Es ist Warnstreik-Zeit in Sachsens Metall- und Elektrobetrieben. Am Donnerstag erstmals auch bei den Premium-Autobauern im Leipziger Norden. "Wir sind mit Tariflöhnen exportstark, weil die Belegschaften produktiv sind", beschreibt Oliver Höbel, Bezirksleiter der IG Metall für Berlin, Brandenburg und Sachsen, die Lage der Branche. Ein L-IZ-Interview.

Herr Höbel, seit Ende letzter Woche touren Sie durch Sachsen, um gemeinsam mit den Belegschaften in Warnstreiks auf die Gewerkschaftsforderungen in der laufenden Tarifrunde aufmerksam zu machen. Welche Eindrücke bringen Sie von diesen Aktionen mit?

Mir fällt sehr positiv auf, dass die Belegschaften selbstbewusst ihre Ansprüche formulieren. Sie lassen sich nicht mit vagen Absichtserklärungen hinhalten oder mit Billigangeboten abspeisen. Sie gehen für ihre eigenen Interessen auf die Straße, weil sie sehr genau wissen: Ohne Druck gibt es keine hinreichende Bewegung im Arbeitgeberlager.

Neben mehr Geld fordern Sie mehr Solidarität unter den Beschäftigten. Warum ist Ihnen gerade letzteres so wichtig?

Solidarität gehört zu unserem ureigensten Selbstverständnis. Eine Arbeitswelt, in der die Schwachen von den Stärkeren unterstützt werden, in der beispielsweise den Auszubildenden eine berufliche Perspektive nach bestandener Prüfung angeboten wird, ist für uns eine gemeinsame Aufgabe und nicht Sache der Auszubildenden allein.

Oder stellen Sie sich vor, dass Leiharbeiter schlechter bezahlt werden, täglich abgemeldet werden können ohne Kündigungsschutz. Wir wollen mehr Schutz und faire Löhne. Das geht nur mit der Solidarität der gut organisierten Belegschaften und starken Betriebsräte, die Einfluss nehmen können durch mehr Mitbestimmung.Ihre Argumente für eine sichere berufliche Perspektive für junge Menschen in Sachsen treffen auf die Zustimmung aller Demografieexperten, wie des gesunden Menschenverstandes. Woran hakt es denn Ihrer Meinung nach auch an dieser Stelle in der laufenden Tarifrunde?

Ein Teil der Arbeitgeber hat die Dramatik des demografischen Effektes offensichtlich noch nicht hinreichend begriffen. Der Altersdurchschnitt vieler Belegschaften ist heute schon hoch, zum Teil über fünfzig. Starke Altersjahrgänge werden in den nächsten Jahren die Betriebe verlassen.

Wir brauchen mehr junge Leute in den Betrieben, aber es bewerben sich weniger. Verschärft wird das dann durch unzureichende Arbeitsplatzangebote, die entweder nur befristet sind oder zu schlechten Bedingungen über Leiharbeit organisiert werden. Hier muss gegengesteuert werden, weil Fachkräfte nicht vom Himmel fallen, sondern über drei bis fünf Jahre aufgebaut werden müssen. Das zu ignorieren ist unverantwortlich!

Ein anderer Teil der Arbeitgeber lebt noch in der Klassengesellschaft des vorvorigen Jahrhunderts. Nach Gutsherrenart möchten diese Arbeitgeber handverlesen “ihre” Auszubildenden sortieren. Wer, wann, wie lange und überhaupt in eine Festanstellung kommt, sei allein die Sache des Herrn im Hause. Ich kann davor nur warnen. Die heutige junge Generation ist intelligent, selbstbewusst und zudem sehr gut vernetzt. Es spricht sich blitzartig herum, wer einem echte Chancen gibt und wer nur den Knecht sucht.

Sachsen mit exportstarken Branchen wie der Automobilindustrie will sich nach dem Willen der Landespolitik sowohl als wirtschaftspolitischer Musterknabe, wie als Niedriglohnland präsentieren. Wie kann das eigentlich zusammen passen?Gar nicht! Jeder Versuch mit einer Billig-Strategie ist arbeitspolitischer Selbstmord. In den Regionen, wo die Löhne am höchsten sind, sind die Unternehmen am erfolgreichsten. In den gewerkschaftlich gut organisierten Unternehmen in Sachsen ist das auch so.

BMW, Porsche und VW stellen Premiumprodukte mit Tariflöhnen her, viele Zulieferer oder Maschinen- und Anlagenbauer auch. Wir sind mit Tariflöhnen exportstark, weil die Belegschaften produktiv sind. Diejenigen, die nur auf Billig setzen, werden vom Markt verschwinden, denn Billig können Andere besser. Der Wettbewerb muss über Innovationen laufen, nicht über Lohndumping. Wir müssen besser statt billiger sein.

Die unsichtbare Tarifmauer in Deutschland müsse fallen, fordert in diesen Tagen Porsche-Konzernbetriebsratsvorsitzender Uwe Hück. Welche Fortschritte wollen Sie an dieser Stelle in 2012 erzielen?

In der laufenden Tarifrunde gelten in Sachsen die gleichen Forderungen wie in Westdeutschland. 6,5 Prozent mehr Geld, unbefristete Übernahme der Ausgebildeten und eine erweiterte Mitbestimmung der Betriebsräte bei Einsatz, Dauer und Umfang von Leiharbeit im Betrieb. Die Arbeitsbedingungen in den Betrieben mit Tarifvertrag und starken Betriebsräten sind besser und müssen sich nicht hinter dem Westen verstecken.

Belegschaften, die deutlich schlechtere Bedingungen und keine Tarifverträge haben, sehen also, dass es funktioniert. Eine große Herausforderung ist die unterschiedliche Arbeitszeit. Für gleiches Geld arbeiten die Beschäftigten noch drei Stunden länger als im Westen. Das Thema bleibt im Blick. In diesem Jahr haben wir uns die jetzt zu lösenden Aufgaben vorgenommen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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