Die gewaltsame Abschiebung einer 18 Jahre alten Tschetschenin aus Leipzig in der Nacht zum 12. Dezember 2014 zieht weitere Kreise - und macht so nebenbei sichtbar, wie sich Behörden in Deutschland gegenseitig die Verantwortungen zuschieben. Das Ergebnis: Keiner übernimmt persönliche Verantwortung. Die Landtagsabgeordnete der Linken, Juliane Nagel, hat mal nachgefragt, in welcher Verantwortung eigentlich Sachsens Innenminister Markus Ulbig steht. In gar keiner, teilt der nun mit.

Und das, nachdem er sich in den vergangenen Monaten mehrfach rühmte, die härteste und schnellste Abschiebepraxis aller Bundesländer zu praktizieren. Auch die knallharten Bayern habe man mittlerweile hinter sich gelassen. Kein Bundesland drückt bei Abschiebungen so auf die Tube wie Sachsen. Und keines sperrt sich gegen eine humanitäre Geste wie den Winterabschiebestopp so störrisch wie Sachsen.

Aber wenn es um einen konkreten Fall geht wie den der gerade 18 Jahre alt gewordenen Tschetschenin, die am 12. Dezember von der Polizei aus der Unterkunft in der Markranstädter Straße 16/18 geholt und dabei von ihrer Familie, mit der sie nach Leipzig gekommen war, getrennt wurde, hat Sachsens Innenminister damit auf einmal nichts zu tun. Da ist dann auf einmal das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verantwortlich.

Das entscheidet in der Bundesrepublik tatsächlich allein über Asylverfahren. Das stimmt schon. Ein rein bürokratischer Akt, bei dem rein nach einem Kriterienkalog entschieden wird (sicheres oder unsicheres Herkunftsland, Volljährigkeit, Gefährdung der persönlichen Sicherheit im Herkunftsland ….). Dass bürokratische Vefahren seelenlos und dumm sind, wenn vor Ort keine Einzelfallprüfung geschieht, wissen zumindest die Betroffenen. In diesem Fall die junge Tschetschenin, die noch als Minderjährige mit ihrer Familie nach Leipzig kam. Mit Eintritt ihrer Volljährigkeit scheint die BAMF-Bürokratie den Fall einfach abgetrennt zu haben, aus der minderjährigen Tochter wurde eine volljährige Einzelperson, die – einfach keinen eigenen Asylantrag gestellt hatte. Wohl auch, weil kein Mensch daran dachte, die junge Frau darüber aufzuklären.

Kein Asylantrag? – Klarer Fall: Zurück nach Polen, woher die Familie zuvor den Weg nach Leipzig gesucht hatte.

In der trockenen Antwort des Ministers klingt das so: “Die Abschiebeanordnung ist bereits in den Bescheiden des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge enthalten. Mit Zustellung des Bescheides war der Betroffenen ihre Ausreisepflicht bekannt”, behauptet der Minister. “Es handelt sich vorliegend um einen Fall, der in § 34a AsylVfG geregelt ist.”

Das ist die Abschiebungsanordnung. Sie heißt wirklich so. Deutsche Politiker scheinen nicht mal mehr ein Gefühl dafür zu haben, wie verräterisch ihre Sprachwahl ist, wenn sie solche Gesetze formulieren. Und der Paragraph deutet zumindest an, dass keine einzige Instanz in Deutschland sich verpflichtet sieht, die Betroffenen vorher tatsächlich zu benachrichtigen oder gar auf ihre Rechtslage hinzuweisen, wenn man das Urteil über sie gefällt hat. Die Abschiebung ist auch dann möglich, “wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen  Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht.”

Einzige Chance: Die Betroffenen müssen schleunigst reagieren und gegen die Abschiebeanordnung gerichtlich Einspruch erheben: “Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die  Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig.”

Innenminister Markus Ulbig ist sich sicher, dass die junge Frau die Abschiebeanordnung erhalten habe. Und wer eben nicht freiwillig geht, der wird dann geholt. In der Nacht. Ohne Gewalt, wie Ulbig sich verwahrt, die eingesetzten Polizisten wären nicht laut und aggressiv aufgetreten. Das verbittet er sich.

Er gibt aber gleichzeitig zu, dass die Polizisten zu einer Zeit kamen, in der niemand mit Besuch rechnet: 5 Uhr in der Frühe. Und dass sie das ganze Haus aus dem Schlaf rissen, bestreitet er nicht. Und vorstellen, wie das ist, wenn man früh um 5 Uhr von der Polizei abgeholt wird, kann er sich wahrscheinlich auch nicht.

Der Rest, sagt er, ginge ihn nichts an: “Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat vor Erlass der Abschiebeanordnung als zuständige Behörde deren rechtliche Voraussetzungen geprüft. Es ist nicht Aufgabe der Sächsischen Staatsregierung zu Entscheidungen einer Bundesbehörde Stellung zu nehmen.”

Die einzige Stellung, die Ulbig dazu bezieht, ist die, die er immer wieder verkündet hat: Augenscheinlich wird jede Abschiebeentscheidung des BAMF in Sachsen sofort und nächtens vollzogen. Weg damit. Keine Diskussion. Nur “freiheitsentziehende Maßnahmen” sind zu vermeiden, die wären nicht zulässig, betont er. Und dass die Polizeibeamten mitten in der Nacht losziehen, um die Abschiebekandidaten aus den Betten zu holen, das läge auch nicht in seiner Entscheidung, das würde der Polizeivollzugsdienst selbst festlegen. Und gegen die Einschätzung, der Einsatz am 12. Dezember sei “roh” gewesen, verwahrt er sich. Oder besser: Dazu liegen seinem Ministerium keine Erkenntnisse vor.

Die Anfrage von Juliane Nagel zum Vorfall in der Markranstädter Straße am 12. Dezember als pdf zum Download.

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