Sie ist Slawistin, hat 2008 den Band "Guttapercha des gänsehäutigen Gehänges" mit Gedichten der russischen Dichterin Nina Chabias übersetzt. Jetzt hat Henrike Schmidt mit Elin Rachnev einen der eindrucksvollsten bulgarischen Dichter übersetzt. Und mit "Zimt" einen Gedichtband, der 2008 bei seinem Erscheinen in Bulgarien augenscheinlich für Furore sorgte. In Deutschland undenkbar.

Obwohl die deutsche Literatur wohl den exemplarischsten Fall eines Bandes voller Liebesgedichte kennt, der mit solcher Wucht auf dem Büchermarkt einschlug, dass der Dichter dahinter fortan fast völlig verschwand: Heinrich Heines “Buch der Lieder”. Das ist nun bald 200 Jahre her. Seitdem ist eine Menge passiert, hat sich der Fokus der deutschen Literaturkritik immer weiter in Richtung Ernsthaftigkeit, Grübelei und Tiefenanalyse verschoben.

Was natürlich jeden Autor aus dem Süden Europas, der die Hürden der Übersetzung überwindet, zu einer Entdeckung macht. Und Elin Rachnev, 1968 geboren, ist ein Autor aus diesem Kosmos, der ein Kulturkosmos ist. Ein reicher noch dazu. Er schreibt auch fürs Theater, arbeitet auch journalistisch. Und er ist mit offenen Augen und Ohren unterwegs in seiner Zeit. Mal abgesehen davon, dass er (noch) etwas hat, was man bei manchen Stars der deutschsprachigen Literaturszene gründlich vermisst: Wurzeln. Tief in der europäischen Kultur. In der Literatur sowieso.

Und mit “Zimt” legte er 2008 etwas vor, was eigentlich, wenn man all den post-modernen Apologeten glauben dürfte, unmöglich sein sollte: ein großes, staunendes Liebespoem. In dem es gleich zwei eindrucksvolle Geliebte gibt – und keine Erfüllung. Und nicht ohne Ursache fällt immer wieder der Name Laura. Denn Rachnev bezieht sich ganz bewusst auf das “Canzoniere” von Petrarca, in dem der seine Liebe zu Laura besingt.Eigentlich ein zweigeteilter Liederzyklus – zum einen besingt Petrarca die lebende Laura, die er möglicherweise 1327 zum ersten Mal sah. Nur war die Schöne verheiratet und damit unerreichbar. Und dann starb sie auch noch jung. Da hatte Petrarca dann viele Jahre Zeit, auch noch die nun Verklärte zu besingen.

Männer sind so. Das hat sich nicht wirklich geändert. Wenn sie lieben, lieben sie oft genug gerade das Unerreichbare. Und manchmal haben sie auch gar keine Wahl. Das ging Heine so. Und das geht auch Rachnev so. Die Frau, die er unter den Gedichttiteln “Zimt” (“Kanela”) zu fassen versucht, ist so eine Unerreichbare. Oder nicht mehr Erreichbare. Eins von diesen bezaubernden Geschöpfen, die Männer wahnsinnig machen können einfach deshalb, weil sie da sind. Und erst recht, wenn sie wieder weg sind. Am meisten haben es Rachnev die Wimpern der Schönen angetan. Allein die Erinnerung daran weckt in ihm eine Welt von Bildern. Da dröhnt die Musik von Depeche Mode, da ergreift ihn die Melancholie der Piaf. Da wird er geradezu besoffen vor Wehmut. Und: Er wagt es zu sagen.

Was wohl nicht nur im heutigen Bulgarien wieder etwas Unerhörtes ist. Sind Männer denn nicht längst so “cool”, dass sie sich über so etwas nicht mehr äußern? Mit den Schultern zucken und sich das nächste Girlie suchen? Lassen sie sich noch von so einem lächerlichen Liebesrausch aus dem Gleichgewicht bringen? Und dann gar zu so einem gewaltig hinausgesungenen Geständnis bringen, dass es tatsächlich so ist, dass diese Frau, diese flüchtige Begegnung für sie die Welt war?

Man kann darüber philosophieren, was an Rachnevs Poem gewollt ist, wie er sein Ich in die Verse steckte und wie er darin die Maskerade übt. Tut Henrike Schmidt auch recht ausführlich in ihrem ausführlichen Nachwort “Unmöglich sentimental”. Da hat sie selbst gestaunt, was so ein Mann alles in die gebundene Form pressen kann, wenn es heraus will – seine Sehnsucht, seine Liebe, seine Verletzheit, seinen Stolz und die Unfähigkeit, sich davon lösen zu können. Es sind keine lyrischen Liedchen. Im Gegenteil. Rachnev kennt die großen Poeme der Moderne – da und dort klingt Etliches nach Whitmans Grashalmen. Hier schmettert einer seine Gefühle heraus mit Bildern, die zwischen dem Lärm der Zeit und der Sehnsucht nach Nähe nicht nur schwanken, sondern hin und her springen.

Die Bilder, die er dafür findet, scheinen willkürlich, er bringt es fertig, zwischen einem Cardio-Screening, einer verirrten Straßenbahn, Chopin im Wurstgeschäft und Thomas Manns “Tod in Venedig” hin und her zu springen. Das ist heillos genug. Und springt in der nächsten Strophe in ganz große Verzweiflung: “Alle meine Selbstmorde habe ich um deinetwegen verschoben. / Amputierte mir alle meine Depressionen. Hab meine Tränen bis auf / den Lack abgeschabt …”

Sowas können Frauen mit Männern anrichten. Und das hat die Bulgaren scheinbar tief beeindruckt. Vielleicht auch, weil manches dabei an andere Autoren erinnert, die ebenso mit offener Brust auf der Bühne standen, Typen wie Majakowski oder Wyssotski. Wo Petrarca seine Liebe noch bannen konnte, schreit der sie hier heraus. “Es schmerzt mich, wenn du gehst …”Das Gegenbild dieser immer wieder frischen Verluste ist – drüben auf dem gegenüberliegenden Balkon – eine schon etwas verblühte Schönheit namens Gegana, der einst die Männer auf dem Boulevard hinterher liefen, und die dann einen Burschen geheiratet hat, der brav seinem Job in der Fabrik nachgeht, zu viel isst, im Fitnessstudio seine Klamotten durchschwitzt. Und dann sieht der Dichter Gergana, wie sie tagein, tagaus, die Wäsche dieses Burschen wäscht. “Während du die Unterhosen deines Mannes aufhängst, / ist Antonioni gestorben …”

Die Fallhöhe ist unüberhörbar. Der Widerspruch nicht zu übersehen. Und die vergötterte “Zimt” kann er nicht festhalten – im Gegenteil, die Vernarrtheit reißt ihn geradezu aus allen Zusammenhängen. Er fühlt sich wie aus der Welt geschleudert. Und da drüben hängt Gergana in aller Seelenruhe die Unterhosen ihres Mannes auf.

Die Gedichte wechseln zwischen diesen Perspektiven, auch wenn Zimt alias Kanela zwangsläufig mehr Raum eingeräumt ist. Die Abwesende dominiert die Gedanken und die Worte des Burschen, der seine ganze Sehnsucht hinausschreit und sich dabei selbst völlig in Frage gestellt sieht. “Mir war immer klar, dass ich total sinnlos bin.” Sagt es so hin. Und dann genügen ein paar dieser hingeschmissenen Sätze, und man sieht ihn auf dem Père Lachaise am Grab von Jim Morrison, wo er sich bis zur Besinnungslosigkeit besäuft. Womit er zwar nicht glücklicher ist, aber seine Zugehörigkeit zu einer Zeit und einer Welthaltung mehr als deutlich macht. “Mein ganzes Leben besaufe ich mich in die Sechziger / und zurück.”

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Zimt
Elin Rachnev, Leipziger Literaturverlag 2012, 16,95 Euro

Auch das ist eine Erdung und eine Verortung. Was das Problem nicht löst, wenn man die Kanelas nicht halten kann. Und die Gerganas zwar irgendwie ein schönes prosaisches Gegenbild sind. Aber wirklich verlockend scheint das dem Beobachter nicht: “Gergana hat dienstags und freitags Sex / nach dem Spielfilm, / vor den Spätnachrichten … / zwischen 23.32 und 23.47 … “

Ein Buch für all jene, die ihre Liebe wortlos gemacht hat. Manchem passiert das eben, dass er sich unsterblich verliebt in so eine Laura, Kanela, Zimt … Der Rest steht bei Heine.

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