Natürlich kann man nicht auf Ortschaft und Einwohner genau berechnen, wo nun die gesundheitlichen Folgen von Kohlekraftwerken in der Gesundheitsstatistik sichtbar werden. Aber wenn man die Zahlen einfach im großen Rauschen verschwinden lässt, dann ist doch so ein Kohlekraftwerk gar nicht gesundheitsschädlich, oder? Zumindest kann man so die Antwort der sächsischen Staatsregierung auf eine Landtagsanfrage der Linken lesen.

Nachdem Anfang Juli 2016 eine Studie im Auftrag von WWF Deutschland, dem Bündnis Health and Environment Alliance Europe (HEAL) und anderen Umweltorganisationen unter dem Titel „Europe’s dark cloud“ über die gesundheitlichen Auswirkungen der Verstromung von Braunkohle in Europa veröffentlicht wurde, hakte die Lausitzer Abgeordnete Kathrin Kagelmann (Die Linke) mit einer Kleinen Anfrage „Gesundheitliche Folgen der Verstromung von Braunkohle im Kraftwerk Boxberg“ nach.

Die jetzt vorliegende Antwort der Staatsregierung (Parlaments-Drucksache 6/5684) kommentiert die Fragestellerin Kathrin Kagelmann, Fraktionssprecherin für ländliche Räume: „Es wurden in der Studie von 280 Kohlekraftwerken 257 hinsichtlich ihres Ausstoßes u. a. von Kohlendioxid, Feinstaub oder Quecksilber analysiert. Unter den 30 Kraftwerken mit den größten Auswirkungen auf die Gesundheit nehmen das Kraftwerk Boxberg den 17. Platz und das Kraftwerk Lippendorf den Platz 27 ein. Nach dieser Studie wurden als Folge des Kraftwerkes Boxberg 300 vorzeitige Todesfälle, 150 Fälle chronischer Bronchitis oder 270 Krankenhauseinweisungen für 2013 ermittelt. Diese Zahlen sollten die Staatsregierung durchaus alarmieren, auch wenn sie statistisch ermittelt wurden.“

Das sind übrigens Zahlen, die sich direkt aus den Emissionen des Kraftwerks Boxberg errechnen.

Es ist nicht zu erwarten, dass die Erkrankungen direkt in den Dörfern rund um das Kraftwerk auftreten, denn die meisten Emissionen werden ja von Luftströmungen – je nach Wind- und Wetterlage – weitreichend über angrenzenden Regionen Mitteleuropas verteilt. Und da auch in der Lausitz eher Windströmungen aus West vorherrschen, dürfte damit zu rechnen sein, dass die entsprechenden Atemwegserkrankungen vor allem jenseits der Grenze in Polen auftreten. Wo freilich auch ganze Batterien von Kohlekraftwerken feuern, die ihre Emissionen dann bis Weißrussland oder in die Ukraine verbreiten.

Bei Ostwind kehrt sich die Sache um. Man hat es mit einem aerodynamischen System zu tun.

Deswegen ist die Frage nach den konkret vor Ort nachweisbaren Gesundheitsfolgen natürlich schwierig zu beantworten. Kathrin Kagelmann hat sie gestellt. Die Regierung ist der Antwort ausgewichen.

„Das Bestreben, das konkrete Ausmaß der gesundheitlichen Belastung eines einzelnen Emittenten wie des Kraftwerkes Boxberg für eine bestimmte Region (z. B. für den sächsischen Teil der Lausitz) quantifizieren zu wollen, wird aus epidemiologischen und methodischen Gründen als nicht erfolgversprechend und somit nicht als zielführend beurteilt“, heißt es in der Antwort, die Finanzminister Georg Unland (CDU) im Namen der Regierung gegeben hat. „Unter epidemiologischen Aspekten – das bestätigt die in Rede stehende Studie – ist die Zahl der durch einen Einzelemittenten verursachten zusätzlichen Sterbe- oder Krankheitsfälle zu gering, als dass daraus negative statistische Schlüsse für eine bestimmte Region wie die sächsische Lausitz sowie die Indikation für eine entsprechende epidemiologische Studie abgeleitet werden könnten. Eine Verschiebung regionaler oder gar lokaler nicht-luftschadstoffbedingter Krankheits- und Sterberaten in Sachsen in Richtung signifikant höherer Risiken ist durch das Kraftwerk Boxberg nicht zu erwarten.“

Wie denn auch, wenn es niemand untersucht?

300 vorzeitige Todesfälle gehen im großen Rauschen unter. Denn sie vermengen sich natürlich mit ähnlich gearteten Todesfällen aus der durch den Kraftverkehr erzeugten Luftbelastung und den Belastungen, die durch andere Kraftwerke aus Europa verursacht werden. Wie heftig das sein kann, haben auch die Sachsen in etlichen Wintern erlebt, wenn die mit Verbrennungsrückständen aufgeladenen Luftmassen aus Osteuropa nach Sachsen drängten.

Die Europäer verteilen ihre Abgase nun einmal hübsch über den ganzen Kontinent. Um die wirklich konkreten Belastungen in bestimmten Regionen zu erfassen, müsste man erheben, welche Luftströmungen vorherrschen und aus welchen Regionen belastete Luft eingetragen wird. Und dann müsste man unterschiedlich belastete Regionen miteinander vergleichen, ob es dort auch unterschiedliche Häufungszahlen bestimmter Erkrankungen gibt.

Das aber sind Studien, die in Europa keine Regierung in Auftrag gibt.

Man würde zu viel über die Folgen erfahren. Das große Rauschen mit seinen eher vagen Grenzwerten ist wesentlich konfliktärmer.

Deswegen weiß auch die sächsische Regierung eigentlich nichts über das Problemfeld. Das wird aus Unlands Antwort deutlich.

„Doch in meiner diesbezüglichen Kleinen Anfrage 6/5684 – und auch in vorangegangenen ähnlichen Anfragen meiner Fraktion – stellt sich zum wiederholten Male heraus, dass die Staatsregierung weder Kenntnisse über die gesundheitlichen Auswirkungen der sächsischen Kraftwerke besitzt noch dass sie diese für erforderlich hält. Aktuelle Studien oder Untersuchungen sind nicht bekannt. Aber das ficht die Staatsregierung nicht an, denn vorliegende Daten über Gesamtemissionen werden als ausreichend eingestuft. Wie sie zu dieser Einschätzung kommt, bleibt ihr Geheimnis – denn wo keine Werte, da kann man auch nichts einstufen“, zieht Kagelmann die Bilanz aus diesem regierungsamtlichen Nicht-Wissen-Wollen.

Die wahrscheinlichen Gesundheitsfolgekosten gehen dann natürlich auch wieder im Grundrauschen der Krankenkassenbeiträge unter. Ist ja alles unter einer gemeinsamen europäischen Kohleglocke.

Kagelmann: „Aber angesichts eines gerade mühsam schöngeredeten Verkaufsdebakels einer kränkelnden Braunkohlesparte durch Vattenfall will man sich die Stimmung nicht mit zusätzlichen Informationen zu Gesundheitsbelastungen durch Kohle ruinieren lassen. Ohnehin gärt es in der Region aufgrund zunehmender Trinkwasserbelastungen und drohender Ewigkeitslasten aus der jahrzehntelangen Braunkohleförderung sowie des fehlenden (finanziellen) Engagements des Freistaates für einen planmäßigen wirtschaftlichen Strukturwandel.  Da gilt einmal mehr die Devise: Mein Name ist Hase – die Staatsregierung weiß von nichts.“

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