Die moderne Bücherwelt scheint sich zu verändern. E-Books machen von sich reden, Verlage bieten ihre Titel auf Papier und im elektronischen Format an. Es gibt auch Verlagsgründungen, die setzen gleich aufs E-Format. Wie die Holtzbrinck-Tochter epubli, wo Thomas Christian seinen Polit-Thriller "Die keine Grenzen kennen" veröffentlicht hat. Erster Teil.

Trotzdem verdient dieser Thriller einen festen Umschlag und ein deutlich besseres Cover. Er gehört auf die Stapeltische, auf denen für gewöhnlich die neuen Bücher von Frank Schätzing, Donna Leon oder John Grisham liegen. Auch wenn Thomas Christian noch ein eher Unbekannter ist. 1961 geboren, nach Verlagsangaben zuletzt “President and General Manager” in einem US-Konzern, seit 2006 im Ausland lebend.

Aber in “Die keine Grenzen kennen” macht der die jüngere deutsche Geschichte zum Handlungsfeld. Vorangestellt hat er dem Buch diese Widmung: “Dieser Roman ist all denjenigen gewidmet, die von 1986 bis heute gewaltsam ihr Leben verloren, weil sie der Gier weniger Mächtiger in Politik und Wirtschaft im Wege standen. Nicht in irgendeinem Schurkenstaat, sondern in der Bundesrepublik Deutschland.”

Denn hinter der scheinbaren Piefigkeit der Bundesrepublik und der hingeschiedenen DDR steckten – man sollte Shakespeare wohl ernst nehmen – die alten Triebkräfte, die Politik seit Jahrtausenden bestimmen. Und die stärksten sind bis heute nicht Freiheit und Gerechtigkeit. Das sind die schönen Verpackungen für Leute, die immer noch glauben, man käme mit einem guten Herzen und einem fairen Verständnis von Gesellschaft in die höchsten Ämter oder gar zu Geld. Und die besser recherchierten Geschichten über die DDR, die Stasi und den KGB belegen es auch im Sachbuchbereich, dass auch die rote Farbe damals nichts anderes war als der schöne Schein fürs Volk. Hinter den Kulissen wurden unheilige Pakte geschlossen, wurden Intrigen gesteuert, wurden Politiker und Funktionäre gekauft – ein Thema, von dem die “Rosenholz-Dateien” so einiges erzählen. Natürlich kommt das Stichwort “rosenholz” bei Christian auch vor.

Seine Geschichte taucht tief hinein in die deutsch-deutsch-russischen Beziehungen in den 1980er Jahren. Auch das Jahr 1986 nennt er nicht ohne Grund. Es ist das Jahr, in dem die Stasi begann, erste Überlebensszenarien zu entwickeln – nicht, weil sie mit der deutschen Einheit rechnete, sondern weil sie sich durch die von Michail Gorbatschow ausgelösten Veränderungen in ihrer Zukunft bedroht sah.

In dieser Zeit pflegten so genannte OibE, Geheimdienstoffiziere im besonderen Einsatz, längst engste Beziehungen zu Partnern im Westen, auch zu Geschäftspartnern. Beispielhaft das seltsame Firmenimperium des Alexander Schalck-Golodkowski, der viel schneller am schönen Tegernsee ein ruhiges Plätzchen fand, als die meisten DDR-Bürger überhaupt begriffen, wer sie eigentlich die ganze Zeit regiert hatte.In Christians Geschichte verschmelzen die alten Netzwerke mit den neuen. Denn als die Einheit 1990 aktuell wurde, hatten eine Menge Leute in Ost wie West etwas zu gewinnen und zu verlieren. Und der Gedanke, dass die Dunkelmänner aus dem Osten in einigen machtgeilen Politikern und mächtigen Managern aus dem Westen ideale Partner für millionenschwere dunkle Geschäfte fanden, liegt so weit ab nicht.

So fädelt Christian seine Geschichte natürlich nicht auf. Alles beginnt mit dem Mord an dem Kaufmann Lutz Schulenburg, dessen Leiche der Rechtsanwalt Dirk Braaf in dessen Wohnung findet. Und ein kleines Päckchen, das Schulenburg bei seinem Freund Braaf hinterlegt hat, bringt diesen auf die Spur einer Geschichte, die bis in die 1980er Jahre hineinreicht und ein Komplott sichtbar macht, in dem alte Stasi-Offiziere, KGB-Leute und ein paar westdeutsche Kompagnons Pläne schmieden, das Vermögen von SED und DDR-Staatsapparat irgendwie in die Marktwirtschaft hinüber zu retten – und sich selbst einen dicken Happen davon zu reservieren. Ein obskures Konto in Luxemburg spielt eine Rolle, ein späterer russischer Präsident und ein 1991 wiedergewählter westdeutscher Spitzenpolitiker.

Braaf arbeitet sich in die Tagebücher und Dokumente seines ermordeten Freundes hinein und bekommt zu spät mit, dass er dabei selbst ins Visier einiger der Mitverschworenen gerät. Denn natürlich ging es bei den alten Kumpaneien um finstere Geschäfte, bei denen auch der ein oder andere Großkonzern eine Rolle spielt. Und es ging vor allem um gegenwärtige Macht. Und das große, rücksichtslose Spiel um die Macht spielen nicht nur ehemalige KGB-Agenten.

Ob sie dabei mit einem machtversessenen westdeutschen Politiker derart eng verbandelt waren, wie bei Christian dargestellt, muss offen bleiben. Aber einige Ereignisse aus den frühen 1990er Jahren heizen natürlich Verschwörungstheorien geradezu an. Zu denen gehört der Mord an Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder 1991, zu dem unverhofft ein RAF-Bekennerschreiben auftauchte. Und nicht nur der “Spiegel” spekulierte 1994 darüber, welche Verbindungen es von diesem Mord zum ehemaligen RAF-Mann Wolfgang Grams gibt, der bei einem missglückten GSG-9-Zugriff am 24. Juni 1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen unter obskuren Umständen zu Tode kam.Die jüngere deutsche Zeitgeschichte bietet genug Stoff für so manchen Thriller, der sich der möglichen Wirklichkeit so annähert, wie es Thomas Christian mit diesem Buch tut. Die Personen der Zeitgeschichte, die er auftreten lässt, lässt er hinter Kürzeln und Umschreibungen verschwinden. “Die Handlung ist fiktiv, wo sie nicht nachweislich der Wahrheit entspricht. Das gilt vor allem für das Handeln der Personen der Zeitgeschichte”, schreibt er extra zur Einführung. Damit ja keiner etwas Falsches vermutet.

Der Held seiner Geschichte überlebt, weiß aber auch genau, dass er eigentlich mittendrin steckt in der alten Geschichte, die seinen Jugendfreund und seine Freundin das Leben gekostet hat. Und dass er eigentlich niemandem mehr trauen kann.

Bleibt trotzdem schade, dass das Buch nur als E-Buch da ist. Da sollte sich doch ein Verlag finden, der den Mumm hat, den Thriller in einen ordentlichen Einband zu packen.

Und was hat das mit Leipzig zu tun? – “Ohne Leipzig hätte es die Wiedervereinigung so nie gegeben und damit auch nicht den Inhalt des Thrillers, wie er jetzt ist. Leipzig und das Buch sind somit verbunden”, meint Thomas Christian. Und auch aus Leipzig wird es ein durchaus spannendes Treuhand-Archiv geben, in das 30 Jahre lang niemand hineinschauen darf. Denn da könnte so manches zu finden sein – auch über ein paar der Gründe, die zum Mordanschlag auf Detlef Karsten Rohwedder geführt haben. Und in Folge zum seltsamen Tod des Wolfgang Grams und des GSG-9-Beamten Michael Newrzella in Bad Kleinen.

Thomas Christian schreibt schon am Folgeband seines Polit-Thrillers.

Thomas Christian: “Die keine Grenzen kennen”, epubli, Berlin 2012, 8,49 Euro
http://thomas-christian.blog.de
http://www.epubli.de/shop/autor/Thomas-Christian/3523
www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,134242,00.htm

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