Kann man in Stralsund Urlaub machen? Lohnt sich ein Besuch für einen Tag? Immerhin ist die Altstadt ja so kompakt und übersichtlich wie die Leipziger. Sogar als UNESCO-Weltkulturerbe geschützt. Hier hat sich der Glanz einer der wichtigsten Hanse-Städte bis heute erhalten. Markenzeichen: Giebelhäuser.

Hier sind sie noch zu besichtigen. Man staunt, was eine simple Bauverordnung so alles anrichten kann. In Städten wie Leipzig hat man sich immer emsigst um die Traufhöhe gekümmert. Man dämmte die Prunksucht der Bürger damit ein, dass man sie alle aufs selbe Maximalmaß zwang. In Stralsund hat man’s anders gemacht. Da galt als Pflicht, das Haus mit Giebel zur Straße zu bauen. Was auch mit der Nutzung der Häuser zu tun hatte: Sie waren meist auch Lagerhäuser, hatten in der Mitte eine Einfahrt, drinnen einen hölzernen Hausbaum – da konnten die Waren, die im Hafen anlandeten, gleich auf den Boden gezogen werden. Und zwar unabhängig von Wetterunbilden, von Sturm und Regen. Man lebt ja am Meer.Und der Spaziergänger lernt wieder was. Übers Meer sowieso, denn nicht nur der alte Hafen am Strelasund kann ohne “Halt! Wer da?” besichtigt werden, seit er in den 1990er Jahren entmilitarisiert wurde, am Hafen steht seit 2008 auch das “Ozeanum” als Außenstelle des Stralsunder Meeresmuseums, in dem die lebendige Unter- und Überwasserwelt der Meere erlebt werden kann. Samt Pinguinen auf dem Dach. Nicht die einzige schöne Aussicht über die Backsteinstadt und das Meer.

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Im Hafen schaukelt auch die 1930 gebaute “Gorch Fock”, die erste ihres Namens, 1944 von den panisch gewordenen Kriegsmachern versenkt, danach gehoben und als Schulschiff den sowjetischen Freunden vermacht. Jüngst von Segelschifffreunden wieder zurückerworben und aufgerüstet. Das Schiff, das den Namen des so gern missbrauchten Dichters Gorch Fock trägt, soll demnächst wieder Segelerlaubnis bekommen. Zumindest für die Ostsee. Wer so alte Stadt-Kleinode besucht, findet natürlich zuallererst Geschichte. Was mit dem Punkt 1 des Rundgangs beginnt am Knieperwall und der alten Stadtmauer aus Backstein, die einst Wallenstein nicht überwinden konnte. Darauf sind die Stralsunder bis heute stolz. Ein Stück dieser hübschen Mauer ist erhalten, zwei der wuchtigen Tore. Und hinter der Mauer die Straßenzüge, in denen manches Giebelhaus schon mit wuchtigen Mauerstützen zeigt, dass es aus dem Spätmittelalter stammt, als die Bauherren der Statik noch nicht so recht trauten.

Weil die Zeit der Hanse, in der Stralsund eine der Hauptrollen gespielt hatte, aber mit dem Ausbruch der Globalisierung ab 1497 zu Ende ging, blieb in Stralsund Vieles aus dieser Zeit erhalten. Es gab nicht – wie andernorts – den weiteren Drang, noch größer und prächtiger zu bauen. Im 30jährigen Krieg kamen die Schweden, halfen Wallenstein zu vertreiben und blieben bis 1815 da, länger, als sie es in Leipzig wagten. Auch so etwas prägt. Die einstige schwedische Kommandantur gehört heute wieder zu den Schönheiten der Stadt. Hübsch restauriert.

Dafür wird ein anderes Sanierungsprojekt einfach nicht fertig – die Nikolaikirche, die gewaltige, wuchtige Kaufmannskirche, die am Markt alles überragt. 1662 brannten die gotischen Turmspitzen ab. Nur den Südturm bauten die Stralsunder wieder mit Haube auf. Der Nordturm hat seit 350 Jahren ein Notdach. So lange können Provisorien halten.Wen das umhaut, dem seien die versteckten Schönheiten empfohlen. Beginnend oder endend bei der kleinen Kneipe “Zur Fähre”, 1332 erstmals erwähnt und damit eine der ältesten Kneipen Europas. Selbst das einstige Scharfrichterhaus steht noch. Und für Leipziger wohl unbegreiflich: das, was von drei Klöstern übrig blieb. Vom Johanniskloster immerhin beeindruckende Reste. Im Heilgeistkloster, das sogar ein weltliches Kloster war zur Aufnahme bedürftiger Reisender, kann man heute noch wohnen. Und im Katharinenkloster sind sowohl das Kulturhistorische Museum als auch das Meeresmuseum untergekommen. Letzteres seit 1973 mit beeindruckendem fliegenden Walskelett. Hier spätestens erfährt der neugierige Besucher, dass es nicht nur das “Ozeaneum” am Hafen als Außenstelle gibt, sondern auch noch das “Natureum” und das “Nautineum”.

Da wird man dann wohl doch ein Zimmer im Hotel suchen müssen, wenn man so viel Meereskunde tatsächlich mitnehmen will. Das ist mit einem Tag nicht getan. Außerdem ist auch Rügen nicht weit. Seit 2007 führt neben dem Rügendamm, auf dem seit 1937 die Züge auf die Insel fahren, auch die Rügenbrücke hinüber. Für alle, die mit dem Auto durch die Gegend tuckern.

Wie der Autor dieses Ein-Tag-Rundgangs, der sein Mobil im Parkhaus “Am Meeresmuseum” abgestellt hat, bevor er sich hinter die Ziegelmauer traute. Das frühe 21. Jahrhundert wird man auf Fotos dereinst leicht daran erkennen, dass auf allen Straßen und Plätzen Herden abgestellter Automobile zu sehen sind, die die Sicht verstellen, den Platz sowieso. In Stralsund sogar einen ganzen Marktplatz, den Neuen Markt.

Ansonsten fragt der Reisende auch gern: Wer ist denn nun wichtig? Wer ist berühmt? – Gustav Adolf und Olof Palme natürlich, die beiden Schweden, die tatsächlich mal da waren. Ferdinand von Schill, der 1809 einfach nicht aushielt, dass die Preußen nicht gegen Napoleon kämpfen wollten. In den Straßen Stralsunds wurde er von den Franzosen niedergemacht. Georg Wertheim begegnet dem Spaziergänger unverhofft – einer der Schöpfer der einst beeindruckenden Wertheim-Kaufhäuser. Das Stralsunder Kaufhaus steht noch.

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Stralsund an einem Tag
Michael Schulze, Lehmstedt Verlag 2012, 4,95 Euro

Carl Wilhelm Scheele darf man kennen – er war einer der Chemiker, die die Zusammensetzung des Sauerstoffs herausfanden. Ernst Moritz Arndt begegnet einem und Hermann Burmeister, der als Freund und Begleiter Alexander von Humboldts immer in dessen Schatten blieb. Und der Bismarck-Hering, eine echte Stralsunder Erfindung, zu der Bismarck höchst gnädiglich seinen Namen hergab.

Der Bismarck-Hering hat sogar eine richtige Adresse: Heilgeiststraße 10, Fischhandel Rasmus. Da kann man sich mit dem Original versorgen, bevor man wieder wehmütig Abschied nimmt vom Meer.

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