Nicht nur die Grünen waren besorgt. Erst 2016 hatte die Nachricht geschockt, dass Leipzig bis 2030 möglicherweise auf 720.000 Einwohner anwachsen könnte. Das jedenfalls hatte die Bevölkerungsprognose des Amtes für Statistik und Wahlen ergeben. Doch seit Anfang 2018 ist klar: Das gewaltige Zuwachstempo der letzten drei, vier Jahre setzt sich nicht fort. Die Sorge der Grünen: Dann passen ja alle städtischen Planungen nicht mehr. Was macht die Verwaltung?

Oder mit den Worten der Grünen-Fraktion: „Seitdem die Bevölkerungsvorausschätzung 2016 vorgelegt und die mittlere Variante als Hauptvariante und Planungsprämisse beschlossen wurde hinkt die tatsächliche Bevölkerungsentwicklung der Vorausschätzung hinterher. Während in der Hauptvariante für 2017 von einem Wachstum von ca. 14.000 Einwohner*innen ausgegangen wurde, waren es tatsächlich „nur“ rund 8.000 Einwohner*innen mehr als Ende 2016. Im ersten Quartal 2018 waren es im Saldo nur noch rund 500 Einwohner*innen mehr. Damit ist absehbar, dass auch in 2018 die prognostizierten 12.600 Einwohner*innen zusätzlich kaum erreicht werden können.“

Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning hat darauf jetzt selbst geantwortet. Man hat sehr wohl registriert, dass es die rasende Entwicklung dieser Art erst einmal nicht gibt. Und ein paar Ursachen für die Abweichungen hat man auch schon entdeckt. Sondereffekte haben die Rechnung so deutlich abweichen lassen.

Aber das ist schon deshalb nicht ganz so dramatisch, weil die Zahlen jedes Jahr wieder neu angeschaut werden – zum Beispiel, um Kita- und Schulbauten zu planen. Und da ist Leipzig ja berühmt dafür, dass immer nur knapp auf Unterkante geplant wird. Mehr ist ja auch nicht drin. Die Gefahr, dass Leipzig von allem nun zu viel bauen könnte, besteht auch aus Hörnings Sicht nicht: „Das Amt für Statistik und Wahlen evaluiert die Bevölkerungsprognosen jährlich und berichtet darüber in den Statistischen Quartalsberichten. Die aktuelle Überschätzung der Bevölkerungsentwicklung ist somit bekannt, auch über die Gründe der Abweichung – z.B. deutlich schnellere Abnahme der Flüchtlingszuwanderung oder umfangreiche Registerbereinigungen im Jahr 2016 – wurde berichtet.“

Und im Detail: „Aufgrund der hohen Anforderungen an treffsichere Prognosen werden seit einiger Zeit für das Amt für Jugend, Familie und Bildung auch Updates berechnet. Diese basieren auf neuen, tatsächlichen Bevölkerungsständen, wie zuletzt der Stand zum 31.12.2017. Diese Updates bedienen sich für die unsicheren Einflussgrößen wie zum Beispiel ‚Wanderungen‘ oder ‚Fertilität‘ jedoch der Eckwerte der jeweils letzten Prognose. Die Updates dienen nur verwaltungsinternen Informationszwecken und werden nicht veröffentlicht.“

Aber auch bei der Geburtenrate hat man ja nun ab 2016 feststellen können, dass es keineswegs weiter munter hinaufgeht mit den Geburten je Frau. Der aktuelle Quartalsbericht erzählt ja davon.

Und weil der Bevölkerungszuwachs schon 2017 hinter den Prognosen zurückblieb, sah sich die Stadt gezwungen, gleich die nächste Hochrechnung zu beauftragen. Hörning: „Aufgrund der deutlichen Abweichung wurde bereits mit Schreiben vom 08.06.2018 ein neuer Arbeitskreis Bevölkerungsvorausschätzung einberufen, zu dem auch die Fraktionen des Stadtrates eingeladen sind. Die erste Sitzung fand am 17.08.2018 statt.“

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat für die Teilnahme am Arbeitskreis dann auch ihren Vorsitzenden Norman Volger angemeldet, in der Sitzung am 17. August wurde er durch Michael Schmidt vertreten.

Aber die Frage bleibt ja doch: Gibt es Planungsbereiche der Stadt, die nun von der veränderten Prognose stärker betroffen sind, wo also auch der Stadtrat reagieren müsste?

„Naturgemäß sind die planenden Ämter der Dezernate V und VI am ehesten betroffen, wobei das im Moment geringere Bevölkerungswachstum noch nicht zu Veränderungen in Planungen und Zielstellungen führt“, erklärt Ulrich Hörning. „Sowohl beim INSEK als auch bei vertiefenden gesamtstädtischen Planungen im Bereich der Verkehrsentwicklung, Zentrenentwicklung sowie Wohn- und Gewerbeflächenvorsorge hat das aktuell geringere Einwohnerwachstum keine kurzfristigen direkten Auswirkungen, da sich die Konzepte an der langfristig zu erwartenden Nachfrage orientieren.“

Denn zum Stillstand gekommen ist der Zuwachs ja nicht, er hat sich nur erst einmal spürbar verringert. Wobei die durchaus spannende Frage sein wird: in welcher Größenordnung eigentlich? Werden jetzt 8.000 zusätzliche Einwohner pro Jahr der Durchschnitt? Oder sinkt die Zahl noch weiter ab, wie die ersten Zahlen aus dem Jahr 2018 vermuten lassen?

„Es gilt planerisch auf ein langfristiges Bevölkerungswachstum vorbereitet zu sein, auch wenn sich der kurzfristige Handlungsdruck ggf. in einigen Bereichen entspannen sollte“, meint Ulrich Hörning. „Ausdrücklich erwähnt sei, dass die gegenwärtige Einwohnerentwicklung nicht zu Änderungen bei der Kita- und Schulplanung führt, alle gegenwärtig geplanten Maßnahmen zum Ausbau des Netzes müssen umgesetzt werden. Hier sei auf die weiter steigenden Geburtenzahlen verwiesen. Im Jahr 2016 wurden 6.873 Kinder geboren, im Jahr 2017 waren es insgesamt 6.976 Geburten. Im Jahr 2018 gab es bis Ende Juli 4.025 Geburten, 27 mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum.“

Und wann bekommt Leipzig nun seine neue Bevölkerungsprognose?

Erst 2019, kündigt der Verwaltungsbürgermeister an.

„Die Berechnung soll aus heutiger Sicht mit den Jahresendzahlen 2018 erfolgen“, betont er. „Die Ergebnisse werden mit externen Experten anschließend diskutiert und festgelegt. Mit der Veröffentlichung des Berichts zur Bevölkerungsvorausschätzung ist im Frühjahr 2019 zu rechnen.“

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