Die Vermutungen schossen ja ins Kraut. Spätestens im Januar 2020 wusste Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) vom „Fahrradgate“ bei der Polizeidirektion Leipzig. Dringlich hatte ihm Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schultze ans Herz gelegt, damit an die Öffentlichkeit zu gehen und maximale Transparenz herzustellen. Und dennoch hielt der Minister den Skandal unter der Decke, äußerte sich erst, als die Medien schon die ersten Artikel dazu veröffentlicht hatten.

Und damit stand natürlich die Frage im Raum: Wollte der Minister damit den Leipziger OBM-Wahlkampf nicht gefährden, wo der CDU-Kandidat mit einer knallharten Sicherheitskampagne um Wählerstimmen buhlte?

Nach seinem verunglückten eiligst anberaumten Pressetermin am Freitag, 19. Juni, bekam der Minister auch heftige Kritik vom Deutschen Journalisten Verband (DJV) Sachsen.

„Dass sich der Innenminister erst weigert, sich den Fragen der Journalistinnen und Journalisten in der Landespressekonferenz zu stellen und dann eine pro-forma-Pressekonferenz abhält, schürt eher Misstrauen. Im Namen der Kolleginnen und Kollegen fordere ich Innenminister Wöller daher auf, seiner Verantwortung gerecht zu werden und für eine transparente und offene Informationspolitik zu sorgen“, erklärte die sächsische DJV-Vorsitzende Ine Dippmann.

Und Kai Kollenberg, Vorsitzender der sächsischen Landespressekonferenz, ergänzte: „Der Kenntnisstand der Öffentlichkeit hat sich auch knapp eine Woche nach Bekanntwerden der Affäre nicht wesentlich geändert. Angesichts der erhobenen Vorwürfe ist dies nicht nur ärgerlich, sondern schlicht nicht hinnehmbar.“

Eine Beamtin der Polizeidirektion Leipzig steht im Verdacht, eine Vielzahl von Fahrrädern aus dem Asservatenbestand der Polizei unter anderem an Behördenmitarbeiter illegal verkauft zu haben. Seit Juli letzten Jahres ermitteln deshalb das Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Leipzig. Wegen der Bedeutung und des Umfangs des Verfahrens hat inzwischen die Generalstaatsanwaltschaft Dresden die Ermittlungen an sich gezogen.

Neben den strafrechtlichen Ermittlungen sind derzeit gegen insgesamt fünfzehn Polizeibeamte Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Auch das Verfahren zum Verkauf beschlagnahmter oder sichergestellter Gegenstände bei der Polizeidirektion Leipzig wurde geändert. Bereits seit August 2019 ist damit ein externes Auktionshaus beauftragt.

Druck bekam Wöller aber inzwischen auch aus dem Landtag und den Regierungsfraktionen. Am Mittwoch, 24. Juni, musste er gemeinsam mit dem Landespolizeipräsidenten den Innenausschuss des Sächsischen Landtages über den Sachstand zum illegalen Verkauf von Asservaten bei der Polizeidirektion Leipzig informieren. Auch Generalstaatsanwalt Hans Strobl stand dem Ausschuss zum Stand des Ermittlungsverfahrens Rede und Antwort. Die Polizei hatte die Ermittlungen in eigener Sache schon frühzeitig an den Staatsanwalt abgegeben.

Innenminister Roland Wöller. Foto: SMI/C. Reichelt
Innenminister Roland Wöller. Foto: SMI/C. Reichelt

„Ich begrüße, dass der Generalstaatsanwalt den Innenausschuss über den Stand der strafrechtlichen Ermittlungen informiert hat. Es geht um umfassende Aufklärung des Falles, Ermittlung der Täter und deren Bestrafung. Die im Raum stehenden Straftaten sind geeignet, das Vertrauen in die gesamte Polizei zu erschüttern. Mein Ziel ist, Schaden von der sächsischen Polizei abzuwenden“, lässt sich Wöller zitieren und kündigte gegenüber den Abgeordneten weitere Maßnahmen außerhalb des von der Staatsanwaltschaft geführten Strafverfahrens zur umfassenden Aufarbeitung und Aufklärung an.

Im Rahmen einer breit angelegten Innenrevision in der Polizeidirektion Leipzig soll insbesondere der Umgang mit sichergestellten und beschlagnahmten Gegenständen und deren Verwertung kritisch hinterfragt werden.

„Ich habe eine umfassende Untersuchung innerhalb der Polizeidirektion Leipzig angeordnet. Auch weil die Vorgänge bis in das Jahr 2015 zurückreichen. Die Leitung dieser Überprüfung wird der ehemalige Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann übernehmen“, kündigte Wöller an.

„Er ist unabhängig und erfahren und hat für seine Untersuchung freie Hand. Mein Ziel ist es, mögliche Unzulänglichkeiten und Schwachstellen im System rasch aufzuspüren und zu beseitigen sowie die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Wir brauchen eine ordnungsgemäß arbeitende Polizei, der man vertrauen kann.“

Ab dem 25. Juni schaltet die Polizeidirektion Leipzig zudem eine Anti-Korruptions-Hotline zusätzlich zum eingerichteten Anti-Korruptions-Beauftragten. Hierhin können sich Bürger, aber auch Behördenmitarbeiter sowie Polizeibeamte vertraulich wenden, wenn sie einen Korruptionsverdacht hegen. Die entsprechenden Vorgänge und Anzeigen werden vom Anti-Korruptions-Beauftragten und der Staatsanwaltschaft geprüft.

Die neue Anti-Korruptionshotline der Polizeidirektion Leipzig ist erreichbar unter der Nummer: (0341) 96644444.

Kerstin Köditz (Die Linke): Wöller nimmt den Fahrradgate-Korruptionsskandal erst ernst, seitdem er schlechte Presse bekommt

Nach der Sondersitzung des Innenausschusses zum „Fahrradgate“-Korruptionsskandal bei der Leipziger Polizei und zum Krisenmanagement von Innenminister Roland Wöller erklärte die für Innenpolitik zuständige Abgeordnete der Linksfraktion, Kerstin Köditz, am Mittwoch: „Der Innenminister hat mehrfach betont, dass er erst seit Januar von den Ermittlungen wisse. Das muss ich aus heutiger Sicht hinnehmen. Es bleibt aber befremdlich, dass es so lange gedauert hat, bis der Landespolizeipräsident ihn informierte. Denn der wusste schon ein halbes Jahr vorher von dem Verdacht. Der Minister hat seinen Laden nicht im Griff: Entweder ist die heikle Information tatsächlich erst spät bei ihm gelandet, oder er hatte sie und heftete sie als unwichtig ab.“

Der Innenminister nehme den Korruptionsskandal offensichtlich erst seit der aktuellen Berichterstattung ernst, so Köditz: „Die Ermittlungen ziehen sich schon seit einem Jahr hin – im Landeskriminalamt waren bis vor kurzem nur zwei Bedienstete damit befasst! Nun hat man auf acht aufgestockt. Herr Wöller muss zum Jagen getragen werden und misst den Korruptionsfällen erst jetzt eine angemessene Bedeutung bei, wo schlechte Presse ihn dazu zwingt. Ich habe ihn noch nie für eine gute Besetzung gehalten und sehe mich erneut darin bestärkt.“

Derweil aber stieg die Zahl der Beschuldigten, auch die Staatsanwaltschaft Leipzig und das Landeskriminalamt sind betroffen. „Ich halte das Argument, wegen der Verdunklungsgefahr hätte bisher überhaupt nicht öffentlich informiert werden können, für vorgeschoben“, findet die Landtagsabgeordnete der Linken. „Solche internen Ermittlungen schweigen sich innerhalb der Polizei sowieso herum. Wöller versucht sich hinter der Staatsanwaltschaft zu verstecken. Sachsens Medien kritisieren zu Recht seine unsouveräne Informationspolitik – bisheriger Tiefpunkt war eine Pressekonferenz, zu der er äußerst kurzfristig einladen ließ, um dann nichts mitzuteilen und kritische Nachfragen aus der Videoaufzeichnung herausschneiden zu lassen. Was sagt eigentlich der Ministerpräsident zu alledem?“

Albrecht Pallas (SPD): Wir sehen weiter Aufklärungsbedarf

„Nach wie vor sind viele Fragen rund um den mutmaßlichen Korruptionsskandal bei der Leipziger Polizei offen“, sagte Albrecht Pallas, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, nach der Sondersitzung des Innenausschusses.

„Wir haben eine sehr ernst zu nehmende Situation allein schon durch den Korruptionsskandal. Dieser Schaden ist durch das Schweigen der Behörden noch größer geworden. Das verloren gegangene Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger kann jetzt nur durch größtmögliche Transparenz wiederhergestellt werden. Ich habe deshalb dem Generalstaatsanwalt empfohlen, die Öffentlichkeit umfassend zu informieren.“

Pallas gibt sich optimistisch: „Ich begrüße, dass der Innenminister nun die Arbeitsweise der Polizeidirektion Leipzig von einem Sachverständigen untersuchen lässt. Davon kann die ganze Polizei profitieren. Die Ergebnisse sollten deshalb Maßstab auch für alle anderen Dienststellen sein. Für das Ansehen der Polizei und zum Schutz der überwiegenden rechtstreuen Mehrheit der Beamten ist es wichtig, schwarze Schafe in den eigenen Reihen zu identifizieren und Korruption zu verhindern.“

Valentin Lippmann (Grüne): Es wäre richtig gewesen, die Öffentlichkeit frühzeitig und proaktiv zu informieren.

„Die auf Antrag der Koalition durchgeführte Sondersitzung des Innenausschusses war angesichts des umfangreichen korrupten Netzwerkes in der Polizei wichtig. Ich muss konstatieren, dass man offenbar die Brisanz dieses Ermittlungsverfahrens innerhalb der Polizei und im Innenministerium zu lange unterschätzt hat. Anders kann ich mir nicht erklären, dass der Innenminister erst im Januar davon unterrichtet wurde“, sagte Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, am Mittwoch.

„Ich bleibe dabei: Es wäre richtig gewesen, die Öffentlichkeit frühzeitig und proaktiv zu informieren. Dass dies nicht geschehen ist, hat zu einem gewissen Vertrauensverlust in die Informationsabläufe innerhalb des Innenministeriums geführt. Auch wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen leitet und über die Öffentlichkeitsarbeit entscheidet, wäre es gut gewesen, wenn sich die Polizeiführung mit Nachdruck für die Information der Öffentlichkeit eingesetzt hätte. Um Vertrauen zurückzugewinnen, braucht es jetzt größtmögliche Transparenz bei den weiteren Ermittlungen und Maßnahmen.“

Auch er begrüßte die Einsetzung eines Externen zur Aufklärung der Vorgänge. „Das ist aber aus unserer Sicht noch nicht ausreichend. Bei der sächsischen Polizei müssen jetzt alle korruptionsanfälligen Arbeitsbereiche, wie beispielsweise die Asservatenverwaltung, umfassend überprüft und konkrete Maßnahmen zur Korruptionsprävention getroffen werden“, betont Lippmann.

„Ebenso braucht es weitere Maßnahmen zur Korruptionsprävention im Freistaat Sachsen. Im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1937 (Whistleblowerschutz) in Sachsen sollte aus Sicht der Bündnisgrünen ähnlich wie in Baden-Württemberg eine Vertrauensanwältin oder ein Vertrauensanwalt für Korruptionsstraftaten, die oder der Meldungen entgegennehmen kann, diskutiert werden.“

Freitag, der 19. Juni 2020: Trotz kurzfristiger PK kaum neue Infos zum „Fahrradgate“

Freitag, der 19. Juni 2020: Trotz kurzfristiger PK kaum neue Infos zum „Fahrradgate“

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