Dass echte Gesellschaftskritik in deutschen Medien kaum noch vorkommt, hat sich ja herumgesprochen. Die Meisten merken es nicht mal mehr. Die Musikszene ist ebenso brav geworden. Oder scheinheilig, denn man will ja in der Hitparade der Radiosender noch auftauchen. Selbst einst rebellische Strömungen wie Rap und Punk sind nur noch Show für Ahnungslose. Und trotzdem tourt da eine Truppe durchs Land, in der noch das Leben lodert. Oder maunzt? Schöne Frage.

“Arbeitsgruppe Zukunft” nennt sie sich. Julius Fischer ist dabei, Marc-Uwe Kling, Michael Krebs – drei freche Typen aus der Lesebühnenszene, die noch durch Boris the Beast und Onkel verstärkt werden, so dass eine richtige Band draus wird. Denn musikalisch sind sie auch noch. Sie haben den Rhythmus im Blut, the rhytm, und zwar nicht nur einen, sondern das volle Repertoire von Funk bis Soul, von Gipsy bis Rap. Und sie haben Texte. Nicht nur mit Reimen, sondern auch mit sauber gebauten Versmaßen. Sie können nicht verleugnen, dass sie von der Sprache kommen und nicht von der Straße. Sie haben das Möchtegern-Gangsta-Rapper-Getue der deutschen Schnöselsänger nicht nötig. Im Gegenteil. Sie mögen diese Darsteller von Schein-Angepisstheit überhaupt nicht. Auch wegen der einfallslosen Texte und hirnlosen Behauptungen von spätreifen Jungchen, die nichts im Leben auf die Reihe kriegen, aber die Leute anpöbeln.

Da muss man erst diese Scheibe auflegen, um zu merken, wie dick und bräsig die deutsche Musikkultur längst geworden ist, vom Trieb nach schierer Masse besessen und zu einer geistlosen Flachheit gequirlt, die nur noch die Einfallslosesten bedient. Alles ein Quark und eine Suppe. Mit neuer Verwunderung merkt man, wie diese arrogante Haltung der Hohlköpfe eigentlich längst alle Kanäle bespielt, die gut bezahlten sowieso. Denn Quote hat ja einen sauberen Effekt: Nur noch die Plattesten, die Inhaltslosesten (und damit Stillosesten) bekommen die dicke Knete. Alle rennen nur noch dem Pöbelhaftesten und Niveaulosesten hinterher. Man bekommt so eine Ahnung, warum auch die gesellschaftlichen Diskussionen mittlerweile derart abgeglitten sind, unterirdisch bis nichtexistent. Wie auch sonst? Wenn alle sich nur noch dem niedrigsten Niveau anpassen, wer bleibt dann noch übrig?

Klar: Typen wie diese Fünf, die es locker schaffen, trotz alledem Kinosäle und Hallen zu füllen in Berlin, Dresden, Frankfurt, Düsseldorf und München, wo diese 15 Lieder eingespielt wurden – eigentlich sogar 16 plus x. Es gibt noch eine hübsche Zugabe. Und die Leute im Saal klatschen und johlen. Und erkennen sich wieder. Denn mit ihren Liedern nimmt die “Arbeitsgruppe Zukunft” die Schön-Schön-Stimmung der Republik auseinander. Manchmal sehr deftig, immer sehr genau. Und nicht nur in deutlicher Kritik der Nicht-Politik, die wir haben. Denn dass gerade jetzt so viele Politiker, die eigentlich alle Mittel in der Hand haben, so hilflos und verzweifelt aussehen, hat ja vor allem damit zu tun, dass sie sich in den letzten Jahren daran gewöhnt haben, dass andere Politik für sie machen. Das Gesetzeschreiben haben sie Lobbyisten mit Hausausweisen überlassen, das Verträgeaushandeln auch. Das Regulieren und Beaufsichtigen haben sie privatisiert. Und wenn ein Verbandsmanager irgendwo auch nur die Braue runzelt, dann bekommen sie Muffensausen.

Den Bürger verachten sie. Oder verkaufen ihn gleich. Seine Daten sowieso. Wenn der Markt das so will. Und da die dummgemachten Leute im Land sich das alles gefallen lassen, machen alle mit. Oder auch nicht. Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, endlich den Mund aufzumachen. So wie im “Lied von der Verweigerung”. All diesen Rabattverteilern, Kundenkartenausgebern, Adressensammlern, den Nervenden an der Kasse. Kennt ja jeder: “Haben Sie Rabattkarte sowieso? Wollen Sie Punkte? Haben Sie Kundenkarte?” Die armen Kassiererinnen. Wahrscheinlich sind sie die Falschen, die man anschreien müsste.

Aber die freundliche Nerverei hat ja System und einen Zweck: “Auch euer Gewinnspiel interessiert mich nich’/ weil ihr gewinnt und verlieren tu’ ich / Denn ich weiß, was ihr seid, ihr seid Piraten! / Ihr entert mein Leben und klaut meine Daten …”

Manchmal muss es einfach so deutlich gesagt werden, warum unsere Welt so geworden ist, wie sie ist. Nicht weil irgendwelche technischen Entwicklungen das erzwingen. Das ist Quatsch. Die meisten technischen Möglichkeiten, die wir uns wünschen könnten, werden gar nicht umgesetzt, weil sie den Anwendern gar keine neue Macht geben über Daten, Menschen, Geld. Der Markt an sich ist ein irres Wesen, dem der Mensch an sich mit all seinen Bedürfnissen völlig egal ist. Wenn es Rendite bringt, frisst “der Markt” einfach sich selbst. Er hat keine Verankerung in der realen Welt.

Auch das ist ein Problem des heutigen Europa, in dem die Sozis mit allem Eifer versuchen, die Nationalisten rechts zu überholen. Wahrscheinlich ahnen sie nicht einmal mehr, warum sie eine so angstgepeinigte und ratlose Truppe geworden sind. Natürlich hat das mit unserer Weltwahrnehmung zu tun, den immer geschlosseneren Wahrnehmungssuppen, in denen die ach so Zunkunftsfitten alle unterwegs sind und den “Trends” hinterher hecheln, weil sie glauben, drin sein zu müssen. Irgendwie genauso hip sein zu müssen wie die rundgestriegelten Manager, in deren Abgangszeugnis noch extra betont werden muss: “Er ist auch immer Mensch geblieben.”

Man merkt, dass zumindest diese fünf Freunde auf der Bühne von diesem Narrentanz der Verlogenheit die Nase voll haben, von diesen “Unternehmern”, die schon lange nichts mehr unternehmen, wenn sie dabei nicht reicher werden. Und deren Denken am Ende (Quote, Effizienz, Flexibilität) auch noch die Medien bestimmt, die Kunst, den Markt der Eitelkeiten. Und sie fühlen sich eins mit einer auf Risiko gesetzten Kreativszene. Denn das alles haben ja die großen, so auf Synergie und Verschlankung getrimmten Manager als Erstes outgesourct: den ganzen Ballast an kreativen Leuten. Kann man ja alle einkaufen, es gibt ja einen riesigen Markt für Forscher, Entwickler, Designer an ihren Homeworking Stations. Logisch. Dafür gibt es das “Lied für die digitale Bohème”: “Ich arbeite achtzig Stunden und bin doch nur Mittelmaß / Aber ich sag’ mir immer wieder: Arbeit macht doch Spaß …”

Das klingt so lapidar, wenn man es zitiert. Aber die Fünf bringen das so liebevoll, so beswingt vor, man kommt von ganz allein ins Mittanzen, Mitklatschen, Mitsingen. Denn natürlich versäumen sie es auch nicht, sich selbst auf den Arm zu nehmen. Oder auch vom Eigenen und Eigentlichen zu singen. Von Freunden zum Beispiel, die man fragen sollte, bevor man irgendeinen Blödsinn anstellt. Wer fragt heute noch seine Freude? Oder: Wer hat überhaupt noch welche und verwechselt das nicht mit den “Likes” auf Facebook oder dem Gruppenzwang, dem sich immer mehr Leute fügen und dann glauben, sie seien die Rolle, die sie gerade spielen? Ein echtes Thema für Julius Fischer, der sich von all diesen angemalten Quatschköpfen nur noch irritiert fühlt, weil man einfach nicht mehr unterscheiden kann, ob der Typ das wirklich so meint oder ob der sich nur aus Gruppenästhetik so blöd anstellt. Oder einfach glaubt, das sei jetzt so gefragt, weil alle anderen in seiner Wahrnehmungsblase sich ähnlich bekloppt verhalten.

Man hört das, stutzt kurz, merkt, dass die Burschen aus dem tatsächlichen Leben singen. Und dass man doch irgendwie wieder verdrängt hat, was da alles schiefläuft, weil zwar all diese selbsternannten Individualisten glauben, selbst zu bestimmen was sie tun – aber tatsächlich nur in wilder Anpassungsnot allen anderen hinterher laufen. Selbst wenn es in die Panik hinein ist. Prahlerei als Erfüllungsersatz. Oder ein Hobby, möglichst bekloppt, damit es noch auffällt.

Die Texte übrigens versteht man, wenn die Burschen singen. Das Publikum johlt also nicht unbedingt nur, weil die Rhythmen so schön sind oder die Band einfach Kultstatus hat. Am Ende singt das Publikum sogar mit. Die Leute müssen also die Texte kennen. Und das tut gut. Da gibt es wenigstens noch ein paar junge Menschen, die noch dasselbe Unbehagen kennen, die vielleicht auch den Mut haben, sich zu verweigern, sich nicht anzubiedern, anzupassen und sich alles gefallen zu lassen. Auch wenn man noch nicht recht weiß, was daraus wird. Ob sie irgendwann irgendwo auftauchen, selbstbewusst, deutlich – ist schon schwer, sich das auszumalen in einer Zeit, in der der lebende Mensch nur akzeptiert wird, wenn er sich brav einreiht in die zufriedene Schar der treuen Kunden, die ihre Rechnungen bezahlen können: “Wenn wir als nicht kredtiwürdig gelten / Weil wir die falschen Bücher bestellten / Werden wir lernen irgendwo, irgendwann / Dass man Treueherzen nicht essen kann”. Da dürften die fünf Musiker wohl ganzen Jahrgängen junger Menschen aus dem Herzen singen, die das Leben zwischen prekärem Job und unbezahltem Praktikum kennen und schätzen gelernt haben. Und von denen zumindest einige zunehmend das Gefühl haben, dass sie die ganze Zeit verarscht werden.

Deswegen gibt es die Scheibe auch nicht bei einem dieser großen, auf Mainstream gepolten Label, sondern bei Voland & Quist.

Arbeitsgruppe Zukunft Viel Schönes dabei, Audio-CD, Voland & Quist 2015, 15,90 Euro.

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