Wenn Stadträt/-innen sich für einige Themen besonders engagieren, dann werden sie logischerweise auch zur Anlaufstelle für all jene, die mit ihren Kümmernissen anderswo eher auf Gleichgültigkeit gestoßen sind. Oder die sich nicht trauen, sich an amtliche Stellen zu wenden. Gerade dann, wenn nicht ganz klar ist, welche Rechte offiziell handelnde Personen tatsächlich haben, zum Beispiel Fahrkartenkontrolleure der LVB.

„Am 28.05.2019 kam es in der Zeit von ca. 13:30 bis ca. 13:45 in der Straßenbahnlinie 1 ab Hauptbahn Richtung Schönefeld, konkret vor den Haltestellen Einertstraße und Hermann-Liebmann/Eisenbahnstraße zu einer eskalativen Situation, die laut Augenzeug/-innen durch Fahrausweiskontrolleure verursacht wurde“, hatte die Stadträtin der Linken, Juliane Nagel, dazu in einer Stadtratsanfrage festgestellt. „Zum einen wurde demnach ein Fahrgast bedrängt und am Aussteigen gehindert. Zudem wurden zwei Migrant/-innen angeschrien, körperlich bedrängt und am Ende mit dem Satz ,Geht zurück in euer Land, euch braucht hier keiner‘ verabschiedet.“

Das war dann schon ganz harter Tobak. Wenn es so war.

Das Planungsdezernat hat bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) nachgefragt. Denn eine offizielle Beschwerdestelle der Stadt über solche Vorfälle gibt es ja nicht. Und bei den LVB?

Das Dezernat dazu: „Der Vorfall ist der Stadtverwaltung nur durch diese Anfrage bekannt. Es sei darauf hingewiesen, dass, wie in jedem Unternehmen, die Organe der LVB für das selbstverständlich zu erwartende korrekte Verhalten ihrer Mitarbeiter und gegebenenfalls diesbezügliche Beschwerden zuständig sind. Die Verwaltung kann die Anfrage daher folgend auch nur auf Basis einer entsprechenden Zuarbeit der Leipziger Verkehrsbetriebe beantworten.“

Und was haben die zum Vorfall zurückgemeldet?

„Der Anfang Juni der LVB bekannt gewordene Vorgang wurde dort mit zwei der drei betreffenden Mitarbeiter (ein Mitarbeiter befindet sich im Urlaub) ausgewertet. Dabei weichen die Schilderungen der Mitarbeiter deutlich von den hier angefragten ab. Einheitliche Aussage der befragten Prüfer sei, dass es keinerlei rassistisch begründetes oder anderweitig herabwürdigendes Verhalten gegeben hat. Vielmehr haben die Prüfer ihren Prüfauftrag höflich, aber mit dem notwendigen Nachdruck ausgeführt. Laut eigener Aussage seien die Prüfer ihrerseits als ,Nazi‘ beschimpft und die Bahn nach dem Aussteigen der betreffenden Fahrgäste von diesen von außen attackiert worden.“

Es gibt also zwei sehr verschiedene Sichtweisen auf den Vorgang.

„Der Vorwurf wurde in einer Teambesprechung ausgewertet und alle Mitarbeiter noch einmal auf die besondere Verantwortung gegenüber den Fahrgästen der Leipziger Verkehrsbetriebe hingewiesen. Grundlegende Verhaltensregeln der Fahrausweisprüfer gegenüber den Fahrgästen sind im Übrigen im Vertrag zwischen den LVB und ihrem Tochterunternehmen LSB genau geregelt. Diese Verhaltensgrundsätze sind allen Fahrausweisprüfern bekannt, werden regelmäßig geschult und umgesetzt“, betont das Planungsdezernat.

Und geht dann noch auf die nicht immer konfliktfreie Arbeit der Kontrolleure ein: „Die Fahrausweisprüfer der Leipziger Servicebetriebe führen täglich ca. 400 bis 450 Fahrausweiskontrollen durch. Dabei stoßen Sie nicht immer auf das Wohlwollen oder die Sympathie der kontrollierten Fahrgäste. Um auf eventuelle kritische Situationen vorbereitet zu sein werden mit allen Fahrausweisprüfern deshalb regelmäßig Deeskalationstrainings durchgeführt, in denen in konkreten Situationen das richtige Verhalten gezeigt und trainiert wird. Die Teilnahme an diesem Training ist für alle Fahrausweisprüfer verbindlich und wird in der Regel zweimal jährlich jeweils ganztägig durchgeführt.“

Und es betont auch noch: „Unabhängig davon, dass es laut LVB immer wieder zu Situationen kommt, in denen die Prüfer selbst Opfer von verbalen oder körperlichen Attacken werden (Beschimpfungen oder Bespucken gehören demnach zum Alltag), sei das höfliche Verhalten gegenüber allen Fahrgästen dabei die Regel, wozu auch höfliches aber konsequentes Verhalten bei Fahrgästen ohne gültigen Fahrausweis gehört. Sollte dies als rassistisch geartetes Fehlverhalten falsch interpretiert werden, bedauern dies die LVB ausdrücklich.“

Aber zurück zur Beschwerdestelle, die ja auch eine Clearingstelle sein kann, die sich um solche Vorfälle kümmert und als Unparteiischer versucht, die Konflikte zu klären: Gibt es sie oder haben wir sie nur nicht gefunden?

Es gibt sie augenscheinlich nicht.

Denn auf Juliane Nagels Frage „Wie viele Beschwerden wegen rassistischem oder anderen herabwürdigendem Verhalten durch Fahrausweisprüfer/-innen bzw. wegen Benachteiligung aufgrund eines Diskriminierungsmerkmales nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz gab es seit 2014?“ antwortet das Dezernat: „Dazu liegen keine Erkenntnisse vor.“

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