Wie redet man einer Regierung ins Gewissen, deren Bundeskanzler gar nicht einsehen will, dass die Reichen und Superreichen viel zu wenig beitragen zur Finanzierung des gemeinsamen Staates? Der lieber bei den eh schon knapp gehaltenen Bürgergeldempfängern sparen will, als wenn sie an der finanziellen Schieflage des Staates schuld wären.
Aber es ist ja nicht nur in Deutschland so, dass hier Regierungen über die Jahrzehnte einen regelrechten Steuerminderungswettlauf für die Reichen veranstaltet haben. Es ist ein Problem der ganzen westlichen Welt, das DIW-Präsident Marcel Fratzscher am 5. Dezember thematisierte.
Er tat das in seiner Kolumne in der „Zeit“: „Wir müssen die Supereichen endlich stärker besteuern“.
„Ein neuer Oxfam-Bericht versetzt einer ohnehin düsteren Entwicklung den nächsten Schlag: Ein kleiner Kreis Superreicher verzeichnet binnen zwölf Monaten enorme Zugewinne – während Millionen weiter abrutschen. Inzwischen kontrolliert das reichste Prozent weltweit mehr Vermögen als die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung. Das ist kein Randphänomen, sondern Ausdruck einer Dynamik, in der Vermögen immer schneller aus sich selbst heraus wächst – und große Teile der Gesellschaft kaum noch Chancen auf eigenen Kapitalaufbau haben“, stellte Fratzscher dort fest.
„Auch in Deutschland zeigt sich dieses Muster in besonderer Schärfe. Seit vielen Jahren gehört die Bundesrepublik zu den Ländern mit der höchsten Vermögensungleichheit in Europa. Die reichsten zehn Prozent der Haushalte halten zwei Drittel des Nettovermögens; die untere Hälfte der Bevölkerung kommt zusammen gerade einmal auf ein Prozent. Besonders alarmierend: Nahezu dreißig Prozent der Haushalte besitzen keinerlei Vermögen – viele sind sogar überschuldet. Ihnen fehlen nicht nur finanzielle Rücklagen, sondern auch jede reale Chance auf eine stabile wirtschaftliche Perspektive.“
Verzerrte Anreize
Die Ursachen, so stellt er fest, „liegen in politischem Gestaltungsversagen und verzerrten Anreizen: Kaum ein anderes Land belastet Arbeit so hoch und Vermögen so niedrig wie Deutschland. Kapital und große Vermögen tragen vergleichsweise wenig zum Gemeinwohl bei. Zugleich bleibt der Zugang zu Immobilien – der zentralen Vermögensbasis deutscher Haushalte – für viele unerreichbar.“
Zudem falle die öffentliche Förderung von Vermögensaufbau gering aus und komme häufig gerade jenen zugute, „die ohnehin über hohe Einkommen verfügen. Die Folge ist eine Spaltung, bei der Kapital aus Renditen und Immobilienwertsteigerungen rascher wächst als Arbeitseinkommen, und zwar selbst dann, wenn Menschen hart arbeiten. So sind die Vermögen der Superreichen im vergangenen Jahr um 16,5 Prozent angewachsen, zeigen die Berechnungen von Oxfam – das ist ein vielfach höheres Wachstum als für die meisten Arbeitseinkommen.“
Verlorenes Vertrauen
Und die wirtschaftlichen Risiken seien auch nur ein Teil des Problems. Denn die Ungleichheit hat Folgen für die Demokratie. Und zwar gravierende: „Gesellschaftlich befeuert Vermögensungleichheit, Polarisierung und Misstrauen. Wer das Gefühl hat, trotz Arbeit nicht voranzukommen, verliert Vertrauen in staatliche Institutionen und demokratische Verfahren. Der Aufschwung populistischer Bewegungen geht in vielen Ländern Hand in Hand mit wachsenden sozialen Ungleichheiten.“
Und er stellt etwas fest, was im Lobbyland Deutschland viel zu selten thematisiert wird: „Extreme Ungleichheit schwächt demokratische Systeme zudem unmittelbar, weil wirtschaftliche Macht politischen Einfluss verstärkt und gesellschaftliche Fairness zunehmend infrage gestellt wird. Wenn ein erheblicher Teil der Bevölkerung weder Vermögen aufbauen noch am Wachstum des wirtschaftlichen Wohlstands teilhaben kann, entsteht ein gefährlicher Nährboden für politische Radikalisierung.“
Zeit für eine Steuer-Modernisierung
Und so fordert Fratzscher etwas, was nun seit Jahren als Hauptaufgabe auf den Tisch deutscher Regierungen liegt und einfach nicht angepackt wird, obwohl das Land immer tiefer in die Schuldenspirale rutscht und wichtige Investitionen nicht mehr leisten kann: Deutschland muss sein eigenes Steuersystem endlich modernisieren.
„Die Besteuerung von Arbeit sollte deutlich reduziert, die Besteuerung großer Vermögen, Kapitalerträge und Erbschaften hingegen angemessen gestärkt werden. Eine gerechte Erfassung großer Immobilienwerte, eine Reform der Erbschaftsteuer und die konsequente Einbeziehung hoher Kapitalgewinne sind zentrale Elemente einer solchen Reform“, zählt Fratzscher auf.
„Dadurch könnten nicht nur staatliche Einnahmen stabilisiert, sondern auch ein fairerer Wettbewerb zwischen Arbeit und Kapital hergestellt werden.“
Kein Bundeskanzler kann sich herausreden, er habe das nicht gewusst. Aber stattdessen sind die meisten Parteien wieder mit massiven Steuersenkungsprogrammen in den Wahlkampf gestartet, haben den Wählern suggeriert, es ginge um ihre Steuern, obwohl es fast ausschließlich um die Steuern der Reichen und Vermögenden ging.
Alles nach der neoliberalen Trickle-down-Theorie, die man augenscheinlich in den Parteizentralen für einen Zauberspruch hält, mit dem die Steuerersparnisse für die Reichen dann irgendwie als winzige Wohlstandsgewinne bei den Armen ankommen.
Was aber niemals passiert. Die ganze Geschichte der neoliberalen Politik ist eine Geschichte der Umverteilung von unten nach oben.
Und so stellt Fratzscher logischerweise auch fest: „Ungleichheit ist keine naturgegebene Tatsache, sondern Ergebnis politischer Entscheidungen. Sie kann daher auch durch politische Entscheidungen überwunden werden.
Die Befunde sind ein Weckruf: Ein System, das Wohlstand bündelt, sägt an seinem eigenen Ast. Gerecht verteilte Chancen und Vermögen sind kein Zierwerk, sondern die Voraussetzung für Stabilität, Stärke – und eine lebendige Demokratie.“
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