Zu Recht haben immer mehr Bürger im Lande D. das Gefühl, dass immer größere Teile der Politik nicht nur in abgeschlossenen Hinterzimmern passieren und in „informellen Arbeitsgruppen“, sondern auch gegen sie selbst gerichtet sind. Gesetzliche Grenzen werden verwaschen und Instrumente geschaffen, mit denen nicht die Politik besser überwacht wird, sondern der Bürger, dieses hochgefährliche Wesen. Sogar die AfD ist besorgt.

Linke und Grüne haben ja im sächsischen Landtag schon immer wieder nachgefragt, was denn eigentlich drinsteckt in diesem Paket „Gemeinsames Kompetenz- und Dienstleistungszentrum auf dem Gebiet der polizeilichen Telekommunikationsüberwachung“ (GKDZ), über das die Kabinette von fünf ostdeutschen Bundesländern seit über einem Jahr beraten.

Aufgerührt hatte das Thema das Portal Netzpolitik.org, das seitdem immer wieder nachfragt und wissen will, wer eigentlich alles mitrührt in diesen geplanten Überwachungszentren, von denen das in den norddeutschen Ländern noch eher an den Start gehen wird als das im Osten. Aber es ist genauso dubios, weil es die Kompetenzlinien zwischen Polizei und Verfassungsschutz völlig verwischt, die zwischen den Bundesländern ebenfalls. Es wird zu einer Überwachungszentrale, die durch demokratische Stopp-Schilder in den einzelnen Ländern nicht mehr gebremst werden kann, andererseits – wie Netzpolitik betont – die Kontroll- und Überwachunsgelüste der jeweiligen Regierungen bedient.

Denn das Thema, das eigentlich nicht wirklich zu klären ist, ohne massiv Gesetze zu verletzen, ist das Thema des Datenschutzes. Gern kleingeredet, gerade von Ministern, die gern so tun, als würden die globalen Daten – zum Beispiel die Übertragungsdaten im Mobilfunk oder im Internet – überhaupt nicht eingreifen in den Schutz der Privatsphäre.

Tatsächlich eignen sich aber gerade diese Daten bestens dazu, komplette Bewegungsprofile von Menschen zu erzeugen. Was heute schon alles erfasst wird, ohne dass es die Nutzer wissen, wird immer nur stückweise deutlich, wenn mal Geschichten über die Datensammelei der großen Internetkonzerne publik werden. Über die Gier diverser Geheimdienste, von denen die NSA nur einer ist, die Daten möglichst aller Internetnutzer zu bekommen, zu horten und mit Suchalgorithmen zu durchwühlen, haben wir ja schon mehrfach geschrieben.

Doch während das Überwachungs-Zentrum Nord, wie es scheint, ohne hörbaren Aufschrei in den Nordländern durchgepaukt wurde, klemmt es beim geplanten Überwachungszentrum für die Länder Sachsen, Berlin, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Beim Geld waren sich die tagenden Innenminister schnell einig. 11 Millionen Euro für so ein Spielzeug der Kontrollbesessenen machen diese Männer gern mal locker. Und das sind nicht alles besessene Kontrollfreaks der CDU, sondern auch ein paar SPD-Leute, die als Innenminister gern vergessen, dass ihre Macht nur vom Volk geliehen ist.

Selbst der thüringer Innenminister Dr. Holger Poppenhäger trötete im November 2015 in die Welt: „Die Überwachung der Telekommunikation durch die Strafverfolgungsbehörden ist ein unverzichtbares Instrument zur Bekämpfung schwerster Straftaten.“ Das darf die Polizei mit richterlicher Genehmigung schon heute. Und macht es auch.

Das Problem beim GKDZ ist: Es gibt diesen Zwischenschritt nicht mehr. Das Überwachungszentrum, das in Leipzig installiert werden soll, wird für die fünf Landesparlamente, die sonst das Recht haben, die Arbeit der Polizeibehörden zu kontrollieren, zu einer exterritorialen Einrichtung, die ihrer Kontrolle komplett entzogen ist. Eigentlich von Anfang an. Schon der Staatsvertrag wurde auf Regierungsebene ohne Beteiligung der Parlamente ausgehandelt und bleibt unter Verschluss. Jede einzelne Regierung antwortet den fragenden Abgeordneten mit dem arroganten Hinweis, es handele sich hier um einen Akt des Regierungshandelns. Bevor der geheime Vertrag nicht unterschrieben sei, werde er auch den Abgeordneten nicht zur Kenntnis gebracht.

Netzpolitik.org hat den Entwurf dann im März trotzdem veröffentlicht.

Mittlerweile gibt es auch ein Rechtsgutachten zum Staatsvertrag – aber auch hier lehnen die Regierungen jede Einsichtnahme durch Bürger oder Abgeordnete ab. Es wurde lange nicht so offenkundig durchexerziert, mit welcher Verachtung einige deutsche Politiker auf ihre Wähler und deren Rechte herabschauen.

Oder – wie Poppenhäger – mit falschen Argumenten hausieren gehen: Sein Ministerium meldete im November 2015: „Das GKDZ soll als datenverarbeitende Stelle und damit als technischer Dienstleister im Auftrag der Strafverfolgungsbehörden der fünf Kooperationsländer tätig werden. Die Verantwortung über die Telekommunikationsüberwachung verbleibt in Länderhoheit. Mit der Einführung des GKDZ werden keine neuen Eingriffsbefugnisse der Polizei geschaffen.“

Schon die Schaffung einer solchen Institution abseits der gültigen Rechtsräume ist die Schaffung neuer Befugnisse. Ganz zu schweigen von der Dimension dieser neuen „Anstalt öffentlichen Rechts“, die nur Sinn macht, wenn man Datenströme großflächig und dauerhaft überwacht. Und da sammeln sich dann eine Menge Daten, die die Polizei für gewöhnlich gar nicht sammeln darf. Und wo das geschieht, werden diese Daten auch missbraucht. Wie Netzpolitik.org schrieb: „Dabei gibt es schon jetzt konkrete Belege für Daten-Misswirtschaft im Überwachungsgeschäft. Schon die aktuell von Niedersachsen und Bremen gemeinsam betriebene Telekommunikationsüberwachungsanlage weist laut niedersächsischer Datenschutzbeauftragter ganze 44 offene Mängel auf.“

Und wie sächsische Behörden mit Personendaten umgehen, war gerade in den letzten Wochen immer wieder Thema.

Dass auch ein AfD-Abgeordneter sich besorgt zeigt, verblüfft natürlich. Aber warum sollte man sich nicht auch in dieser Partei besorgt zeigen über die Art, mit der die Innenminister dieses Projekt durchziehen. Eigentlich wollten sie noch viel schneller vollendete Tatsachen schaffen, so wie Poppenhäger im November lauthals verkündete: „Ich will den Staatsvertrag hierzu noch in diesem Jahr in das Kabinett einbringen.“

Dazu sind die Datenschutzprobleme bei diesem UFO viel zu groß. Und augenscheinlich sind sie es, die das ganze Projekt jetzt erst mal wieder in die Beratungsebene zurückgedrückt haben, wie Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) in Antwort auf die Anfrage des AfD-Abgeordneten Carsten Hütter erklärt: „Der Sächsische Datenschutzbeauftragte ist seit November 2013 über das Vorhaben informiert. Darüber hinaus wurde den Landesdatenschutzbeauftragten der beteiligten Länder am 14. April 2015 im Rahmen einer zentralen Informationsveranstaltung in Dresden das Projekt vorgestellt. – Der durch die Innenstaatssekretäre der beteiligten Länder abgestimmte Staatsvertragsentwurf wurde dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten mit Schreiben vom 29. Oktober 2015 zur Verfügung gestellt. Parallel dazu erfolgte die Übersendung des Staatsvertragsentwurfs an die Datenschutzbeauftragten der beteiligten Länder durch die jeweiligen Ländervertreter. Die daraufhin eingegangenen Stellungnahmen der Landesdatenschutzbeauftragten wurden geprüft und sind Gegenstand einer voraussichtlich im September 2016 stattfindenden weiteren Besprechung.“

Und Hütter hatte zu Recht auch wissen wollen, was der sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig in seiner Stellungnahme geschrieben hatte. Aber da prallte er wieder an jenem Konstrukt ab, mit dem Sachsens Regierung einen Großteil ihres Handelns auch für Abgeordnete nicht einsehbar macht: „Die Frage berührt den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, weil der Inhalt der Stellungnahme Gegenstand des derzeit laufenden Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses der Staatsregierung ist.“

Und weil ja nun augenscheinlich so viele Details ungeklärt sind, hat Hütter nach einer aktuelleren Version des (geheimen) Staatsvertrages gefragt. Die bekam er natürlich nicht. Und was Netzpolitik.org da im März veröffentlicht habe, sei ja von keiner Landesregierung genehmigt, betont Gemkow: „Bei dem im Internet eingestellten Entwurf handelt es sich um eine unautorisierte Veröffentlichung.“

Die komplette Antwort an den AfD-Abgeordneten Carsten Hütter. DRs. 5346

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