In alten Städten, die noch ihre mittelalterliche Grundstruktur bewahrt haben, kann man das machen. In einer Stadt wie Leipzig dürfte es schwierig werden, auch wenn es sich bestimmt auch hier lohnen würde, die Keller in der Innenstadt einmal unter die Lupe zu nehmen, ob da noch mittelalterliche Bausubstanz zu finden ist. In Torgau war das ein leichtes, denn hier stehen die Häuser zum großen Teil noch auf den Kellern aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Und so startete der Torgauer Geschichtsverein 2016 sein Kellererforschungsprojekt.
Immerhin 656 Keller auf 297 Grundstücken der Torgauer Altstadt konnten so untersucht werden. Die Oberbürgermeisterin unterstützte das Projekt und die meisten Gebäudeeigentümer machten mit, ermöglichten einen Blick hinein in die Torgauer Geschichte, die in vielen Fällen weit über die Stadtbrände von 1442 und 1482 zurückreicht.
Zwei markante Daten, die auch für die Torgauer Baugeschichte wichtig sind, denn ihnen fiel nicht nur ein Teil der alten Stadt zu Opfer. Die Brände lösten auch eine Entwicklung aus, die das Torgauer Stadtbild bis heute prägt: Anstelle der zuvor großenteils aus Holz gebauten Häuser entstand nun eine aus Stein und Ziegeln gebaute Stadt. Genau die, die heute noch besichtigt werden kann.
Welches Alter freilich die Keller unter den Häusern haben, lässt sich in der Regel nur eingrenzen, wenn man ihre Bausubstanz untersucht. Denn die ältesten Keller in Torgau wurden aus dem Bruchmaterial der Porphyrkuppe gebaut, auf der Torgau seit Urzeiten steht. Teilweise wurden sie auch in den Fels hineingehauen. Aber Porphyr als Baumaterial deutet darauf hin, dass man es hier mit ganz alten Kellern zu tun hat, die schon vor den beiden großen Stadtbränden angelegt wurden.
Die Stadt unter der Stadt
Aber noch ein anderes Merkmal lässt auf das Alter der Keller schließen: ihre Lage unter dem Straßenniveau. Denn in Folge der Stadtbrände wurden die Trümmer nicht aus der Stadt geschafft, sondern zum Erhöhen des Straßenniveaus genutzt. Ein Phänomen, das man aus vielen mittelalterlichen Städten kennt: Das Straßenniveau wuchs im Lauf der Jahrhunderte oft um mehrere Meter an.
Aus den einstigen Erdgeschossen wurden Kellergeschosse, sodass auf einigen Torgauer Grundstücken gleich zwei Keller übereinander liegen und der obere Keller von der Bauart noch daran erinnert, dass er mal ebenerdig zugänglich war.
In diesem Buch hat Jürgen Herzog die Ergebnisse der Kellererkundung zusammengefasst, die bis 2022 andauerte. Und dabei ging man sehr akribisch vor, erfasste nicht nur Baumaterial und Bauweise der Keller, sondern vermaß sie auch genau. Außerdem wurden Karten angelegt, die die Lage der Keller im Straßenraster sichtbar machen.
Denn auch die Lage der Keller verrät oft, ob sie mit dem aktuellen Gebäude entstanden oder noch von Vorgängerbauten herrühren, die oft nicht bündig zur Straßenfront standen. Auch so wird ein Stück des mittelalterlichen Torgaus sichtbar, samt diversen neu angelegten Straßen und der Entstehung des bis heute gültigen Straßenrasters. Dabei konnten die Kellererkunder auch einstigen Freihäusern und Klosteranlagen auf die Spur kommen, zu denen oft eindrucksvolle Kelleranlagen gehörten.
Das Besondere an Torgau ist freilich, dass die meisten dieser Keller einer besonderen Nutzung dienten: dem Bierbrauen. Sodass die Kellererkundung gerade entlang der einstigen Hauptgassen auch eine Reise in die Geschichte des Torgauer Bieres und der Brauerben ist, deren bürgerlicher Status sich in Torgau jahrhundertelang an der Zahl der dem Haus zustehenden Gebäude bemaß.
Wer in Torgau etwas galt, der war ganz sicher Brauherr. Und über Jahrhunderte war das Torgauer Bier das beliebteste in der Region. Auch der Leipziger Rat deckte sich in Torgau mit Bier ein.
Eine Stadt, auf Bier gebaut
Und so ist es auch kein Zufall, wenn in vielen der aufgesuchten Keller auch noch die Deckenöffnungen für den Bierablass zu finden sind, deutlicher Hinweis auf die einstige Nutzung des Kellers zur Bierherstellung. Oft befinden sich diese für die Bierherstellung genutzten Keller auch nicht direkt unterm Wohnhaus, sondern im Hofbereich.
Das Schöne in Torgau ist: In der Fischerstaße 11 kann man tatsächlich noch ein altes Brauhaus besichtigen – samt Braukeller, der in diesem Fall etwas jüngeren Datums ist, erkennbar an seiner Ausmauerung in Ziegeln und Sandstein. Und spätestens, wenn man auf Sandstein trifft, so stellt Jürgen Herzog fest, weiß man, dass man es mit einem richtig reichen Brauberechtigten zu tun hat. Denn der Sandstein war teuer und wurde aus dem Elbsandsteingebirge herangeschifft. Aber er verbesserte auch das eingelagerte Bier.
Viele der untersuchten Keller sind im Buch auch fotografisch abgebildet, damit man einen Eindruck bekommt davon, wie die Torgauer im Mittelalter ihre Keller bauten. So stabil, dass die Keller in der Regel die Stadtbrände überlebten und wie selbstverständlich in den Neubau des Wohngebäudes einbezogen wurden.
Entstanden ist auf diese Weise ein Torgauer Kellerkataster, das ursprüngliche Baustrukturen der Stadt genauso sichtbar macht wie die jahrhundertealte Tradition der Braurechte. Gleichzeitig machen Größe und Bauweise der Keller aber auch die soziale Schichtung der Stadt sichtbar.
Und das Projekt macht auch weiße Stellen in der Torgauer Stadtforschung sichtbar – so etwa bei der Kellererkundung in der alten Amtsvorstadt, die – wie alle Torgauer Vorstädte – lockerer bebaut war als die Altstadt. Aber wie in Leipzig wurden auch in Torgau die Vorstädte immer wieder Opfer von Kriegen. Und in Torgau kam hinzu: Die Amtsvorstadt lag direkt an der Elbe, hier konnte man Keller gar nicht so tief eingraben, weil sie sonst regelmäßig bei Hochwassern überflutet worden wären.
Jürgen Herzog zeigt hier, indem er Viertel für Viertel die Ergebnisse der Kellerforschung einfach aufblättert, wie spannend die Erkundung des Untergrunds in einer alten Stadt wie Torgau sein kann. Und dass es sich tatsächlich lohnt, in die alten Keller hinabzusteigen, bis auf den Porphyrfels hinunter, auf dem Torgau erbaut wurde.
Jürgen Herzog „Die Torgauer Altstadt und ihre Keller“, Sax-Verlag, Beucha und Markkleeberg 2025, 20 Euro.
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