Hinten steht's extra drauf: "Empfohlen für Leser ab 16 Jahren". Es geht nicht sehr brav zu im großen Grafik-Epos "Seelenfresser". Auch nicht sehr liebevoll, auch wenn der erste Band der Tetralogie, der im März 2011 erschien, noch mutmaßen ließ, es könnte um so ein abgründiges Gefühl wie Liebe gehen. Aber wie fragte doch Hurvinek so eindrücklich? - "Waaas ist Liiiebe?" - Und was ist Glaube?

Für die Freunde und Liebhaber des düsteren Humors, wie man ihn von Schwarwel kennt, wird sich diese Frage am 30. Oktober auflösen. Im Nachwort bedauert es der Leipziger Zeichner ein bisschen, dass es mit dem zweiten Band nicht eher geklappt hat. Die Leipziger Buchmesse 2012 wäre ja ein hübscher Zeitpunkt gewesen. Oder der ICOM in Erlangen im Juni. Aber der Mensch denkt. Und der Alltag erzwingt sein Recht. Immer neue Projekte bringen den Leipziger Grafiker in Zeitnöte. Und irgendwann zwischendurch kann man eine solche Graphic Novel nicht zeichnen. Dazu ist Schwarwels Anspruch zu hoch – was ja auch die Auszeichnung für den ersten “Seelenfresser”-Band im Juni bestätigte. Die Freunde des düsteren schwarzen Strichs wissen diese abgrundtiefe Nüchternheit des Leipziger Zeichners zu schätzen. Er zeichnet nicht den Großverlagen zur Freude oder für das Happy-Evening-Erlebnis von Leuten, die abends Lucky-Luke-Comics sortieren, nachdem sie tagsüber das Geld der Bankkunden an der Pariser Börse verzockt haben.

Wer beim “Seelenfresser” etwas gotisch angehauchte Lyrik erwartet, wird nichts verstehen. Vielleicht bekommt er noch die unverkennbare Ecke in Connewitz mit, an der dieser Band beginnt, der natürlich die Fäden der “Liebe”-Geschichte aus Band 1 aufgreift, aber natürlich auch ganz für sich gelesen werden kann. Während in der durchaus kantigen “Liebe”-Geschichte der Trucker Hardy und seine Geliebte die zentralen Rollen besetzten, spielen sie hier zwar auch mit – aber ins Zentrum rutschen eindeutig drei ziemlich abgerissene Gestalten, die nach einem etwas garstigen Erlebnis an ihrer Lieblingsecke eigentlich nur nach Hause wollen ins Heim.Doch aus einer eben noch fast alltäglichen Szene entspinnen sich jetzt drei fast explodierende Erzählstränge, in denen Schwarwel völlig unterschiedliche – eher dem Film als dem Comic – entlehnte Bildgeschichten entwickelt. Gern mit einer ins Surreale abdriftenden Handlung und einer Kameraführung, die durchaus etwas schwindelig machen kann.

Also durchaus auch zu der steinschweren Gestalt auf dem Cover und den in den Zwischenkapiteln zu findenden Wächterfiguren passend, die frisch vom Völkerschlachtdenkmal gestiegen zu sein scheinen. Womit man zumindest einen Horizont erahnen kann, an den Schwarwel seine durchaus unheroischen Geschichten von Glaube, Liebe, Hoffnung projiziert. Das Denkmal ist auch Klotz der pathetischen Allegorien, des falsch gedachten Heldentums. Ein Spiegel bürgerlichen Sessel-Heroismus, der nun zwar in Stein da steht. Aber was davon findet im Leben der kleinen Träumer da unten statt? Oder im Traum von Hitch-Hike-Baby Nova, die eigentlich in anderen Welten schwebt, als Hardy nach Hause kommt und unbedingt Boxen im TV sehen will?

War da nicht eben ein Stück Schweinevogel zu sehen? Ein esoterischer Maulwurf? Joey, der Hund, wird zumindest erwähnt (und ist ganz kurz zu sehen), bevor die Bilder wieder abheben und ein wucherndes Gewimmel die letzten Szenen verschlingt, bevor unten an der Seite knapp “Ende des Zweiten Buches” steht. Wer die Fortsetzung wissen will, muss sich also wieder ein bisschen vertrösten auf Buch Nummer 3, das sich dann dem Thema Hoffnung widmet. Im Band 4 wird’s dann die Barmherzigkeit sein, die dem Leben hienieden begegnet.

Wer nichts verpassen will: Die Release-Party zum Buch gibt es am 30. Oktober ab 20 Uhr in “Noels Ballroom” (Kurt-Eisner-Straße 43, Südvorstadt). Von 15 bis 17 Uhr am selben Tag lädt Schwarwel zur exklusiven Signierstunde in die Comic Combo Leipzig (Karl-Liebknecht-Straße 2) ein.

Und am 2. November um 19 Uhr wird die Ausstellung zum Buch eröffnet. Diesmal im City Comics in der Nürnberger Straße.

Schwarwel “Seelenfresser. Zweites Buch: Glaube”, Glücklicher Montag, Leipzig 2012, 12,80 Euro

www.seelenfresser.com

www.schwarwel.de

www.noels-ballroom.com

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