Im März diskutierte der Sächsische Landtag sehr emotional über einen Antrag der Grünen-Fraktion „Programm zur sozialen Wohnungsbauförderung für Sachsen auflegen“. 150 Millionen Euro für die beiden Jahre 2016/2017 hatten sie beantragt. Eigentlich ein Programm genau zum Thema der Zeit. In Dresden und in Leipzig wird sozialer Wohnraum knapp. Die Zahlen haben die Grünen nun im Mai abgefragt.

Denn natürlich heißt der bürokratische Terminus nicht „Sozialwohnungen“, sondern „Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindung“. Ihr Bau wird vom Bund gefördert. Dafür wird auch Sachsen jedes Jahr ein Betrag von 40 Millionen Euro bereitgestellt – nur hat der zuständige Innenminister diese Gelder nicht für sozialen Wohnungsbau vorgesehen. Eigentlich geht die Diskussion zwischen den großen Städten, die beide schon echte Engpässe bei Sozialwohnungen haben, und der Landesregierung seit über einem halben Jahr. Doch die Landesregierung kann sich irgendwie nicht entscheiden.

Denn sie sieht mit einem halben Auge auf die wachsenden Großstädte, wo der Wohnraum knapp wird, mit anderthalb Augen aber auf die Landkreise, wo immer noch Abwanderung dominiert und der Leerstand hoch ist.

„2001 wurde die soziale Wohnraumförderung in Sachsen auf Beschluss der damaligen Staatsregierung eingestellt – Zeiten des Leerstands und des flächendeckenden Bevölkerungsrückgangs. Heute, 2016, hat sich Sachsen stark verändert. Entwicklungen sind vielfältiger und gehen auseinander. Städte, Stadtteile und ländliche Regionen mit stark wachsenden oder zumindest stabilen Bevölkerungszahlen stehen anderen gegenüber, in denen die Einwohnerzahl stark sinkt. Der Blick auf den Durchschnitt war schon 2001 nicht wirklich als Grundlage einer wohnungspolitischen Strategie geeignet, heute funktioniert er überhaupt nicht mehr“, erläuterte Wolfram Günther, der  in der Grünen-Fraktion auch Sprecher für Landesentwicklung und Bauen ist, in seiner Rede am 16. März. „In Sachsen nehmen lokal die Wohnungsmärkte zu, die immer angespannter werden. Der Leerstand in Dresden und Leipzig sinkt stark. In beiden Städten wächst die Bevölkerungszahl erheblich und das kontinuierlich.“

Und dann kam er auf das Beispiel Dresden zu sprechen: „Der Leerstand beträgt nur noch zwei Prozent, das entspricht ca. 8.000 Wohnungen (Angaben Mieterverein und Mietgutachten Sachsen von empirica). Dabei werden rund zwei bis drei Prozent Leerstand dauerhaft als Umzugsreserve (Fluktuationsreserve) benötigt. Die Stadt Dresden spricht davon, dass man etwa zusätzliche 3.000 Wohnungen pro Jahr braucht, allein 700 für Flüchtlinge; Leipzig spricht von 600 Wohnungen, Tendenz steigend.“

Und Leipzig? – „Leipzig: Von den ca. 20.000 aktuell leerstehenden Wohnungen (7 Prozent Leerstand) ist der größere Teil nicht marktaktiv und nicht wiedervermietbar. Die etwa 10.000 bis 12.000 leerstehenden marktaktiven Wohnungen (3-4 Prozent) sind sehr ungleichmäßig über die Stadtteile sowie Baualter- und Ausstattungsklassen verteilt.“

Und während in Städten wie Dresden die Neuvermietungspreise schon bei 8 Euro je Quadratmeter liegen, können sich die meisten Sachsen solche Mieten überhaupt nicht leisten. Günther: „Wer braucht preiswerten Wohnraum? Jeder 5. bis 7. Einwohner. Leistungsempfänger (Hartz-IV, Wohngeld-Empfänger) bekommen kaum noch Wohnraum, weil die Preise durch die Kosten der Unterkunft (KdU) nicht abgedeckt werden, das gilt auch für kleinere Städte. Miethöhen im Bereich des jeweiligen KdU-Satzes der Kommunen (Kosten für Unterkunft und Heizung ca. 5 bis 5,50 Euro/Quadratmeter). – Aber auch arbeitende Menschen mit niedrigen Einkommen haben auf dem Wohnungsmarkt zunehmend weniger Chancen Wohnungen anzumieten, die über dem KdU-Satz liegen. Sogenannte Schwellenhaushalte können nur um die 6  bis 7 Euro/Quadratmeter für die Kaltmiete aufbringen.“

Aber ohne Förderung kann man solche bezahlbaren Wohnungen gar nicht mehr bauen.

„Die Wohnungswirtschaft sagt ganz klar, dass diese Mietpreise nur durch Zuschüsse zu schaffen sind“, betonte Günther. „Benötigt werden neue Wohnungen durch Sanierung, Neubauten plus zusätzliche Belegungsrechte in Bestandswohnungen mit Bindungsfristen, jeweils zeitlich begrenzt für einige Jahre zwischen i.d.R. 12 bis 15 Jahre. Aber die Zahl der Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindung (sog. Sozialwohnungen) in sächsischen Großstädten ist stark rückläufig. 2010 gab es in den drei Großstädten Chemnitz, Leipzig und Dresden insgesamt noch 56.525 Sozialwohnungen. 2014 waren es nur noch 31.150.“

Aber da die Bindungsfristen für Belegungsrechte auslaufen, werden es immer weniger „Sozialwohnungen“. Die Zahlen, mit denen Günther am 16. März auftreten konnte, waren also schon völlig veraltet.

Die aktuellen Zahlen hat er jetzt von Innenminister Markus Ulbig (CDU) bekommen, der in Sachsen auch für den (sozialen) Wohnungsbau zuständig ist.

Und von den 31.150 Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindung war 2015 schon fast nichts mehr übrig. Außer in Dresden, wo noch 10.286 solcher Wohnungen gezählt wurden – von 11.766 in ganz Sachsen. In Leipzig hat sich der in den 1990er Jahren gebaute Bestand praktisch in Luft aufgelöst. Ganze 391 Wohnungen hatten 2015 noch so eine Bindung.

Die alten Belegungsbindungen sind ausgelaufen, neue geförderte Wohnungen wurden nicht gebaut.

Und der Innenminister kann auch nicht sagen, dass er keine Bedarfsanmeldungen für sozialen Wohnungsbau hat. Danach hat Wolfram Günther auch gefragt. Und während eher abgelegene Landkreise natürlich keinen Bedarf angemeldet haben, weil sie mit dem hohen Leerstand zu kämpfen haben, gibt es in einigen Landkreisen punktuellen Bedarf, für die beiden Großstädte Leipzig aber die Aussage „Bedarf an belegungsgebundenen Sozialwohnungen ohne Zahlenangaben gemeldet“.

Das klingt noch so, als könne man es nicht greifen. Aber Oberbürgermeister Burkhard Jung hat jüngst im Zusammenhang mit der neuesten Bevölkerungsprognose die Größenordnung genannt, in der Leipzig jetzt jedes Jahr sozial geförderte Wohnungen bauen müsste: 2.000. Was übrigens einen Förderbedarf von 150 Millionen Euro bedeutet. Jährlich. Und zwar für Leipzig allein.

Vage im Gespräch sind bis jetzt aber nur 15 Millionen Euro als Anteil an den vom Bund bereitgestellten 40 Millionen Euro. Das reicht hinten und vorne nicht. Auch das ist ein Grund dafür, warum hinter den Kulissen so zäh und langwierig verhandelt wird. Denn die beiden Wachstumsstädte sind längst an dem Punkt angekommen, dass sie über kleine Zugeständnisse nicht mehr verhandeln können. Dazu wurde das Problem zu lange ausgesessen. Jetzt geht es wirklich um 150 bis 300 Millionen Euro, die der Freistaat jedes Jahr bereitstellen muss, um zu verhindern, dass seine beiden wichtigsten Städte wirtschaftlich und sozial aus den Fugen gehen.

Antrag der Grünen „Programm zur sozialen Wohnungsbauförderung für Sachsen auflegen“. Drs 4397

Zahlen zu den aktuell noch verfügbaren Sozialwohnungen in Sachsen. Drs. 5125

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