Am 8. November beschloss das sächsische Regierungskabinett mal wieder eins dieser bombastischen Programme, diesmal einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Doch wenn man solche Programme nicht mit Geld unterlegt, bleiben sie trockenes Papier. Was die Grünen im Landtag dann wieder an ihre Frage zu den nicht barrierefreien Bahnstationen in Sachsen erinnert hat.

Denn im Oktober hatten sie auf Nachfrage beim Verkehrsminister erfahren, dass Sachsen nicht nur bei der Barrierefreiheit von Bahnstationen ganz hinten liegt – es wird auch bei den Bundesmitteln zum barrierrefreien Umbau der Stationen regelrecht düpiert.

„Die Bundesmittel des Zukunftsinvestitionsprogramms gehen an Sachsen weitgehend vorbei. Nur zwei Bahnhöfe – die Bahnhöfe Großröhrsdorf (Lkr. Bautzen) und Neugersdorf (Lkr. Görlitz) – sollen in den nächsten zwei Jahren tatsächlich umgebaut werden. In dem Schneckentempo darf es nicht weitergehen“, meint Katja Meier, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion. „In spätestens zehn Jahren sollten Barrieren im ÖPNV kein Thema mehr sein. Mobilitätseingeschränkte Personen sind auf barrierefreie Zugangsmöglichkeiten zur Bahn angewiesen.“

Doch irgendwo in der zuständigen Bundesbehörde hat man anders entschieden und die Mittel weitgehend in Länder verteilt, die bei der Barrierefreiheit schon recht weit sind.

45 Bahnhöfe hatte die Sächsische Staatsregierung dem Bund für den barrierefreien Ausbau vorgeschlagen. Nicht berücksichtigt wurden etwa die Bahnhöfe Falkenstein, Rathen, Wehlen, Cossebaude, Mittweida, Geising, Lauta, Lengenfeld, Grimma ob. Bf, Ottendorf, Hagenwerder, Chemnitz-Hilbersdorf und Großenhain Cottb. Bf.. Das geht aus der Antwort von Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Meier hervor.

Insgesamt 103 Bahnhöfe und Haltepunkte der DB Station&Service AG in Sachsen sind nicht barrierefrei. Bei insgesamt 397 bundeseigenen Bahnhöfen und Haltepunkten im Freistaat sind somit 26 Prozent nicht stufenfrei zugänglich. Zum Vergleich: In Berlin und Schleswig-Holstein sind das nur sechs Prozent.

Seit diesem Jahr gibt es das vom Bund initiierte und in Zusammenarbeit mit den Ländern und Eisenbahninfrastrukturunternehmen umzusetzende „Modernisierungsprogramm für Bahnstationen im ländlichen Raum (Zukunftsinvestitionsprogramm – ZIP)“, das von 2016 bis 2020 Investitionen in den barrierefreien Ausbau kleinerer Bahnhöfe im ländlichen Raum fördern soll. Der Bund stellt dafür in den ersten zwei Jahren der Laufzeit 80 Millionen Euro zur Verfügung, weitere 80 Millionen zahlen die Länder selbst. Deutschlandweit soll aus diesem Programm der Umbau von 108 Bahnhöfen mit weniger als 1.000 Reisenden pro Tag erfolgen. Im Entwurf für den sächsischen Doppelhaushalt sind die Mittel für Großröhrsdorf und Neugersdorf eingestellt.

Für den Umbau der Bahnhöfe in Sachsen wurden nur rund 800.000 Euro vom Bund bewilligt. Die gleiche Summe muss der Freistaat dazugeben, damit die Bundesförderung greift. Die vom Bund bereitgestellten 800.000 Euro für Sachsen entsprechen gerade einmal einem Prozent der insgesamt im Zukunftsinvestitionsprogramm eingestellten Finanzmittel.

„Die Herstellung der Barrierefreiheit von Bahnhöfen ist zwar grundsätzlich Aufgabe des Betreibers DB Station & Service AG. Jedoch lohnt ein Blick in andere Bundesländer. So haben etwa Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg eigene Förderprogramme aufgelegt, in denen auch Maßnahmen zur Erreichung von Barrierefreiheit gefördert werden. Auch der Freistaat sollte den barrierefreien Ausbau der Bahnhöfe und Haltepunkte durch eigene Finanzmittel fördern“, betont Katja Meier. Vielleicht war es genau das: das fehlende Signal aus der sächsischen Regierung, das im Bund als Botschaft ankam: Die wollen das Geld gar nicht.

„Mobilität ist eine wichtige Voraussetzung für die soziale Teilhabe aller Menschen. Als Grüne werden wir in den Haushaltsverhandlungen Änderungsanträge einbringen, die eine deutliche Stärkung des ÖPNV und den barrierefreien Ausbau ermöglichen“, erklärt Meier.

Den ersten Antrag haben sie quasi schon fertig. Denn die Grünen beantragen jetzt ein Landesprogramm zur Schaffung von Barrierefreiheit an kleinen Bahnhöfen und Haltepunkten in Sachsen in Höhe von 10 Millionen Euro pro Jahr.

Was ja übrigens nicht nur Behinderten zugute käme, sondern auch allen anderen Menschen, die mit Kinderwagen, Fahrrad, Sack und Pack unterwegs sind. Aber so selbstverständlich scheint dieses Denken in Sachsen noch immer nicht zu sein.

Antwort von Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) auf die Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Katja Meier (Grüne) „Barrierefreier Ausbau von Bahnhöfen und Bahnhaltepunkten im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/6001).

In eigener Sache: Für freien Journalismus aus und in Leipzig suchen wir Freikäufer

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/11/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar