Reisen durchs Land sind ja vorerst nicht besonders ratsam. Auch dann nicht, wenn man eher in stille ostdeutsche Landschaften reisen möchte. Das hebt man sich wirklich lieber für die Zeit nach der Corona-Epidemie auf. Oder schnappt sich eins der quadratischen Bücher aus dem Buchverlag für die Frau, in denen Küchenkenner aus der Region erzählen, was an der Küche vor Ort so besonders ist.

Und das gleich noch verbunden mit kleinen Vorstellungen von Land und Leuten. Denn regionale Küchen haben nun einmal mit all dem zu tun, was in dem jeweiligen Landstrich an Zutaten wächst und gedeiht und wie es die dort lebenden Menschen über Jahrhunderte in ihren Küchenalltag integriert haben.

Und wenn wir uns jetzt nicht verzählt haben, besteht die Reihe mittlerweile aus acht Titeln, in denen die vom Fischreichtum geprägte Küche Mecklenburg-Vorpommerns genauso ihren Platz fand wie die Thüringer oder die Harzer Küche, nicht zu vergessen Berlin als Entdeckung einer eigenständigen kulinarischen Landschaft.

Und der Koch Torsten Kleinschmidt lädt nun im neunten Band ein, mit ihm die verschiedenen Küchen Brandenburgs und damit auch Bandenburg etwas näher kennenzulernen. Es ist eben nicht nur die berühmte „Streusandbüchse“ rund um Berlin, von der auch Theodor Fontane vor 160 Jahren nicht unbedingt vermutete, dass er dort etwas Erzählenswertes vorfinden würde, bevor er dann einfach aufbrach zu seinen Exkursionen in „Die Grafschaft Ruppin“ (1861/1862), Das Oderland. Barnim. Lebus.“ (1863), „Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg.“ (1873) und „Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow“ (1882).

Einen Satz von Fontane hat sich Kleinschmidt geradezu zum Motto gemacht: „Ich war in der Mark und habe sie reicher gefunden, als ich zu hoffen wagte.“

Und wer Brandenburg wirklich noch nicht kennt, lernt mit Torsten Kleinschmidt tatsächlich fünf verschiedene brandenburgische Landschaften und ihre Küchen kennen. Sie gruppieren sich hübsch um Berlin herum und Kleinschmidt erzählt auch, warum diese fünf Küchen alle so verschieden sind. Was natürlich mit den Einflüssen aus der Nachbarschaft zu tun hat – etwa den slawisch-sorbischen Einflüssen im Südosten, den sächsischen im Süden, den niedersächsischen im Westen und den mecklenburgisch-pommerschen im Norden. Denn Brandenburg war immer Einwanderungsland.

Zu zwei typisch brandenburgischen Küchenzutaten gibt es dann auch noch zwei Extra-Kapitel. Das „Fischland“ hat natürlich damit zu tun, dass Brandenburg bis heute ein seenreiches Land ist, in dem Forellen, Karpfen und Zander Bestandteil leckerster Rezepte sind – im Buch etwa vertreten mit Zanderfilet in Senfsauce, Speckforellen oder Weißer Fischsuppe nach Art der Oder-Schiffer.

Und die andere berühmte Zutat ist ja die Kartoffel, die der Alte Fritz einst mit königlichem Befehl in seinen Landen anbauen ließ. Damit hat der alte Knurrhahn tatsächlich bis heute die Herzen seiner Brandenburger erobert. Und so erfährt man mit Torsten Kleinschmidt, dass die Brandenburger (auch kriegsbedingt) sogar gelernt haben, aus Kartoffelschalen knusprige Dinge zu kochen.

Die Kartoffelsuppe Kaiser Wilhelm II. findet sich ebenso (erkennbar an der kaiserlich langen Zutatenliste), wie Buttermilch-Stampfkartoffeln und Bratkartoffeln. Man muss ja nicht unbedingt extra nach Brandenburg fahren, um das alles selbst zuzubereiten. Das geht ja auch in der heimischen Küche.

Und die belesenen Köchinnen und Köche können ja Fontanes dicke Bücher mit den Wanderungen parallel lesen. Es gibt ja noch mehr als die vier zu Fontanes Lebzeiten erschienenen Bände. Etliche seiner Touren wurden ja noch unveröffentlicht im Nachlass gefunden.

Seine eigenen Küchen-Wanderungen organisiert Kleinschmidt etwas anders: Er startet in der Region Prignitz und Oberhavel, von wo er zum Beispiel „Plum und Klüten“ mitgebracht hat, eine Pflaumensuppe mit Mehlklößchen. Aus der Region Uckermark und Barnim hat er sich den Wruckeneintopf geholt, der ganz ähnlich wie das Oma-Rezept mit den Kartoffelschalen natürlich an harte Kriegs- und Nachkriegsjahre erinnert, die berühmten Rübenwinter, die gerade der Kriegsgeneration die Steckrübe auf dem Teller für alle Zeit verleidet haben. Obwohl die Steckrübe nicht nur gesund, sondern auch lecker ist. Eine echte Wiederentdeckung.

Während etwa der Arme Ritter aus dem Oder-Spree-Seenland so manchem Zeitgenossen durchaus wieder vertraut sein dürfte, auch wenn diese Speise einst ein typisches Arme-Leute-Gericht war, das sogar in den Märchen der Brüder Grimm vorkam. Und aus der Region Potsdam, Havelland und Fläming gibt es zum Beispiel Märkischen Pfannenspargel oder die berühmten Teltower Rübchen – hier in einem Rübchen-Birnen-Ragout. Selbst Goethe ließ sich diese Rübchen von seinem Freund Zelter jedes Jahr erntefrisch nach Weimar schicken.

Und dann ist da ja noch die Region Niederlausitz und Spreewald, wo man nicht nur dem Spreewalder Nationalgericht Quark mit Leinöl begegnet, sondern auch Senfgurkensuppe und Lausitzer Flöz.

Am Ende lädt Kleinschmidt dann auch noch zu einer kulinarischen Sommerfrische mit Landpartie ein, die unter anderem ins „Schloss-still-im-Land“ in Paretz, dem einstigen Lieblingsschloss von Königin Luise, führt. Man bekommt also auch gleich noch ein bisschen Landesgeschichte dazu und hat auch Fritze Bollmann und den Eberswalder Konditor Zietemann kennengelernt, der einst mit seinen Spritzkuchen Furore machte, weil er sie fluffiger hinbekam als seine klassisch backenden Kollegen. Da staunt der Reisende: Man fährt also nicht wegen der Würstchen nach Eberswalde, sondern wegen der Spritzkuchen. Die Welt ist voller Überraschungen.

Torsten Kleinschmidt Die besten Rezepte aus Brandenburg, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2020, 9,95 Euro.

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