Das Ende der Welt blieb aus. In heutigen Geschichtsbüchern kommt es kaum noch vor. Obwohl es in den Jahren 1240 und 1241 Europa in Angst und Schrecken versetzte. Auch die Mark Meißen, wo seit 1230 der junge Markgraf Heinrich III. von Meißen regierte. Kaum 200 Kilometer trennen Meißen von Liegnitz, wo das Heer unter Heinrich II. von Schlesien am 9. April 1241 eine vernichtende Niederlage gegen das riesige Reiterheer der Tataren erleidet. Nur Tage trennen das wilde Heer noch von einem Überfall auf die Mark Meißen. Die Nerven liegen blank.

Und während der Markgraf die Städte sich rüsten lässt für den als unausweichlich scheinenden Überfall der Tataren und Wandermönche den Untergang der Welt predigen, steht nicht nur die kleine Mark Meißen vor einem Wendepunkt in der Geschichte. Denn gegen die Reiterheere der Tataren ist kein Kraut gewachsen. Und während die bedrohten Landesherrschaften versuchen, sich gegen den übermächtigen Feind zu wappnen, hat der in Genua residierende Papst Gregor IX. nichts Besseres vor, als zu Ostern 1241 den Kaiser Friedrich II. für abgesetzt zu erklären.

Es ist nicht nur im Jahr anno domini 2025 so, dass diverse von Rachlust besessene Herrscher lieber Kriege, Zwist und Streit anzetteln, statt den gemeinsamen Kampf gegen einen übermächtigen Feind zu unterstützen. Das war auch im Jahr 1241 schon so, ein Jahr, an dem auch das Schicksal der Mark Meißen am seidenen Faden hing. Und mit dem Sabine Ebert nun ihren zweiten Roman der Reihe „Der Silberbaum“ beginnen lässt, in der Heinrich von Meißen die zentrale Rolle spielt.

Der erste Band namens „Die siebente Tugend“ erschien schon 2023. Der zweite hat sich jetzt, so teilt die Autorin selbst mit – krankheitsbedingt – um ein Jahr verzögert. Aber ihre Lesergemeinde ist geduldig. Auch weil sie weiß, dass hinter Eberts Romanen ein intensives Studium der konkreten historischen Ereignisse steckt, die sie schildert.

Geschichte in starken Farben

Und den Sturm der „Goldenen Horde“ unter Batu Khan gab es wirklich. Nach der Schlacht von Liegnitz zog die Horde südwärts, vernichtete in der Schlacht von Muti das Heer des ungarischen Königs Bela IV. Nur ein Schwenk, dann hätten die Reiterscharen auch Österreich überrollt. Und kein Mittel schien dagegen gewachsen.

Und auch wenn die konkreten Schriftzeugnisse aus der damaligen Mark Meißen fehlen, kann Sabine Ebert diese das Land bedrückenden Ereignisse mit kräftigen Farben malen. Sie weiß, wie schmal der Grat ist zwischen einem einfach reißerisch geschriebenen historischen Roman und einer Erzählung, die den tatsächlichen historischen Ereignissen möglichst nahekommt.

Und alle ihre mittlerweile 16 Romane seit „Das Geheimnis der Hebamme“ (2006) zeichnen sich dadurch aus, dass sie akribisch versucht, die tatsächlichen Verhältnisse im deutschen Mittelalter und die Lebensumstände ihrer Heldinnen und Helden authentisch zu zeichnen.

Das Figuren-Ensemble aus den „Hebamme“-Romanen ist ihrer Lesergemeinde so ans Herz gewachsen, dass Sabine Ebert diese Figuren auch in ihre nun deutlich stärker historisch verankerten Romane übernommen hat, in denen sie den Lesern vor allem eines zeigt: Wie farbenreich und aufregend die Geschichte der Mark Meißen war, aus der später das Kurfürstentum Sachsen werden sollte. Und wie eng verstrickt die Meißner Markgrafen damals in die große deutsche Geschichte waren.

Und Gestalten wie Heinrich III. von Meißen bieten sich geradezu an, sie in den Mittelpunkt einer ganzen Romanreihe zu stellen, in denen der Kampf um die deutsche Kaiserkrone genauso eine Rolle spielt wie die Rolle des Freiberger Silbers für den Aufstieg der Markgrafschaft. Geschichte hat zwar jede Menge Pointen, aber sie kennt kein Finale und auch kein Happy End.

Auch das wird in Sabine Eberts Romanen deutlich. Glück steht neben Leid, Hoffnung direkt neben Verrat, Liebe neben Bosheit. Und aus eben noch vertrauten Mitstreitern kann über Nacht ein Verräter werden, der die Seiten wechselt.

Was Dokumente nicht erzählen

Das alles kommt auch in diesem Band vor, der eigentlich eine glückliche Geschichte werden könnte für Heinrich. Immerhin hat er mit Konstanze, der Tochter des österreichischen Herzogs Leopold VI. die Frau seines Lebens gefunden. Zumindest schildert Sabine Ebert die Liebe der beiden so, auch wenn die dokumentarischen Zeugnisse spärlich sind.

Das betont sie selbst im Nachwort, in dem sie ihren Lesern auch diesmal den Rahmen erläutert, innerhalb dessen ihre historischen Romane entstehen. Manchmal sind es tatsächlich alte Urkunden, die ahnen lassen, in welchem Verhältnis die agierenden Fürsten zu ihren Frauen und Kindern standen. Verhältnisse, die man mit viel Fantasie und Einfühlungsvermögen rekonstruieren kann.

Und genau das tut ja Sabine Ebert – und bekanntlich mit einem sehr aufmerksamen Blick für die Rolle der Frau, die damals nichts mit dem zu tun hatte, was Frauen heute an Freiheit und Selbstbestimmung möglich ist.

Aber auch in diesem Mittelalter gab es selbstbewusste Frauen, die auch politisch aktiv wurden. Was sie aber nur konnten, wenn ihre Ehegatten dem Raum einräumten. Und dieser Heinrich III. muss anders gewesen sein als viele seiner männlichen Standesgenossen in dieser Zeit. Davon erzählt auch sein nachweisliches Auftreten als Minnesänger und seine Aufnahme in den „Codex Manesse“, der die bekanntesten Minnesänger seiner Zeit vereint.

Es könnte also tatsächlich so gewesen sein, dass in seiner Zeit in Meißen auch sein Umgang mit den Frauen ein anderer war und auch für Frauen wie Änne und Yolande ein Platz war an diesem Fürstenhof. Auch wenn sich Sabine Ebert sehr bewusst ist, dass solche Frauenschicksale in der damaligen Zeit wohl eher die Ausnahme waren.

Eine Zeit, in der die Kirche nicht nur mitregieren wollte, wenn es um die Kaiserwahl im Heiligen Römischen Reich ging, sondern sich bis in die Familie hinein einmischte und ein Frauenbild proklamierte, das sich eigentlich nur aus Untergebenheit und Kinderkriegen speiste, während Männer über ihre Frauen verfügen konnten, als wären es nur gefühllose Besitztümer.

Wie gehen Männer mit Frauen um?

So betrachtet sind Eberts Romane auch ein Spiegel, den sie unsere Gegenwart hinhält, mit den heute in manchen Kreisen noch immer lebendigen finsteren Vorstellungen von Frauen- und Männerrollen. So weit weg ist das Mittelalter gar nicht.

Und wie aktuell ihre Geschichten über stolze Frauen und mitfühlende Männer sind, merkt Sabine Ebert im Nachwort selbst an: „Ich finde es jedoch bestürzend, in welch rapide wachsendem und seit Jahrzehnten nicht dagewesenem Ausmaß derzeit Gewalttaten gegenüber Frauen und Mädchen in Deutschland zunehmen“, schreibt sie. „Gewalt gegen Frauen ist keine Follkore, sondern eine schwere Straftat!“

Heute ist sie das, muss man hinzufügen. Im 13. Jahrhundert war sie das nicht. Und Frauen wie Konstanze und Agnes, die einem verständnisvollen Fürsten wie Heinrich III. begegneten, hatten tatsächlich Glück. Ehen wurden arrangiert, es ging um Macht und Geld und politische Allianzen, die über solche schon im Kindesalter arrangierten Ehen gefestigt wurden.

Liebe und Verständnis waren da nicht vorgesehen. Umso stärker wirken natürlich Sabine Eberts Romane, die genau diese Ausnahmen in den Mittelpunkt ihres Erzählens stellt. Auch wenn sie auf die tatsächlich dokumentierten historischen Ereignisse immer Rücksicht nehmen muss.

Heinrich III. regierte in keiner friedlichen Zeit. Und der Zwist zwischen Papst und Kaiser wird noch weit über diesen Band hinaus die Fabel bestimmen. Und Leben kosten. So wie in der Schlacht bei Frankfurt, in der König Konrad, den Kaiser Heinrich in Deutschland zurückgelassen hat, um ihn hier zu vertreten, gegen die Truppen des kurzzeitigen Gegenkönigs Heinrich Raspe eine Niederlage erleidet.

Eine Niederlage, die Folgen hätte haben können, wäre Heinrich Raspe nicht blindlings in eine selbstgestellte Falle gelaufen, als er ausgerechnet im Winter 1245/1246 das Machtzentrum der Staufer, Ulm, belagert. Ein Unding auch schon damals. Kein Heer war darauf eingerichtet, eine befestigte Stadt mitten im Winter über Wochen zu belagern.

Das Ergebnis war für Heinrich Raspe verheerend, denn hier steckte er sich an der Ruhr an. Und da er keinen männlichen Erben hatte, geschah, was geschehen musste: Thüringen fiel an den Markgrafen von Meißen.

Zwischen Gewalt und Recht

Wobei schon das auf die weiteren Entwicklungen in den Folgebüchern verweist. Denn was in Erbfolgeregelungen festgeschrieben war, bedeutete nicht, dass sich nicht auch andere Anwärter auf die Beute finden würden. Friedlich ging das nicht aus. Und Heinrich III. wird – obwohl er bei seinem Kriegszug in Brandenburg schon erlebt hatte, wie Kriege ein ganzes Land verwüsten – wieder in die Schlacht ziehen müssen.

Für die Leser ist das natürlich ein in dicken Farben gemaltes historisches Panorama, in dem am Rand auch ein gewisser Eike von Repgow erwähnt wird, der erst wenige Jahre zuvor überhaupt das seinerzeit geltende Recht im „Sachsenspiegel“ verschriftlicht hatte.

Wir erleben ja mit den „Silberbaum“-Romanen auch eine Zeit, in der sich bis dahin nur mündlich und in Gewohnheiten überliefertes Recht verfestigte und die Machtkämpfe im Reich etwas zähmte. Auch wenn noch für viele Jahrhunderte galt, dass Recht nur durchsetzen konnte, wer über die nötige kriegerische Macht verfügte.

Aber Sabine Ebert lässt eben nicht nur die Fürsten und ihre Ritter agieren, sondern zeigt auch immer wieder das karge und jederzeit bedrohte Leben der einfachen Bauern, Handwerker und Bergleute. Neben Meißen ist das vom Silberbergbau geprägte Freiberg immer wieder Schauplatz – auch von Intrigen und Katastrophen.

Aber gerade deshalb wird für die Leser auch greifbar, wie der frühe Aufstieg des späteren Sachsen mit dem Reichtum aus dem Silberbergbau verknüpft war und Heinrich und seine Nachfolger auch deshalb zu Anwärtern auf weitere Herrschaften wurden, die Meißen zu einem der wichtigsten Akteure in der damaligen deutschen Politik machten.

Die Mark Meißen im Licht der Geschichte

Und man merkt, dass es kein Zufall ist, dass sich Sabine Ebert seit der Romanreihe „Krone und Schwert“ gerade auf diese frühe Meißnische Geschichte konzentriert und damit das heutige Sachsen mit seiner Geschichte an eine prominente Stelle in der deutschen Geschichtschreibung befördert, wo es lange Zeit nicht war.

Jedes ihrer Bücher erinnert daran, welche Rolle die Meißner Markgrafen in der Reichspolitik spielten. Und dass man hier auf ein Stück Landesgeschichte trifft, mit dem das oft verklärte Mittelalter in all seine Farbigkeit geschildert werden kann und lebendig wird. Zum Mitfiebern und Mittrauern.

Denn wenn es um die tiefen menschlichen Beziehungen der Personen geht, die Sabine Eberts Geschichte tragen, wird die Autorin sehr genau, zeigt all ihr Mitgefühl, das natürlich aus unserer eigenen ruppigen Gegenwart stammt. Aber warum sollten die Menschen im 13. Jahrhundert nicht ähnlich gefühlt und gelitten haben?

Eine Frage, die jede von Sabine Eberts Büchern stellt. Und letztlich immer mit Ja beantwortet, denn genau das sorgt letztlich dafür, dass sich ihre Leserinnen und Leser mit ihrem zentralen Figurenensemble identifizieren können. Und mitfiebern, wenn Frauen unter widrigen Bedingungen ihre Kinder kriegen, auf dem Heiratsmarkt feilgeboten werden oder unverhofft sterben, weil die Medizin der Zeit vielen Erkrankungen noch hilflos gegenüber stand.

Dieses Mitfiebern ist auch mit diesem Band garantiert. Samt einer kleinen Spur in die emsige Lektoratsarbeit, die sich auf Seite 179 noch mit der versteckten Aufforderung „bitte streichen“ findet. Ein kleiner, kostbarer Fund, der ahnen lässt, wie viel Teamwork in so einem Buch steckt, bis es tatsächlich gebunden und geheftet in die Buchläden kommt.

Sabine Ebert „Der Silberbaum. Das Ende der Welt“ Knaur Verlag, München 2025, 24 Euro.

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