Es ist eigentlich eine sehr heutige Geschichte, die die Historikerin Ines Elsner in dieser Schrift für den Torgauer Geschichtsverein aufblättert, auch wenn Städte in Sachsen heute ihrem Landesherrn nicht mehr huldigen müssen. Hoppla. Autsch. Doch. Müssen sie.

Manchmal braucht es ein Stück Forschung aus feudalen Zeiten, damit wir ein Stück unserer eigenen feudalen Wirklichkeit sehen und die ganz und gar nicht feinen Fäden der Macht, mit denen Städte in Sachsen ihrem Landesherrn untertänig sind. Selbstbestimmung sieht anders aus. Vielleicht sollten wir doch wieder huldigen?

Einfach deshalb, damit auch das auf dem Markt versammelte Volk sieht, wer im Staat das Geld und die Macht verwaltet. Und diese Macht auch ausnutzt, um den Städten im Land zu zeigen, wer hier eigentlich die Dukaten verteilt.

Die Zeiten, da sächsische Landesherren zumindest noch das Gefühl hatten, dass sie auf die Unterstützung ihrer Städte angewiesen waren, sind vorbei. Verschwunden in einer trockenen Bürokratie, die hierarchisch nur noch von oben nach unten denkt.

Eine zwischengeschaltete Landesbehörde sorgt dafür, dass die Städte der geplagten Regierung gar nicht erst auf den Keks gehen. So macht man Macht unsichtbar und lässt gegenseitige Abhängigkeiten hinter dem Vorhang verschwinden.

Da lohnt es sich schon, mit der Historikerin Ines Elsner ein Gebiet zu erkunden, das in der sächsischen Geschichtsforschung bisher recht unterbeleuchtet war: nämlich das der Huldigungen. Im speziellen Fall: der Huldigungen der Torgauer gegenüber den jeweils neuen Landesherren.

Denn wenn der alte Fürst gestorben war, trat der neue nicht einfach bedingungslos seine Nachfolge an. Dazu war sowohl den Fürsten als auch ihren Untertaten viel zu klar, dass Herrschaft zuallererst ein Rechtsverhältnis darstellt, bei dem nicht nur die Städte und Bürger dem Fürsten Gefolgschaft, Treue und Unterstützung schuldig waren, sondern der Fürst seinen Städten auch Schutz und die Gewähr von Privilegien, Freiheiten und Gewohnheiten schuldig war.

Macht-Ungleichgewichte

Es war ein fein austariertes Macht-Ungleichgewicht, in dem sich die Rolle der Städte durchaus verändern konnte und sie dem Landesherrn mehr Freiheit abtrotzen konnten. Aber auch das Ausschlagen zur anderen Seite war möglich und ist auch an den Torgauer Huldigungen gegenüber den Landesherren seit 1464 ablesbar.

Das ist der Zeitraum, der in den Archiven des Landes aktenkundig ist, in besonders gut dokumentierten Huldigungen oft sogar doppelt – in Torgau und in Weimar bzw. Dresden.

Aus der heutigen Sicht sieht es dann zwar immer so aus, als hätten die Räte der Städte sich einfach nur vor dem neuen Herrn tief verbeugen und am Ende froh sein müssen, wenn er so gnädig war, ihre alten Rechte zu bestätigen.

Aber Ines Elsner schildert anhand der verschiedenen Huldigungen, dass die Sache komplexer war, auch wenn jedes Mal der neue Landesherr im Mittelpunkt stand, mit großem Aufgebot um die Stadt ritt und dann in der Stadt feierlich empfangen wurde.

Und in fast alle Fällen fand dann die eigentliche Huldigung im Schloss Hartenfels statt, also am Ort des Landesherrn, nicht im Rathaus, wo die städtische Macht zu Hause war. Aber die Huldigungen unterschieden sich, kann Ines Elsner belegen.

Bis ins 17. Jahrhundert ist dabei durchaus zu konstatieren, dass auch die Stadt Torgau selbstbewusster wurde. Was nicht ganz selbstverständlich war, denn bis 1546 gehörte Torgau ja zum Kurfürstentum der Ernestiner, Hartenfels war von ihnen zur prächtigen Residenz ausgebaut worden.

Doch nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg wanderte nicht nur die Kurwürde zu den Albertinern, auch Torgau wurde nun Teil des albertinischen Sachsen und verlor seinen Status als Residenzstadt.

Was noch nicht bedeutete, dass Torgau in der Unsichtbarkeit verschwand. Im Gegenteil: Bis zur Huldigung für Johann Georg I. im Jahr 1611 erlangte Torgau eine gewisse Eigenständigkeit und konnte sie auch im Huldigungsakt dem Fürsten gegenüber selbstbewusster zeigen.

Doch das war dann tatsächlich schon der Höhepunkt Torgauer Autonomie. Der Dreißigjährige Krieg und das neue Machtverständnis der Wettiner im Barock bereiteten dem ein Ende. Die Huldigungen wurden prächtiger, aber die jeweilige Organisation macht deutlich, dass von Augenhöhe der Torgauer Ratsmitglieder mit dem glanzvollen Fürsten keine Rede mehr sein konnte.

Herrschaft sichtbar gemacht

Im 18. Jahrhundert fanden dann die klassischen Huldigungen auch irgendwie sang- und klanglos ein Ende. Und damit ein mittelalterliches Instrument, mit dem die Wettiner im Grunde jedes Mal zu ihrem Regierungsantritt die rechtliche Grundlage ihrer Herrschaft anschaulich für ihr Untertanen legten.

Dazu reisten sie vor allem in die großen und wichtigen Städte ihres Herrschaftsbereiches und nahmen dort nicht nur die Huldigung der Räte und der Bürger entgegen, sondern auch die der lokalen Ritterschaft und der Geistlichkeit.

So wurde nicht nur Macht für alle erlebbar und greifbar, sondern auch die Rechtsbasis dieser Macht. Alles organisiert in einem großartigen Schauspiel. Und die Städte überreichten dabei auch kostbare Geschenke, von denen einige heute noch im Grünen Gewölbe in Dresden zu besichtigen sind.

19 Huldigungen konnte Ines Elsner in den Aktenbeständen finden, manche geradezu detailliert beschrieben, sodass sich auch kleinste Veränderungen ausmachen lassen.

Vor allem in den Orten der Huldigungen. War bis 1592 allein Schloss Hartenfels Ort der Huldigung, so verlagerte sich ein Teil davon in den Folgejahren zunehmend auch in den städtischen Raum, was Elsner wohl zu Recht als eine zunehmende Souveränität der Stadt Torgau interpretiert.

Wobei es ja nicht nur den einen Huldigungsakt gab, sondern für jede huldigende Gruppe einen eigenen. Dazu noble Festessen mit klar abgestimmter Rangfolge. Alles schon im Vorfeld von der Kanzlei des Fürsten vorbereitet und ausgehandelt.

Hier fanden die wichtigsten Abstimmungen statt, konnten die Torgauer Räte ihre Stärke ausprobieren und ins offizielle Zeremoniell eingreifen.

So gesehen trifft Elsners These zu, dass die Huldigungen eben auch stets vom Machtungleichgewicht zwischen Landesherren und huldigenden Städten berichteten. Die tatsächliche Huldigung war dann im Grunde nur noch der Akt, der das besiegelte.

Die Privilegien und Rechte, die der Fürst der Stadt garantierte, wurden schriftlich fixiert. Alle wussten nun, auf welcher Grundlage sie miteinander klarkommen mussten. Für die Bürger der huldigenden Städte war es die Gelegenheit, die Inszenierung von Macht einmal selbst mitzuerleben.

Wenn Macht sich hinter Bürokratie versteckt

Mit ihrem Buch legt Ines Elsner erstmals eine ausführliche Untersuchung der Torgauer Huldigungen vor, beispielhaft für alle größeren Städte in Sachsen. Denn Ähnliches wurde auch in Leipzig zelebriert, das natürlich auch jedes Mal Station auf den Huldigungstouren der neuen Fürsten war.

Wobei der Aspekt nicht unwichtig ist, dass der neue Landesherr sich selbst auf die Reise machte, um in den großen Städten die Huldigung entgegenzunehmen. Womit er den Städten eben auch zeigte, wie wichtig sie ihm waren. Er ließ die Bürgermeister nicht einfach bei sich in der Hauptresidenz antanzen.

Und das gibt einem doch für die Gegenwart schon zu denken, wo Macht ganz offensichtlich in lauter unsichtbaren Amtsvorgängen diffundiert und es praktisch kaum noch öffentliche Akte gibt, in denen Städte und Landesregierung sich begegnen.

Was natürlich für den Wahlbürger die Frage aufwirft, in welchem Verhältnis denn eigentlich Städte und Landesregierung zueinander stehen? Oder ob es ein Nicht-Verhältnis ist, bei dem überhaupt nicht klar ist, wo denn nun welche Kompetenzen und Privilegien liegen und wer eigentlich für wen die Verantwortung trägt.

Alles Fragen, die in einer Demokratie genauso wichtig sind wie im einstigen Kurfürstentum. Man muss sich aufeinander verlassen können. Auch darauf, dass die Landesherrschaft die Nöte und Sorgen der Städte wahrnimmt und sich nicht hinter blumigen Reden versteckt, wenn es eng wird.

So gesehen regt das Buch tatsächlich an, über Macht und Verantwortung nachzudenken. Und ihr scheinbares Verschwinden hinter bürokratischen Abläufen, die für die Bürger unsichtbar machen, wer denn nun eigentlich für was verantwortlich ist. Und wer sich seiner Verantwortung einfach klammheimlich entzieht.

Ines Elsner „Torgau und seine Huldigungen gegenüber dem Landesherrn 1464 – 1815, Sax-Verlag, Beucha und Markkleeberg 2025, 19,80 Euro

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