenfalls Lorenz Bücklein, der die Strecke als Pendler regelmäßig selbst in Anspruch nimmt, die vorgelegten Zahlen der Kundenumfragen.

„Offenbar wurden die Kunden gezielt außerhalb der Stoßzeiten befragt. Die alltäglichen Auseinandersetzungen um die zu geringen Kapazitäten speziell auf der Linie S5X und der Linie S3 werden hier ganz sicherlich nicht widergespiegelt. Ein ‘Erfolgsmodell’, wie Herr Naue meint, ist die S-Bahn zwischen Halle und Leipzig sicherlich nicht “, sagt Bücklein. 11.600 Fahrgäste waren im zweiten Halbjahr 2014 im Schnitt täglich auf der S3 unterwegs, im ersten Halbjahr waren es noch 10.600. Dafür sind die Zahlen auf der S5X, die zum Flughafen fährt – von 11.400 auf 9.500 geschrumpft. Dass eine S-Bahn nur bis zum Flughafen fährt und nicht durchfährt bis Halle, macht so eine Strecke denkbar unattraktiv. Und lässt zumindest ahnen, dass die DB Regio auf der Strecke Halle-Leipzig noch lange nicht das mögliche Fahrgastpotenzial ausgeschöpft hat.

Die angedeuteten Kapazitätsausweitungen sind für die Grünen bei Betrachtung des derzeitigen Fahrgastaufkommens auf der Hauptstrecke ein erster notwendiger Schritt zur Verbesserung der Gesamtlage. Der Kreisverband vermisse hier aber eine akute Lösung der angespannten Lage, so Bücklein. „Neben der notwendigen Aufstockung der Triebwagen brauchen wir eine erhöhte Taktung. Es ist absurd, dass die S5 regelmäßig vom Flughafen zurück nach Leipzig geschickt wird, statt nach Halle weiterzufahren.“

Doch auch für Bücklein wäre dies nur der erste Schritt für eine dringend notwendige Angebotsausweitung:

„Wenn die DB Regio Südost den Pendlerströmen gerecht werden will, braucht es zwischen Halle und Leipzig einen verlässlichen Viertelstundentakt.“

Und das sei jetzt eine Aufgabe für die Aufgabenträger im Regionalverkehr, die Zweckverbände: Die Leipziger Grünen wünschen sich von ihnen eine rasche und geräuschlose Verbesserung. Dies sei im Sinne einer Stärkung des Umweltverbundes im Pendel- und Regionalverkehr notwendig, so der Grünen-Kreisverband, andernfalls drohe ein Einbruch der Fahrgastzahlen zulasten von Schiene, Bus, Rad- und Fußverkehr, gerade zwischen den beiden Großstädten.

Denn wenn der Ausbau der Wirtschaftstrasse zwischen Leipzig und Halle wirklich weitergeht, dann wäre eine dicht vertaktete S-Bahn nun einmal der natürliche Zubringer. Übrigens nicht nur im Gebiet außerhalb der beiden Städte. Wer sich innerstädtische Haltepunkte wie “Leipzig-Nord” anschaut, sieht auch dort, dass da Potenzial schlummert und auch die Stadtplanung noch den Schlaf der Seligen schläft.

Was möglicherweise auch daran liegt, dass man die Chancen des nun existierenden S-Bahn-Netzes noch gar nicht ganz erfasst hat.

Lesetipp: Bettina Baltschev “Last Exit Schkeuditz-West”, Herder Verlag,  Freiburg / Basel / Wien 2010, 12,95 Euro

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