Man darf sich in der Berichterstattung irren. Journalisten sind auch nur Menschen. Man darf sich auch korrigieren und erklären, was man falsch gemacht hat. Und was man dabei gelernt hat. Eigentlich ist das nicht schlimm. Aber wir leben in einer Gesellschaft, in der lauter Leute Karriere machen, die unfähig sind, Fehler zuzugeben. In der Politik, aber auch in der Presse. Ein fatales Beispiel dafür lieferte dieser Tage „Die Welt“.

Es gab mal Zeiten, da war diese Tageszeitung ernst zu nehmen. Diese Zeiten sind lange her, auch wenn sie heute genauso emsig zitiert wird wie „Bild“ oder „Focus“. Besonders gern scheint man sich dabei auch untereinander zu zitieren. Doch auch Politiker zitieren gern und manche finden hier ihre Munition, um die Konkurrenz niederzudebattieren. Wie jüngst geschehen nach der Veröffentlichung des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zum Rechtsextremismus in Ostdeutschland und seinen (möglichen) Ursachen, herausgegeben von der Ostbeauftragten der Bundesregierung, Iris Gleicke.

Statt die Aussagen, die vor allem im Raum Dresden und im Raum Erfurt gewonnen wurden, ernst zu nehmen und sich damit ernsthaft zu beschäftigen, reagierten Politiker insbesondere der CDU und der AfD mit heftiger Abwehr und denunzierten auch gleich noch die Wissenschaftlichkeit der Studie.

Die Munition für diese Denunziation fanden sie in Marcel Leubechers Artikel in der „Welt“ vom 23. Mai: „In dieser Regierungsstudie wurden sogar Gesprächspartner erfunden“, so Leubecher. Er unterstellte den Göttinger Wissenschaftlern einfach mal, die Gesprächspartner für viele der 40 Interviews erfunden zu haben. Und ignorierte, dass die Interviewten mit gewichtigen Gründen anonymisiert waren. Etwas, was man im Kosmos der Springer-Presse wohl nie begreifen wird: Dass genau das Phänomen des aggressiv auftretenden Rechtsextremismus dazu führt, dass man Protagonisten der Zivilgesellschaft nur dadurch schützen kann, dass man sie anonymisiert.

Wären die Zustände in einigen sächsischen Regionen anders, könnte man darauf verzichten.

Aber gerade die Reaktionen der sächsischen CDU-Politiker Arnold Vaatz und  Michael Kretschmer zeigen, warum das in Sachsen so ist: Die regierende CDU lässt die Leute, die sich vor Ort gegen den Rechtsextremismus engagieren, im Stich, prangert sie für ihr demokratisches Engagement auch noch an. So etwas nennt man Schutzlosigkeit.

Und zwar gerade in jenen Regionen um Heidenau, die die Studienautoren besonders untersucht haben. Vaatz und Kretschmer machen mit ihren Aussagen noch einmal deutlich, warum die sächsischen Zustände so sind wie sie sind. Und die sächsische CDU-Spitze zeigt nicht mal die Absicht, daran etwas zu ändern. Sie ist nicht Teil der Lösung, wie auch „Spiegel Online“ nach einer Analyse der Sachlage feststellen muss. Denn ein Vorwurf der politischen Wortmelder war ja, dass lauter Interviewpartner aus dem „linken“ Spektrum gefragt worden waren.

Aber wenn die Göttinger Wissenschaftler feststellen müssen, dass sowohl die angefragte AfD wie auch die sächsische Regierung eine Teilnahme an der Studie verweigert haben, dann spricht das Bände. Dann haben weder AfD noch CDU ein Recht, diese Studie in irgendeiner Weise zu beurteilen – sie haben sich ja weggeduckt. Auch das typisch für Sachsen: Wenn es wirklich um das Gespräch über akute Probleme geht, taucht gerade die CDU gern weg, verweigert die Teilnahme, tut so, als stünde sie über den Dingen.

Stattdessen schlau reden – danach

Michael Kretschmer versuchte es bereits am 21. Mai 2017 via Twitter Richtung L-IZ.de, indem er im typisch paternalistischen Grundton der Sachsen-CDU verkündete: „Rechtsextremismus bekämpfen geht nur durch Abwehrkräfte in Gesellschaft stärken und nicht durch Bevölkerung verdächtigen und kränken“. Und eben diese Abwehrkräfte lässt die CDU erst links liegen, um ihr dann die „Kränkung der Bevölkerung“ vorzuwerfen. Da trennt wirklich nur noch „Bevölkerung“ vom „Volk“ des PEGIDA-Sprechs, während die Diktion, man spräche für alle, die gleiche und falsche ist.

Es sei denn, man kann Neonazis kränken, wenn man sie nennt, was sie sind? Diejenige „Bevölkerung“ jedenfalls, die in Sachsen in unzähligen Vereinen und Vereinigungen oft ehrenamtlich und fern der hoheitlichen Fördergeldstrukturen gegen latente Gewaltbereitschaft, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit anarbeitet, dürfte von der Studie eher in den eigenen Erfahrungen bestätigt, denn „gekränkt“ sein.

Die simple Analyse

Auch das sorgt schon dafür, dass die politische Diskussion in Sachsen kaputt ist. Wenn zwei Parteien derart das Gespräch verweigern, gibt es schlicht keinen Dialog. Wenn sie statt Dialog die Eigen-PR wählen, entstehen Fliehkräfte, die rechtsextreme Kreise stärken.

Und logischerweise bleiben dann die Menschen aus dem eher linken oder sagen wir doch mal humanistisch-aufgeklärten, liberalen Spektrum, die sich ja nun tatsächlich (auch oft ohne jegliche Unterstützung durch das Land) gegen den Rechtsextremismus in Sachsen engagieren, allein. Sie haben eine Menge über die Probleme zu erzählen. Aber die Studie macht eben auch deutlich: Wenn es tatsächlich um nachhaltiges Engagement gegen rechtsextreme Entwicklungen geht, werden sie richtig allein gelassen.

Das ist eine der wesentlichen Ursachen dafür, dass Rechtsradikale und Leute, die gern in rechtsradikalen Badewassern plätschern, in Sachsen das Gefühl haben, dass ihnen die Regionen und die Meinungshoheit gehören. Und Artikel wie der in der „Welt“, welcher auch davon zeugt, dass mancher Journalist Studien nicht versteht und dennoch über sie schreibt, bestätigen sie auch noch in ihrer Haltung.

Da überrascht es auch nicht, dass nicht mal die Kritik der Studienautoren an dem, was Marcel Leubecher da verzapft hat, hilft.

„Die Welt“ hat zwar online so eine Art „Korrektur“ unter den Text gepackt. „Anmerkung der Redaktion“ nennt man es, nutzt die Gelegenheit aber nicht wirklich zur Korrektur, sondern dazu, noch einmal mit schwerem Geschütz die Studie in Misskredit zu bringen: „Zusätzlich werden teilweise Funktionsbezeichnungen komplett ohne Namensnennung genutzt. Das ist grob irreführend, weil es den Eindruck erweckt, dass es sich bei den nicht namentlich Genannten um jene Personen handelt, die um Anonymisierung gebeten haben.“

Man will einfach nicht akzeptieren, dass der Großteil der Befragten anonym ist, tut einfach so, als sei es eine unerhörte Frechheit, dass diese politischen Akteure für die umtriebigen Rechtsradikalen in Heidenau und Umgebung nicht fassbar sind oder nun aufs Neue werden. Im Hause Springer hat man – wie ja auf bildblog.de regelmäßig zu lesen – sowieso seine Schwierigkeiten mit Persönlichkeitsrechten und Anonymisierungen. Von nichts anderem erzählt ja diese „Anmerkung der Redaktion“.

Die nichts ist als ein geballter Ärger darüber, dass es die Studienautoren wagen, Menschen, die sich vor Ort gegen Rechtsradikale engagieren, durch Anonymisierung zu schützen. Und so liefert man auch noch jenen, denen dieses beherzte (und oft nur dadurch „linke“) Engagement für Integration und Miteinander gegen den Strich geht, erst recht Munition. Der AfD gar so viel davon, dass sie umgehend die Studie als „Fake-Studie“ zu verunglimpfen suchte.

Womit man dann wieder da ist, wo man in Sachsen immer landet, wenn es Kritik am Zustand der hiesigen Demokratie gibt: Die Kritik selbst wird skandalisiert. Und was man zum Skandal gemacht hat, muss man ja nicht mehr ernst nehmen.

Tatsächlich belegen die Wortmeldungen aus CDU und AfD nur eins: Dass die Studie leider in allen ihren Aspekten Recht hat, dass das zivilgesellschaftliche Engagement immer wieder düpiert und abgeblockt wird. Und die regierende CDU überhaupt keine Lust verspürt, sich gegen Fremdenhass und Rechtsradikalismus zu engagieren.

Und sie belegen, dass das gar nicht aus dem Nichts kommt, sondern auch journalistische Masche in einigen Zeitungen ist, wo man nicht mal den Mut zu einer echten Korrektur hat und sich für unfehlbar hält. So unfehlbar, dass man auf Kritik mit einem neuen Frontalangriff reagiert, auch, weil man ein williges Publikum am rechten Rand bedienen kann.

Aber es erzählt auch von einer gewissen Arroganz, die in einigen deutschen Medienhäusern zur Kultur geworden ist, wo man sich gern in der Rolle des Meinungsmachers geriert und des Richters über die richtige Sicht auf die Dinge. Leider hat man dabei schon lange verlernt, sich auch nur ein wenig zurückzunehmen und sich einzugestehen, dass man ebenso fehlbar ist wie alle anderen auch. Typisch deutsch, möchte man fast sagen. Denn gerade die deutsche Politik ist ja gekennzeichnet dadurch, dass Irrtümer und Fehler wie persönliche Schwächen behandelt werden und die Karrieren von PolitikerInnen, die auch nur Anzeichen von Nachdenklichkeit zeigen, baldigst beendet sind.

Übrig bleiben die durch nichts zu erschütternden Polterer – die Kauders und Kretschmers – die niemals öffentlich zugeben würden, dass sie sich geirrt haben.

Nicht Menschen, die fähig sind, sich zu korrigieren und die Mitwelt an ihren Lernprozessen teilhaben zu lassen, bestimmen so die politische und mediale Bühne, sondern die durch nichts zu erschütternden Rechthaber aus den Hinterzimmern. Und deshalb wird so Vieles eben nicht korrigiert, was sichtlich im Argen liegt. Und Sachsen ist dafür leider ein ganz typisches Beispiel.

Motto: Poltern, ignorieren, weitermachen.

Und dann wundert man sich, dass die Extremisten immer radikaler auftrumpfen. Was ist das nur? Arroganz? Ignoranz? Politische Dummheit? Oder Fatalismus der Kaffeekränzchenart?

Die ganze Serie „Nachdenken über …“

Auch ein Teil des Themas – die Arbeit des Verfassungsschutz Sachsen. Lesen Sie dazu mehr in der neuen LZ Nr. 43

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