Die Sorben - sie leben unter uns. Sie stellen derzeit sogar den sächsischen Ministerpräsidenten. Doch immer wieder bedrohen Sparmaßnahmen auch ihre Heimat - von den Braunkohlebaggern ganz zu schweigen. Zeit also, mal ein richtig parteiisches Buch für das kleine, tapfere Völkchen in der Lausitz zu schreiben. Bevor es den Römern unterliegt.

Der Titel ist schon eine literarische Anspielung. Eine, wie Buchmann sie liebt, der sich auch als Schriftsteller vehement für bedrohte Sprachen und Kulturen engagiert. Davon gibt es auch in Europa einige. Und die sind zwar zumeist durch allerlei Gesetze und politische Statements geschützt – werden aber trotzdem immer wieder bedroht von den mählich mahlenden Mühlen der Finanzpolitik. Früher, da gingen die neuen Herrscher mit Schwert und Flamme gegen die unbotmäßigen Minderheiten vor. In Ortsnamen in Sachsen ist noch lebendig, wie sehr diese Landschaft bis zur Christianisierung und der staatlichen Einordnung in das deutsche Herrschaftsgebiet von den sorbischen Stämmen geprägt war. Noch Friedrich der Große wusste zumindest, dass die Kulturlandschaften im heute deutschen Osten durch die diversen slawischen Stämme geprägt und vorbereitet waren, die dann zunehmend germanisiert wurden. Ihre Kultur und ihre Sprache wurden verdrängt und überlebten nur in der Lausitz.Sie überlebten auch die Machtspiele der preußischen und sächsischen Fürsten und Könige. Doch seit über 100 Jahren wird ihre Heimat aufgefressen. Über 130 sorbische Dörfer mussten der Braunkohle weichen, wie es so euphemistisch heißt. Mit ihnen ging nicht nur Heimat verloren – mit ihnen gingen auch die Strukturen verloren, innerhalb derer sorbische Sprache und Kultur überleben konnten. Und während Politiker vollmundig redeten von der schützenswerten Kultur, setzten sie trotzdem bei Schul- und Verwaltungspolitik bis heute auf den Faktor Geld. Denn: Minderheiten rechnen sich nicht. Nicht in einer Welt, in der die Abgehobenen nur noch in Milliarden und Billionen rechnen.

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Immer wieder standen in den letzten Jahren auch sorbische Schulen auf der Schließungsliste, obwohl für sie Ausnahmeregelungen gesetzlich verankert sind. Mit dem aktuell diskutierten “Standortegesetz” stand auf einmal – ohne Not – das Landgericht Bautzen zur Disposition. Wenigstens das wurde in dieser Woche noch haarscharf abgewendet.

In der auf niedersorbisch erscheinenden Zeitung “Nowy Casnik” (“Neue Zeitung”) hat der in Werther (Westfalen) lebende Philologe, Philosoph und Schriftsteller Jürgen Buchmann jene Satiren veröffentlicht, die im ersten Teil des Bändchens, “Von Wenden und Deutschen”, gesammelt sind – Texte über das mühsame Bewahren einer Kultur innerhalb einer dominierenden Kultur, die sich bis heute auch gern als “Leitkultur” versteht – und zumindest von Amts wegen genauso handelt. Ausnahmen von der deutschen Regel ziehen bürokratische Papierkriege nach sich. Und selbst bei der Schaffung sorbischer Kindergärten wird das Sparargument benutzt, um zu gängeln und zu verhindern.

Kein Wunder, dass sich Sorben mittlerweile als störende Bittsteller begreifen, wenn wieder einmal ein Teil ihrer Kultur zum Opfer auf dem Alter der Finanzwirtschaft werden soll. Als Exoten dürfen sie bleiben, Gurken dürfen sie auch anbauen, Gurken sind nicht gefährlich – aber Leute, die auf einmal Ausländisch palavern, wenn man in Bautzen am Bockwurststand steht, die sind gefährlich.Minderheiten sind auch eine Projektionsfläche für die oft großmäulig gelebten Ideale einer Gesellschaft, die im Ernstfall die Panik bekommt. Und so erscheinen die Wenden bei Buchmann als kleiner, gar nicht einmal rebellischer Volksstamm, der mit Beharrlichkeit darum kämpft, wenigstens ein Stück seiner Lebensart zu bewahren. Im zweiten Teil, “Kleine wendische Bibliothek” betitelt, schreibt Buchmann Rezensionen zu fiktiven sorbischen Autoren und ihren (wiederentdeckten) Werken. Er liebt dieses Spiel mit den apokryphen Überlieferungen ja. Auch wenn es die Lausitzer eigentlich nicht nötig haben, denn bis heute bringt diese poetische Landschaft großartige Autoren hervor. Ein Teil der Texte wirkt wie eine launige Korrespondenz von Jürgen Buchmann mit dem sorbischen Dichter Kito Lorenc.

Und selbst wenn man kein Sorbe von Geburt ist, hat man so beim Lesen das Gefühl, das Problem der Wenden, Gallier und Waliser ist ein Problem aller Minderheiten in heutigen Mehrheits-Gesellschaften. Ihre Existenz wird als störend und zu teuer wahrgenommen. Sie erinnern auf dickköpfige Weise daran, dass auch die heutigen Nationen nicht monolithisch sind, sondern komplexe Gebilde, die ohne diese Vielfalt gar nicht funktionieren würden. Sie sind ein Stachel im Fleisch der Vorurteile und mehrheitlichen Bräsigkeiten. Und sie fordern Menschen zur geistigen Auseinandersetzung heraus, die so gern alle ganz einfach und einheitlich hätten. Was bei diesen Leuten logischerweise zu Ungemütlichkeiten führt.

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Encheiridion Vandalicum
Jürgen Buchmann, Reinecke & Voß 2012, 10,00 Euro

Ein Büchlein also, dass nicht nur seine Freude daran hat, dem kleinen tapferen Völkchen da in der Lausitz mit satirischer Feder zur Seite zu springen, sondern das auch anregt darüber nachzudenken, was verloren geht, wenn man die Welt den Schaufelradbaggern und Finanzministern überlässt. Wahrscheinlich eine große, leere Wüste ohne Geschichte, ohne Stolperstein – dafür mit großen, ahnungslosen Tagebauseen, die man dann mit gewaltigem Marketing-Aufwand irgendwie beleben will.

Mit dem Titel “Encheiridion Vandalicum” spielt Buchmann dann wieder auf ein echtes Werk der sorbischen (National-)Literatur an. Und mahnt auch hier ein wenig, ein ganzes Stück Literaturgeschichte nicht einfach wegzublenden, bloß weil’s keine deutsche ist. Eben, weil’s auch eine deutsche ist.

Die Verlagsseite: www.reinecke-voss.de

Die niedersorbische “Neue Zeitung”: www.nowycasnik.de

Über sorbische Schulschließungen: www.sorben.org

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