Wenn man nicht mehr mitmachen will beim völlig enthemmten Massentourismus in den immer gleichen Hotel-Ressorts, dann öffnet sich der Blick wieder für die spannenden Landschaften, die sich auch in heimischen Landen erschließen. Da setzt man sich einfach in den nächsten Zug und landet dann – vorschlagsweise – im Spreewald mit seinen über 1.500 Kilometern Fließgewässern, den Gurken und ungefähr 1.000 Jahren Geschichte.

Einer Geschichte, die jahrhundertelang ziemlich im Abseits verlief, quasi auf einer Insel, auf der sich Sprache und Kultur der Lausitzer auch in Zeiten erhalten konnte, als anderswo schon Landesherren jede Ecke ihres Fürstentums nutzbar machten und die dort lebenden Slawen so gründlich assimiliert wurden, dass ihre Sprache im Mittelalter nach und nach verschwand.

Und mit Inseln hat man es im Spreewald natürlich zur Genüge zu tun. Die Orte, die Tassilo Wengel in diesem Büchlein mit dem Rad auf dem Gurkenradweg anfährt, waren noch zu Fontanes Zeiten fast nur mit dem Boot erreichbar. Was den Wanderer durch die Mark Brandenburg natürlich faszinierte, denn damit hat sich hier ein Stück Kultur erhalten, das man sonst im Lande Brandenburg schon damals nicht mehr fand.

Hauptsache mit Gurke … oder Leinöl

Und der über 200 Kilometer lange Gurkenradweg, so Wengel, eignet sich natürlich am besten, um in aller Ruhe die wichtigsten Orte des Spreewaldes zu erkunden. Und genau diesem Radweg folgend stellt er sie in diesem Büchlein auch vor. Natürlich erst nach einer ordentlichen Stärkung. Denn der Spreewald ist auch für seine herzhafte Küche berühmt, in der Gurken, Gurken und Gurken natürlich eine ganz zentrale Rolle spielen. Gurken sind bis heute das wichtigste Exportprodukt aus dem Spreewald. Aber man lernt sie auch vor Ort kennen – in Gasthöfen dicht am Wasser, von denen Tassilo Wengel einige direkt empfielt.

Man merkt schon: Hier hatte er richtige schöne Genusserlebnisse auf seiner Radtour. Vielleicht mit Spreewald-Rouladen, mit Schmorgurken Lübbenauer Art oder mit dem bekanntesten Spreewaldgericht: Quark mit Leinöl.

Hat man sich gestärkt, kann man sich aufs Rad schwingen und der radelnden Gurke folgen. Man muss nicht rasen. Es gibt genug Übernachtungsmöglichkeiten direkt in den malerischen Orten des Spreewaldes, die teilweise wie kleine Museen aussehen, weil man hier tatsächlich mit viel Liebe bemüht ist, die Handwerks- und Wohnkultur der Vergangenheit zu bewahren und für Gäste erlebbar zu machen.

Auf der Spur slawischer Geschichte

Es gibt also nicht nur Gurkenmuseen am Weg. Und für richtige Liebhaber der Geschichte ist natürlich die rekonstruierte Slawenburg bei Raddusch der Höhepunkt. Ein Ort, an dem jener Teil der ostdeutschen Geschichte fassbar wird, der in Geschichtsbüchern meist nicht erwähnt wird, weil auch hier gilt: Der Sieger schreibt die Geschichte. Und zwar aus seiner Perspektive.

Nicht aus der Perspektive der Slawen, die sich über einige Jahrhunderte tapfer wehrten gegen Christianisierung und Germanisierung. Slawenwälle findet man praktisch in ganz Ostdeutschland. Erhalten hat sich das Sorbische nur in der Lausitz. Und rund 7.000 Sprecher/-innen dieser bedrohten Sprache leben im Spreewald. Weshalb man hier – insbesondere an Festen und Feiertagen – auch ein Stück sorbischer Kultur erleben kann. Die wichtigsten Daten hat Wengel im Anhang mit aufgeführt.

Aber man kann auch ganz ohne festlichen Anlass in die Lausitz fahren und sich mit dem Rad auf Entdeckungstour begeben. Dabei lernt man die Hauptorte des Spreewaldes – wie Lübbenau und Lübben – genauso kennen wie die kleineren Orte, die teils schon bei Fontane ihren ersten Ruhm abbekamen: Lehde mit dem Freilichtmuseum, Leipe, Vetschau, Burg …

In Branitz begegnet man Hermann von Pückler-Muskau, der hier seinen zweiten Landschaftspark anlegte, sein Meisterstück, wie er selbst sagte. In Peitz lernt man dann die Seenlandschaft rund um die Peitzer Teiche kennen, in Straupitz eine von Schinkel selbst entworfene Kirche und nahebei eine noch voll funktionsfähige Holländerwindmühle.

Niemanden beeindrucken müssen …

Es ist eben nicht alles Gurke im und am Spreewald. Und auch nicht alles Wasser, auch wenn sich entlang der Strecke einige Einstiegsmöglichkeiten ergeben, um ein Stück des Spreewaldes auch vom Boot aus zu erkunden, ob mit dem Kanu oder in – still dahingleitenden – Kähnen, in denen man sich wirklich so richtig zum Urlauber verwandeln kann.

Man wird geschippert, kann Wald und Wasser einfach genießen. Und sich dabei einfach sagen: Du musst hier keine Bäume ausreißen. Hier darfst du wirklich ein bodenständiger Urlauber sein.

Da und dort neugierig auf ein Stück fein bewahrter Geschichte – so wie in Lübben die Stadtmauer und die Stadtkirche, die nach dem berühmtesten Liederdichter des 17. Jahrhunderts, nach Paul Gerhardt, benannt ist, der hier Pfarrer war. Hier lädt auch das Schloss mit Schlossmuseum und Restaurant ein, wo man sich noch einmal stärken kann, bevor man nach Schlepzig fährt, wo die Kirche mit einer Decke aufwartet, die einem umgedrehten Spreewaldkahn entspricht.

Am Ende sammelt Wengel noch ein paar Abstecher abseits des Gurkenradwegs. Sodass man auch genug Tipps für schöne Abwege hat, wenn man einfach mal ein Bündel ruhiger Tage in einer Ecke verbringen möchte, aus der man keine Bilder mitbringen muss, mit denen man bei Kollegen Eindruck schindet. Wer Urlaub mit neuen Herkulestaten verwechselt, der hat irgendetwas wirklich nicht begriffen.

Ein Spreewaldbesuch könnte ihn eines Besseren belehren. Nur das Mountainbike sollte er zu Hause lassen. Das braucht man hier wirklich nicht. Nicht mal in den Krausnicker Bergen.

Tassilo Wengel„Im Spreewald unterwegs“ Buchverlag für die Frau, Leipzig 2024, 6 Euro.

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