Schon mit ihrem großen Barbarossa-Zyklus „Schwert und Krone“ thematisierte Sabine Ebert immer wieder auch die Geschichte der Markgrafen von Meißen, der Wettiner. Man merkte schon, dass sie der Aufstieg dieses Fürstengeschlecht zutiefst faszinierte. Ein ganzes Stück deutscher Geschichte wurde konkret anhand Dietrich des Bedrängten. Doch dessen Sohn interessierte die Autorin, die heute in Dresden lebt, noch viel mehr. Er ist die zentrale Gestalt der nächsten Romanserie.

Die trägt jetzt den Serientitel „Der Silberbaum“. Und mit Beginn des ersten Romans aus dieser Serie ist Heinrich, der einst die Zuschreibung „der Erlauchte“ bekommen wird, gerade einmal drei Jahre alt, als sein Vater stirbt. Sabine Ebert nimmt das Geburtsjahr 1218 für ihn an. Wikipedia nennt vage „um 1215“ als Geburtsjahr.

Doch die Konstellation bleibt gleich: Dietrichs legitimer Sohn ist minderjährig, und damit die Frage offen, ob es seiner Mutter Jutta gelingt, die beiden Marken, die die Wettiner zu Lehen erhalten hatten – die Mark Meißen und die Mark Lausitz – zu halten, bis ihr Sohn für mündig erklärt werden würde und die Herrschaft antreten könnte.

So weit – ein ganz gewöhnliches Problem, vor dem adlige Geschlechter im Mittelalter immer standen. War die Nachfolge nicht gesichert, gab es meist heftige Rangeleien um Herrschaft und Land. Doch Sabine Ebert hatte schon mit „Schwert und Krone“ gezeigt, wie spannend und vielschichtig die Geschichte des mittelalterlichen Deutschlands war.

Und vor allem auch, welche Rolle – adlige – Frauen dabei spielten. Nicht ganz grundlos hat sie für diesen Band den Titel „Die siebente Tugend“ gewählt. Dabei ist diesmal nicht von den christlichen Tugenden die Rede, sondern von den Rittertugenden, nach denen damals die adligen Sprösslinge erzogen wurden.

Und die siebente Tugend ist die Minne, die „hingebungsvolle und dienende Liebe“ zu einer in der Regel höher gestellten Adligen. Ausgedrückt in Minneliedern, die an den Fürstenhöfen vorgetragen wurden. Und der für die Liedersänger bekannteste Fürstenhof jener Zeit war die Wartburg, die Stammburg der thüringischen Landgrafen. Zur Legende geworden, im „Sängerkrieg auf der Wartburg“.

Fürsten, Kaiser, Heilige

Und das alles hat mit der frühen Meißnischen Geschichte zu tun. Schon durch Jutta, Tochter des Landgrafen Herrmann und Schwester des Landgrafen Ludwig IV., später als „der Heilige“ bezeichnet, der nach dem Tod Dietrichs zum Vormund für den wettinischen Thronfolger wurde. Und zum „Heiligen“ wurde er, weil er der Gemahl der bis heute legendären Elisabeth war, jener „Heiligen Elisabeth“, die teilweise bis heute glorifiziert wird.

Auf einmal ist man mit Sabine Ebert mittendrin in diesen durchaus dramatischen Zeiten, die auch noch von Missernten und Hungersnöten geprägt waren – und vom Streit des Kaisers Friedrich II. mit dem machtlüsternen Papst in Rom. Ein Streit, der sich um den von Friedrich II. zugesagten Kreuzzug nach Jerusalem zuspitzte.

Und mittendrin immer auch thüringische und meißnische Ritter und Fürsten. Landgraf Ludwig würde beim ersten Versuch der Kreuzzug-Flotte, übers Mittelmeer überzusetzen, an einer der Seuchen im Feldlager sterben. Was zumindest in Thüringen das Drama um Elisabeth entschärfen würde, die – von ihrem Beichtvater befeuert – immer radikaler ein Leben in Armut verlangte – auch von ihren Gefolgsleuten bei Hof.

Wir sind zwar im Zeitalter der Minne – aber auch gleichzeitig im Zeitalter der beginnenden Ketzerverfolgung. Für die ganz zentral der Kreuzzugsprediger und Inquisitor Konrad von Marburg steht, der auch Beichtvater Elisabeths von Thüringen war – und damit wohl auch Verursacher ihrer frommen Radikalisierung.

Und natürlich tritt er auch in Sabine Eberts Roman auf, der sich – wie all die vorhergegangenen aus ihrer Feder – eng an die historischen Ereignisse hält, auch wenn sie wieder einige ihrer Figuren aus dem „Hebammen“-Zyklus auftreten lässt – in diesem Fall schon die zweite und dritte Generation.

Mitten in den Ereignissen am Meißner und Eisenacher Hof und in der jungen Bergstadt Freiberg lässt sie ihre Heldinnen und Helden teilhaben in den Ereignissen, die damals diese Landschaft beschäftigten, sogar direkt Teil dieser Geschichte werden, sodass man mit ihnen direkt dabei ist in einem historischen Stoff, den Geschichtsbücher nie so farbenreich und schon gar nicht so mitfühlend erzählen, wie es Sabine Ebert tut.

Ein außergewöhnlicher Fürst

Man spürt, wem ihre Sympathien gehören. Und noch viel stärker als in den vorhergehenden Romanen stellt sie ein Motiv in den Mittelpunkt, das sie beim Schreiben historischer Romane schon immer beschäftigt hat: die Rolle der Frauen in einer von Standesdenken geprägren Welt, in der Frauen eigentlich keine Rechte hatten und Heiraten nicht aus Liebe geschlossen wurden, sondern aus politischen und wirtschaftlichen Gründen.

Die aufkommende Minne brachte damals überhaupt erst einmal eine neue Sicht auf die – anzupreisende und adlige – Frau an die Höfe. Und mit dem noch unmündigen Heinrich III. von Meißen stellt sie einen Fürsten in den Mittelpunkt ihrer neuen Romanserie, der selbst als Minnesänger in die Annalen – genauer: in die Manessische Liederhandschrift Eingang fand.

Und der seinen „Titel“ vom Volk und von der Geschichtsschreibung auch deshalb bekam, weil er als ein wohltätiger und kluger Fürst erlebt wurde, der lange herrschte und die Mark Meißen zur Blüte brachte.

Solche Männertypen auf Fürstenthronen sind rar gesät.

Und sie zeichnen sich auch durch ein anderes Verhältnis zu Frauen aus. Vielleicht auch, weil sie durch starke und kluge Frauen – wie seine Mutter Jutta, die ihm die Regentschaft sicherte – geprägt wurden. Und wie schon in den Vorgängerromanen legt Sabine Ebert den Fokus nicht nur auf die historisch belegen Frauengestalten, die sie – wie im Fall Elisabeths von Thüringen – durchaus auch kritisch sieht, sondern schafft selbst starke und faszinierende Mädchen- und Frauengestalten, die sie selbstbewusst und eigensinnig agieren lässt.

So wie die heilkundige Änne aus Freiberg oder das Mädchen Milena, das am Meißnischen Hof erzogen wird, sich aber schon früh als begabte Erzählerin erweist. Womit Sabine Ebert ihre eigene Mission als Autorin jetzt auch mit einer eigenen weiblichen Gestalt zum Leben erweckt. Denn wer mit solcher Begeisterung historische (und vor allem historisch gut begründete) Romane schreibt, der weiß auch, wie unersetzlich und faszinierend die Erzähler/-innen sind, die den Menschen in Geschichten zeigen, wie aufregend ihre Welt ist.

Und im Nachwort betont sie nicht ganz grundlos, an ihre Leserinnen und Leser gewandt: „Bleibt den Büchern treu! Denn Bücher lassen uns an Orte und in Zeiten reisen, die wir sonst nie erreichen können.“ Und sie schaffen noch etwas: Sie vermitteln – wenn sie so farbenreich geschrieben sind wie Sabine Eberts Romane – Kenntnisse über ein Stück Geschichte, von dem die meisten Menschen (auch in Sachsen) keine Ahnung haben.

Da hilft aller Geschichtsunterricht in den Schulen nicht, der das Zeitalter der Staufer und der Kreuzzüge lediglich steift, aber kaum in Konturen zeichnet, wie die konkrete Geschichte im Raum des heutigen Sachsen und Thüringen tatsächlich geschah.

Recht und Rechtlosigkeit

Auch nicht, wie es die Reichen und die Armen erlebten, wie Feuersbrünste die aus Holz gebauten Städte verwüsteten, Fehden und Kriege aus nichtigsten Anlässen stattfanden, die Menschen hungerten und darbten, wenn es zu Missernten kam, und wie leicht auch damals Fanatismus die Köpfe erhitze, wenn Prediger wie Konrad von Marburg durch die Lande zogen.

Und immer besonders gefährdet waren die Frauen, auch die adligen. Welches Recht und welchen Frieden sie erlebten, das bestimmten die Männer, die ihre Vormünder waren. Und einige von denen gingen mit ihren Frauen und Töchtern um, als wären es nur lästige Besitztümer, die sie gebrauchen und zerstören durften. Liebe war da eigentlich nicht vorgesehen. Gleichberechtigung schon gar nicht.

Und so manche heutige Leser werden erschrocken sein, wie brutal damals oft mit Frauen umgegangen wurde. Und wie sehr es dennoch damals geltendes Recht war. Ein Recht, das sich gerade erst verschriftlichte, denn auch Eike von Repgow lebte genau in dieser Zeit und verfasste auf dem Falkenstein den „Sachsenspiegel“, der das real geübte Recht seiner Zeit für die Nachwelt und die folgende Rechtsprechung festhielt.

Und so ist ein Großteil des Figurenensembles, das einem in diesem Buch begegnet, tatsächlich mit historisch belegten Personen besetzt. Eindrucksvollen wie Jutta von Thüringen oder Konstanze von Österreich, die der junge Heinrich am Ende des Buches in einer glanzvollen Hochzeit zur Braut nimmt, aber auch bedrohlichen und verstörenden wie Elisabeth von Thüringen oder Konrad von Marburg, der seine Lust aus der Unterwerfung und Zerstörung von Menschen gewinnt.

Ritterlichkeit

Doch mittendrin – gelebt auch durch Ritter wie Lukas, Thomas, Simon oder Christian – immer das Ideal von Ritterlichkeit, das einem aus dem Blickwinkel der Autorin geradezu gegenwärtig anmutet. Denn scheinbar leben wir wieder in einer Zeit, in der Männer nach der Macht greifen wollen, denen Tugenden völlig egal sind, die Rechte Schwächerer sowieso, und die mit Liebe auch nichts anfangen können, weil ihre wesentlichen Emotionen Wut, Zorn und Verachtung sind.

So gesehen spiegelt sich die Gegenwart in der von Sabine Ebert gezeichneten Vergangenheit. Aber anders geht es gar nicht, wenn man die am Ende doch eher kargen historischen Belege und Beschreibungen mit Leben erfüllen möchte und zu einer Geschichte machen möchte, die ihre Leserinnen und Leser hineinzieht in ein fernes 13. Jahrhundert, von dem wir nur ahnen können, wie nah und vertraut uns die da lebenden Menschen eigentlich gewesen wären.

Aber der Wunsch der Menschen nach einem menschlichen Umgang ist ja nicht erst mit unserer Epoche erfunden worden. Dass er auch die Bewohner des Zeitalters der Kreuzzüge beschäftigte, belegt die ganze auf uns überkommene Minnedichtung, die eben auch deutlich über die damals opportunen christlichen Tugenden (die Leute wie Konrad von Marburg mit Füßen traten) hinausging und eben einen Topos in den Mittelpunkt stellte, der seither ganze Literaturepochen prägte: das Singen und Schreiben über die Liebe.

Und so ist auch dieser Roman eine dicke und mitreißende Einladung, Sachsens Vorgeschichte (wieder) zu entdecken und vielleicht nicht nur lesend die Orte zu besuchen, die Sabine Ebert zu Schauplätzen der Handlung gemacht hat, auch wenn sie heute nicht mehr so aussehen wie damals: Freiberg mit seiner Goldenen Pforte, die Albrechtsburg in Meißen und die Wartburg in Eisenach.

Wer dabei weiß, dass es die auftretenden historischen Persönlichkeiten aus diesem Buch tatsächlich gab, sieht auch die alten Gemäuer mit anderen Augen. Geschichte wird greifbar und bildhaft. Es ist wirklich passiert, so oder so ähnlich.

Und weiteres wird passieren. Denn dies hier ist ja der Auftakt zu einer neuen Romanreihe, in der ein fast vergessenes Stück (vor-)sächsischer Geschichte seine erzählerische Form gefunden hat.

ISabine Ebert „Der Silberbaum. Die siebente Tugend“ Knaur Verlag, München 2023, 24 Euro.

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